Alles nur Entropie

Es gibt eine einfache Erklärung dafür, warum wir auf dem Weg in eine grüne Zukunft nicht vorankommen.

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Von
  • Niels Boeing

Das neue Jahr hat begonnen: Zeit für eine Inventur. Wie vermutlich viele andere auch habe ich diverse Newsletter ausgemistet, die sich über Monate im Mailprogramm angehäuft haben. Während die technischen Forschungsnewsletter in ihrer Aufgeregtheit über diverse "Könnte"-Durchbrüche ermüden, machen die Umwelt-Newsletter richtig gehend schlechte Laune.

Ob grüne Gentechnik, Biokraftstoffe, Klimapolitik, Landwirtschaft oder Energie – überall lugen die Mächte des Bösen hervor, wenn man nur genau genug hineinschaut, scheint es. Man kann den Eindruck bekommen, dass wir Jahr für Jahr Zeit verlieren beim Übergang zu einer nachhaltigen Zivilisation.

Nur: Wissen wir, wo der Pfad in diese seltsame Nachhaltigkeit wirklich lang geht?

Das Verblüffende an der "Informations"- oder "Wissensgesellschaft" ist ja gerade, dass sie keine Gewissheiten produzieren kann. Zu jeder Behauptung gibt es eine Studie – und zur jeweils gegenteiligen Behauptung auch.

Die einen rechnen vor, dass wir eine Stromlücke bekommen, wenn wir die Atomkraft zu früh abschalten, die anderen rechnen vor, dass es auf keinen Fall eine Stromlücke geben wird. Die einen zitieren Fälle, in denen genmanipulierte Pflanzen andere Organismen schädigen, die anderen halten dagegen, dass genau dies in keinem Kontrollexperiment je gezeigt werden konnte. Die einen argumentieren, Biolebensmittel seien gesünder und umweltfreundlicher, die anderen, sie seien es nicht – und beide argumentieren natürlich mit Zahlen. Die einen sagen, ein rigoroser Klimaschutz jetzt sofort werde uns in den wirtschaftlichen Ruin führen, die anderen entgegnen, gerade ein Verzicht auf rigorosen Klimaschutz ruiniere uns. Für diese Art von hart umkämpfter Ungewissheit finden wir zahllose Beispiele.

Welchen Reim soll sich der normale Verbraucher, der Laie darauf machen? Erst recht, wenn ihm alle noch einreden, er solle bei sich selbst anfangen, ja die grüne Wende liege in seinen Händen.

Er könnte induktiv vorgehen: Die Umweltbewegten haben immer schwarz gemalt, und die Welt steht heute nicht schlechter da als etwa beim ersten Bericht des Club of Rome 1972. Wozu also die ganze Aufregung? Er könnte auch weltanschaulich entscheiden und schauen, ob er mit Umweltpessimisten oder mit Umweltoptimisten mehr Gemeinsamkeiten entdeckt. Vielleicht vertraut er lieber auf eine technisch angemessene Lösung, beispielsweise: Wenn ich Licht haben will, kaufe ich keine Glühbirne, die Strom zum allergrößten Teil in Wärme umwandelt, um die es gar nicht geht, sondern eine Energiesparbirne. Oder er wartet auf Staat und Wirtschaft, dass sie Entscheidungen treffen (was Dreiviertel der Bundesbürger laut einer aktuellen UBA-Umfrage wünschen).

Auch hier schon wieder vier Möglichkeiten. Herrje. Ist die – nachhaltige – Zukunft nicht leichter und schneller zu haben?

Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal geschrieben: "Dokumente sind häufig geeignet, uns Gewißheit über ein vergangenes Faktum zu geben." Und nur darüber. Eine Gesellschaft aber, die immer mehr Dokumente produziert und damit immer mehr Information vor allem über die Vergangenheit zusammenträgt, produziert auf diese Weise noch mehr potenzielle Information, wie es weitergehen könnte. Die moderne "Ungewissheitsgesellschaft" ist gewissermaßen ein Ausdruck der ständigen Zunahme an Entropie im Universum, die für Weizsäcker identisch mit potenzieller Information war, im Gegensatz zu aktueller Information.

Sollten Ihnen also dieses ewige Hin und Her bei Umweltthemen auf die Nerven gehen, lächeln Sie's weg: alles nur Entropie. Das ist doch mal ein einfacher Vorsatz für das neue Jahr. (nbo)