Nutzerlobby gegen Lizenz zur "Dauerüberwachung" im Internet

Elf zivilgesellschaftliche Organisationen fordern umfassende Änderungen am geplanten Telemediengesetz, um die Netzbürger vor Werbemüll, Datenklau und übermäßiger Staatskontrolle zu schützen.

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Elf zivilgesellschaftliche Organisationen fordern umfassende Änderungen am geplanten Telemediengesetz (TMG), um die Netzbürger vor Werbemüll, Datenklau und übermäßiger Staatskontrolle zu schützen. Laut einer 60-seitigen Stellungnahme (PDF-Datei) mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung des Regierungsentwurfs für das volksnah betitelte "Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz" (ElGVG), das die Regulierung neuer Mediendienste vereinheitlichen und ein besseres Zusammenspiel mit dem 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag der Länder erreichen will, soll der Gesetzgeber die Sammlung und Aufzeichnung von Daten im Internet auf ein Mindestmaß beschränken. In der konsequenten Datenvermeidung sieht der Zusammenschluss, dem unter anderem der Bundesverband der Verbraucherzentalen, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, die Initiative STOP1984, der FoeBuD oder die Humanistische Union angehören, "den besten Schutz vor Datendiebstahl und Datenmissbrauch".

Verbraucher erwarten laut dem Papier, "dass sie im virtuellen Leben ebenso anonym und überwachungsfrei handeln können wie im wirklichen Leben." Die Gruppierungen machen sich daher erneut insbesondere für die Ausformulierung eines gesonderten "Telemediennutzungsgeheimnisses" analog zum Fernmeldegeheimnis stark. Die sensiblen Bestandsdaten wie Name, Anschrift oder persönliche Nutzerkennungen sollen damit einem besonderen Schutz unterstellt werden. Zur Begründung heißt es, dass schon Informationen, welche Telemediendienste eine Person in Anspruch nimmt, "weitreichende Rückschlüsse auf politische, finanzielle, sexuelle, weltanschauliche, religiöse oder sonstige persönliche Interessen und Neigungen zulassen".

Der momentan vom Bundestag beratene Regierungsentwurf sieht "noch erhebliche Absenkungen des bestehenden Datenschutzniveaus vor", warnt der Jurist Patrick Breyer zur Unterstützung der gemeinsamen Position der Verbraucher- und Datenschutzorganisationen. "Die Parlamentarier müssen hier mutig gegensteuern und die Anhäufung privater Informationen durch Betreiber von Websites unterbinden." In einer Informationsgesellschaft seien die persönlichen Daten, "die wir dem Internet anvertrauen, Schlüssel zu unserem Privatleben." Internetunternehmen sollten diese Informationen nicht "endlos horten und dem Zugriff von Datendieben und Betrügern, aber auch der Schnüffelei von Behörden aussetzen dürfen." Die dringliche Notwendigkeit zum Handeln habe etwa die Veröffentlichung der Sucheingaben von 600.000 Menschen durch AOL ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Konkret wendet sich die Stellungnahme etwa gegen eine Klausel im TMG-Entwurf, wonach die Anbieter von Tele- und Mediendiensten "für Zwecke der Strafverfolgung, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum" zur Herausgabe von Bestands- und Nutzungsdaten verpflichtet werden sollen. Damit würde die "grundrechtliche Erfordernis" einer spezifischen "Ermächtigungsgrundlage" für entsprechende staatliche Auskunftsanspruche ausgehebelt, moniert das Papier. Dessen Änderungsvorschlag sieht daher vor, dass nur anhand des zur Telefonüberwachung berechtigenden Straftatenkatalogs gerichtlich angeordnet werden kann, dass Diensteanbieter Auskunft über die genannten Datentypen zu erteilen haben. Eine Aufnahme der Nachrichtendienste in den Kreis der "berechtigten Stellen" sei abzulehnen, da diese bereits eigene Befugnisse hätten.

"Vollends undurchdacht" sei die beabsichtige Zulassung von Auskünften bei Urheber-, Patent- oder Markenrechtsverletzungen. Die geplante "Blankoermächtigung" würde die besonderen Voraussetzungen der speziellen Vorschrift zu zivilrechtlichen Auskunftsansprüchen, an der das Bundesjustizministerium gerade arbeitet, aushebeln. In der Praxis wende sie sich zudem an Zugangsprovider, nicht an die Anbieter von Telemediendiensten. Die vom Bundesrat geforderte und von der Bundesregierung bereits befürwortete zusätzliche Auskunftsregelung für die "vorbeugende Bekämpfung von Straftaten" und die Gefahrenabwehr kritisiert die Stellungnahme ebenfalls scharf. Auch hier fehle die erforderliche "bereichsspezifische Ermächtigungsgrundlage".

Zu den weiteren der zahlreichen korrekturbedürftigen Punkte, die das Papier detailliert anspricht, gehört etwa eine klare Festschreibung des Rechts auf Anonymität auch im Internet, der bessere Schutz der Meinungsfreiheit im Internet durch entschlackte Haftungsregeln und die Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung zur Entfernung oder Sperrung von Informationen im Web, Klarstellungen bei der vorgesehenen Impressumspflicht für private Website-Anbieter oder ein Verbot des Ausspionierens der Nutzer durch "Spyware" oder "Web-Bugs". Eingeschränkt wissen will das Dokument zudem die Möglichkeit zum Erlass von Sperrungsverfügungen; sie sollen sich nur auf inländische Inhalteanbieter beziehen können. Für die Erstellung von Nutzerprofilen soll eine Einwilligung der Betroffenen erforderlich sein.

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)