Glas, stärker als Stahl

Ein neuer Werkstoff könnte einen äußerst robusten Zahnersatz liefern - und andere neuartige Produkte.

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Von
  • Arnie Cooper

Ein neuer Werkstoff könnte einen äußerst robusten Zahnersatz liefern – und andere neuartige Produkte.

In der Welt der Materialwissenschaften sind Festigkeit und Härte nicht nur zwei verschiedene Attribute eines Werkstoffes – es sind Eigenschaften, die selten zusammengehen. Forscher am California Institute of Technology (Caltech) und dem Lawrence Berkeley National Laboratory haben nun eine neuartige Form von Glas entwickelt, die beide Qualitäten besitzt. Es ist fester und härter als Stahl. Der Werkstoff enthält Palladium, ein Metall, dessen Nutzbarkeit in Gläsern bereits vor 45 Jahren entdeckt worden war.

"Es ist wahrscheinlich das schadenstoleranteste Material, das wir jemals getestet haben", meint Robert Ritchie, Professor an der University of California in Berkeley, der das neue Material untersuchen konnte. Eine solche Belastbarkeit sei mit 100 Prozent Glas bislang nicht erzielt worden, meint der Experte. Außerdem sei das neue Material wahrscheinlich für eine Massenproduktion geeignet. Julia Greer, Juniorprofessorin für Materialwissenschaften am Caltech, die den Werkstoff ebenfalls analysiert hat, glaubt, er habe "das Potenzial, die Einschränkungen, die metallische Gläser bislang hatten, hinter sich zu lassen".

Caltech-Professor Marios Demetriou, Leiter des Forscherteams hinter dem Superglas, begann zunächst damit, eine besonders starke Glasgrundform, das sogenannte Marginal Glass, aufzubauen und es dann weiter zu sogenanntem Bulk Glass zu verstärken.

Das Marginal Glass bestand aus Palladium mit kleinen Halbmetall-Stückchen wie Phosphor, Silizium und Germanium. Daraus ergaben sich Proben mit einer Dicke von einem Millimeter. "Dann haben wir uns gesagt: Warum nicht etwas ergänzen, um daraus Bulk Glass zu machen, ohne dass es brüchig wird?", erzählt Demetriou. 3,5 Prozent Silber im Marginal Glass erreichten den Trick: Die Dicke ließ sich auf sechs Millimeter erhöhen, ohne die Härte zu beeinträchtigen.

"Die Achillesferse dieser metallischen Gläser war bislang stets, dass sie Zuglasten oder anderen Deformationen kaum aushielten. Dann bricht das Material völlig zusammen", sagt Expertin Greer. Grund dafür sind kleine Defekte, die sich zu einer venenartigen Struktur verbinden. Es entstehen so genannte Scherungsbänder – das Glas bricht schon nach sehr geringer Belastung. Demetrious Superglas verhält sich anders: Es formt so viele dieser Scherungsbänder, dass sie selbst ein Muster bilden, das eine Ausbreitung von Rissen verhindert. Auch ändert sich dabei nichts an den grundlegenden Materialeigenschaften.

Tester Ritchie von der UC Berkeley hält es für möglich, andere Elemente mit dem neuen Werkstoff zu kombinieren, um noch bessere Gläser zu erzeugen. John Lewandowski, Professor für Metallurgie an der Case Western Reserve University, glaubt deshalb, dass Demetrious Arbeit viele weitere Studien auf dem Gebiet anregen wird. "Dabei wird es darum gehen, die Details zu untersuchen, Modelle zu erstellen und zu analysieren, was genau bei solchen Tests und auch unter verschiedenen Temperaturen passiert."

Ein Grundproblem bleiben noch die sehr hohen Kosten von Palladium. So viele Anwendungen es für den neuen Werkstoff auch gibt – vom Automobilbau bis zur Luftfahrt – viele von ihnen sind vermutlich zumindest anfangs zu teuer.

Demetriou bleibt jedoch optimistisch. Er sieht schon jetzt eine Nachfrage für sein metallisches Glas. Produkte wie Zahnimplantate könnten den Anfang machen – und zwar bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre. "Das Material ist eine bessere Alternative zu Edelmetallen." Die seien weicher und steifer und führten eher zu Abnutzung und Knochenschwund.

Nun muss zunächst ein Hersteller davon überzeugt werden, dass der neue Werkstoff wirklich ungewöhnliche und vor allem einzigartige Eigenschaften bietet. Anschließend kommt es zu einer Reihe von Tests – Leistung, Langlebigkeit, Biokompatibilität stehen unter anderem auf der Liste. Erst dann könne bestimmt werden, ob der Preis wettbewerbsfähig bleibe, meint Demetriou.

Der Aufbau größerer Strukturen aus dem Material dürfte aber aufgrund der zu erwartenden Kosten auch auf längere Sicht ins Reich der Fantasie gehören – so interessant es womöglich beispielsweise im Brückenbau wäre. Doch auch diese Hoffnung will Demetriou nicht ganz aufgeben. "Wenn wir eine Eisen- oder Kupferlegierung mit diesen Eigenschaften hinbekommen, würden wir Stahl wohl für immer aus dem Geschäft drängen." (bsc)