Mehr als ein Sack Reis

Der zweite Bericht der NanoKommission enthält viele gute Ansätze. Er zeigt aber vor allem, dass die Nanotechnik ein handfestes Informationsproblem hat. Und zwar ein Doppeltes.

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Von
  • Niels Boeing

Wenn die Nano-Kommission der Bundesregierung heute ihren zweiten (und vorläufig) letzten Bericht vorstellt, wird dies für viele Medien wahrscheinlich so interessant sein wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt.

Das ist schade, denn die Kommission hat seit 2006 einiges auf den Weg gebracht. Ganz in der korporatistischen Tradition der Bundesrepublik überlegten hier Vertreter von Industrie, Behörden, Umweltorganisationen, Verbraucherschützern und Gewerkschaften gemeinsam, wie man Nanotechnologien möglichst sinnvoll und mit Bedacht nutzen könnte. Ganz ohne Schlammschlacht.

So einigten sich 2008 (im ersten Bericht) alle Beteiligten auf fünf grundlegende Prinzipien für einen verantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien ("5 Prinzipien") sowie auf drei Gefährdungsgruppen für Nanomaterialien. Das war, gemessen an der manchmal etwas ziellosen Debatte der Vorjahre, eine erfreuliche Wendung.

Auch der neue Bericht enthält gute Ansätze:

  • einen Leitfaden für "grüne Nanotechnologien", die den Designprinzipien Biomimetik, Risikoarmut und Ressourceneffizienz folgen sollen;
  • erste Konzepte für eine Art Nanoprodukt-Check, um Nutzen und Risiken möglichst schon in der Entwicklung abzuschätzen;
  • mehr Gewicht auf Umwelt- und Verbraucherschutz zu legen, nachdem in der ersten Runde noch der Arbeitsschutz im Vordergrund gestanden hatte.

Allerdings zeigt der Bericht auch deutlich, dass der Konsens der verschiedenen Stakeholder Grenzen hat: nämlich in der Frage einer möglichen Regulierung von Nanomaterialien durch verschiedene EU-Verordnungen (Chemikalien/REACH, Novel Food, Kosmetik, Gefahrstoffe/RoHS) sowie hinsichtlich einer Produktkennzeichnung und eines Produktregisters.

Zu denken gibt außerdem, dass die "fünf Prinzipien" von 2008 sich bislang in der Industrie kaum herumgesprochen haben.

Diese Dissonanzen zeigen für mich, dass die Nanotechnik allmählich ein handfestes Informationsproblem hat. Und zwar ein Doppeltes: Zum einen wissen wir zu wenig über die Auswirkungen von Nanotechnologien – was je nach Interessenlage als Argument pro oder contra Regulierung angeführt wird. Zum anderen erreicht das, was wir immerhin wissen, zu wenig die Verbraucher (oder Bürger) und – wie bei den "5 Prinzipien" – oft genug auch nicht kleinere Hersteller oder Verarbeiter.

Dagegen hilft nun aber kein weiterer, institutionalisierter Dialog allein. Jetzt muss es heißen: "Butter bei die Fische": Wenn systematische Risikodaten fehlen, muss man sie beschaffen – und bezahlen. 2008 hatte die Nanokommission bemängelt, die Fördergelder für die Risikobegleitforschung seien mit jährlich sechs Millionen Euro zu niedrig. Inzwischen umfasst der Topf immerhin 14 Millionen. Auch das ist nach wie vor nur ein kleiner Teil der Gesamt-Nanoförderung, die 2010 etwa 460 Millionen Euro betrug (Bund und Länder zusammen).

Geradezu ärgerlich finde ich, dass es 2011 immer noch kein öffentliches Informationsportal zum Thema Nanotechnologien und -produkten gibt. Die Nano-Kommission hatte es bereits 2008 empfohlen (so auch jetzt wieder) – das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag gar schon 2003.

Der Nanotruck ist eine nette Sache, aber doch bitte kein adäquater Ersatz dafür. Zumal die Bürger nicht nur wissen wollen, wie Nanotechnik funktioniert, sondern auch, was sie von verschiedenen Nanoprodukten halten sollen – zumindest entnehme ich das Leserkommentaren und persönlichen Gesprächen regelmäßig. Die nanopartikel.info-Seite, aus den Projekten Nanocare, INOS und Tracer hervorgegangen, geht schon in die richtige Richtung, müsste aber deutlich ausgebaut werden. Für Nano-Verbraucherprodukte bleibt bislang nur Verzeichnis des Wilson Centers. Doch so lobenswert die Arbeit ist, hilft es auf Englisch hiesigen Verbrauchern kaum (abgesehen davon, dass die Kriterien für die Auswahl zu dünn sind).

Die spannende Frage ist nun: Was passiert mit den Empfehlungen der Nano-Kommission in den verschiedenen Bundesministerien? Werden sie nur in den nächsten Dialogprozess eingespeist – oder werden sie angepackt? (nbo)