Amphibische Ambitionen

Die Inselnation Japan macht es vor: Nach der Ausbeutung kommt jetzt die Besiedlung der Meere dran. Mehr Sinn als Raumfahrt machen die verrückten Ideen allemal.

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Von
  • Martin Kölling

Die Inselnation Japan macht es vor: Nach der Ausbeutung kommt jetzt die Besiedlung der Meere dran. Mehr Sinn als Raumfahrt machen die verrückten Ideen allemal.

Von meinem Arbeitszimmer in Tokio schaue ich auf den Meeresspiegel. Mein Wohnhochhäuschen steht nämlich auf einer der künstlichen Inseln in der Bucht von Tokio. Und immer wieder stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ein Anstieg des Wasserspiegels um einen Meter große Teile Tokios und der Industriemetropolen Nagoya und Osaka wieder verschlucken würde. (Und, nebenbei bemerkt, laut diverser Overlays für Google Maps meine Heimatstadt Bremen zur Küstenstadt macht.)

Daher bin ich für einige verrückte Ideen japanischer Ingenieure sehr empfänglich, die im Prinzip nichts weniger als eine Besiedlung des Meeres planen. Diese Woche fand sich das ambitionierte Projekt von Takao Kashiwagi, Professor an der Tokioter Technischen Hochschule, in der Wirtschaftszeitung "Nikkei" wieder. Kashiwagi hat sich demnach mit Japans ältestem Bauunternehmen Takenaka und Firmen wie NEC zusammengeschlossen, um vor der Küste kleine Biotreibstoff-Anlagen aufzubauen. Dort sollen Algen biologischen Brennstoff herstellen und dabei Kohlendioxid binden. Im April will Kashiwagi dazu eine Stiftung gründen.

Sie halten das für größenwahnsinnig? Dann sollten Sie sich mal die Arche Noah ansehen, die dem Baukonzern Shimizu vorschwebt. Der Konzern träumt von auf treibenden Betonröhren gebauten künstlichen Inseln, auf denen rund 50.000 Menschen pro Modul leben und sich ernähren können. "Grüne Flöße" nennt der Konzern die Idee. Der Clou der Entwürfe ist ein 1000 Meter hoher Wohn- und Landwirtschaftsturm aus Magnesium in der Mitte der kreisrunden Inseln, der aussieht wie ein Sektkelch mit einem Dorn in der Mitte.

Die Dinger sollen, geht es nach dem Erfinder, am Äquator entlang treiben, weil es dort erstens kaum Taifune gibt. Und zweitens in der Höhe der Wohnareale im Kelch (in 800 bis 1000 Meter Höhe!) ganzjährig gemütliche 26 Grad Celsius warm ist. Das spart Heizkosten. Das Fundament aus teilweise mit Wasser gefüllten Betonröhren bereitet den Visionären dabei weniger Kopfzerbrechen, denn die Technik wird ja bereits für Bohrinseln verwendet. Auch die Herkunft der enormen Mengen Magnesium ist konzeptionell gelöst, soll es doch aus Meerwasser gewonnen werden. Nur wie sie das Metall zu einem haltbaren Mega-Hochhaus zusammenschweißen wollen, ist ihnen noch unklar. Denn Magnesiumschweißen funktioniert bisher nur im kleinen Maßstab. Sagen wenigstens die Ingenieure.

Immerhin: Das Konzept sieht lebenswert aus. Um den Turm herum liegen grüne Wiesen und Wälder. Am Inselrand sind Lagunen, Strände, Promenaden und Wohnungen mit Seeblick angesiedelt. Und im Wohnturm soll es Raum für Fabriken, Firmen, Hochschulen, Kinos, Kaufhäuser und Kindergärten geben. Und auch auf Sushi und Sashimi müssten die Meeresbürger nicht verzichten. In Japan ist ja bereits die künstliche Zucht, Aufzucht und Haltung des Blauflossenthuns gelungen.

So vermessen die Ideen sich auch anhört, bin ich doch der Meinung, dass Investitionen in solche Projekte potenziell für die Menschheit sehr viel mehr Sinn machen als Ausflüge zum Mond oder Mars. Denn durch sie könnten weit mehr Menschen Lebensraum und -qualität gewinnen als durch futuristische Raumbasen. Unter dem Motto: Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah. (bsc)