Vor 20 Jahren: Unfeierliche Weihnachtsgrüße von IBM

Die Jahresendausgabe 1990 der IBM-Mitarbeiterzeitschrift polarisierte die Leser: Sie bestand aus zwölf leeren Seiten.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 20 Jahren landete die Jahresendausgabe der IBM-Mitarbeiterzeitschrift Report in rund 30.000 Briefkästen der Mitarbeiter, die IBM damals in Deutschland beschäftigte. Der Umschlag verkündete "We are informing ourselves to death". Wer neugierig das Heft aufblätterte, wurde entweder enttäuscht oder war begeistert: Zwölf leere Seiten, gefolgt von einer Tabula rasa, die besinnliche Tage wünschte und allen Lesern anbot, einen von IBM gesponserten Vortrag des Medientheoretikers Neil Postman bei der Gesellschaft für Informatik per PROFS als E-Mail zu schicken.

Auf der letzen Seite notierte die Redaktion, was der IBM-Report im abgelaufenen Jahr alles veröffentlicht hatte. Vierhundertachtundneunzig Seiten mit einhundertneununddreißig längeren Artikeln, dreihundertdreiundsiebzig Kurzberichten und kleineren Meldungen, dreitausendsechshundertvierzig Personalnachrichten und eintausendeinhundertvierzig Kleinanzeigen kamen so zusammen. Eine Informationsflut im Sinne von Neil Postman, der damals an seinem Buch Das Technopol arbeitete. Die Weihnachtsgrüße von IBM an die Belegschaft werden von einem bekannten Goethe-Zitat begleitet: "Man sollte jeden Tag versuchen, ein kleines Lied zu hören, ein gutes Gedicht zu lesen, ein schönes Bild anzuschauen, und, wenn es möglich ist, ein paar vernünftige Worte zu sprechen."

Die leeren Seiten sollten an die Informationsüberflutung, an die Informationsverschmutzung erinnern. Der Informationshahn wurde zugedreht, um daran zu erinnern, dass viele IBM-Mitarbeiter beim Informationskonsum teure Arbeitszeit vergeuden. Der "Information Worker" war 1990 noch in weiter Ferne, der Rohstoff Information wurde eher als Informationsmüll definiert.

Der leere Jahresend-Report sorgte für heftige Reaktionen im gesamten Konzern und brachte das interne Mailsystem PROFS ins Wackeln. Wie geht man mit Informationen um, wie kann man Filter setzen, wann leitet man Informationen weiter, warum ist es albern, wenn Mails ausgedruckt werden: Diese und etliche interne Fragen mehr beschäfigten die Redaktion mehrere Monate lang. "Bei mir gehen so viele PROFS-Mails ein, dass ich bei bestimmten Absendern nur noch auf die Löschtaste drücke", schrieb ein Mitarbeiter. Ein anderer erzählte, wie er den Berg unerledigter Mails liegen lässt, um an einem Tag in Monat eine große Löschaktion zu starten. "Man riskiert, auf dringende Anfragen nicht mehr erreichbar zu sein."

Über 80 Leser schickten den Report kommentarlos zurück, weitere 86 nutzten die leeren Seiten zum Protest. Sie strichen zum Beispiel die Titelseite durch und notierten ein empörtes "Magerquark". Andere bemängelten einen Verstoß gegen den von IBM propagierten Umweltschutzgedanken: Ein Jahr früher hatte der Konzern in Deutschland verfügt, nur Recycling-Papier zu verwenden. Für die leeren Seiten wurde die Mitarbeiterzeitung mehrfach ausgezeichnet.

Der IBM-Report erschien erstmals 1965 und löste den "Stromkreis" ab, das seit 1934 existierende Hausblatt der Dehomag. Ob die besonderen Grüße für ein besinnliches Weihnachten nachhaltige Gedanken auslösten, ist nicht überliefert. Vielleicht war der Leser typisch, der an die Redaktion schrieb: "Ich bin begeistert. Ich werde mir zusammen mit meinen Kollegen Gedanken machen. Aber zuerst muss ich noch die Nachrichten lesen..." (anw)