"Deutschland ist im Moment nicht Vorreiter"

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Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Als sich 2006 die Debatte um potenzielle Risiken der Nanotechnik verschärfte – auch infolge des so genannten Magic-Nano-Zwischenfalls , der am Ende keiner war –, reagierte die Bundesregierung mit der Einsetzung der NanoKommission. Sie leitete fortan einen sogenannten Stakeholder-Dialog („NanoDialog“), in dem Vertreter aus Wissenschaft, Industrie, Politik und Zivilgesellschaft im Laufe der vergangenen vier Jahre Empfehlungen für „verantwortungsvollen Umgang mit Nanotechnologien“ entwickelten.

Anfang Februar legte die NanoKommission ihren Abschlussbericht vor. Technology Review sprach mit dem Vorsitzenden, Staatssekretär a.D. Wolf-Michael Catenhusen, über den tatsächlichen Einfluss der NanoKommission auf die Politik, die umstrittenen Forderungen nach einem Register und einer Kennzeichnungspflicht für Nanoprodukte sowie seine Erwartungen an Industrie und Politik.

Technology Review: Herr Catenhusen, welches Resümee ziehen Sie nach über vier Jahren aus der Arbeit der NanoKommission?

Wolf-Michael Catenhusen: Ich habe gemischte Gefühle. Auf der einen Seite glaube ich schon, dass wir mit der NanoKommission einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Stakeholder-Dialogs geleistet haben, der ja das Rückgrat des gesellschaftlichen Dialogs über Nanotechnologien darstellt. Auf der anderen Seite denke ich, dass die Politik an solche Dialoge klarere Fragen formulieren muss.

TR: Wie groß ist überhaupt der Einfluss der NanoKommission auf die Bundesregierung?

Catenhusen: Es ist gar keine Frage, dass aus diesem Dialog auch eine Menge Anregungen in die Politik eingegangen sind, auch in den „Aktionsplan Nanotechnologie 2015“, den die Bundesregierung im Januar veröffentlicht hat. Dies war ein paralleler Prozess, der sich durchaus gegenseitig befruchtet hat. Im Nachhinein betrachtet hätte man ihn direkter steuern können. In Österreich zum Beispiel wurde die Nanotech-Strategie der dortigen Regierung von einer Plattform entwickelt, an der verschiedene gesellschaftliche Akteure beteiligt waren – nicht nur von den Ministerien. Solche Modelle, die es auch in der Schweiz oder in Großbritannien gegeben hat, können für das Innovationsfeld „Nano“ auch eine politische Innovation sein.

TR: Welche Anregungen der NanoKommission finden sich im Aktionsplan 2015 wieder?

Catenhusen: Auffällig ist, dass darin das Profil von Beiträgen von Nanotechnologien für eine nachhaltige Entwicklung geschärft worden ist – also in den Bereichen Umwelt und Energie. Dies ist von Anfang ein Anliegen der NanoKommission gewesen. Im Aktionsplan von 2006 sind diese Themen noch nicht sehr prominent gewesen. Wenn sich Bundesumweltminister Röttgen inzwischen für ein Nanoproduktregister ausspricht, dann waren die Vorarbeiten in der NanoKommission für die Meinungsbildung im Ministerium sicher nicht unwichtig.

TR: Waren Sie überrascht, dass Röttgen auf der Abschlussveranstaltung des NanoDialogs sagte: „Es muss ein Nanoproduktregister her, auf EU-Ebene“? Oder ist das eine leichte Forderung, weil noch nicht klar ist, wie solch ein Produktregister konkret aussehen wird?

Catenhusen: Es ist natürlich schon wichtig, dass Deutschland als das größte EU-Land endlich überhaupt Stellung zu einem Nanoproduktregister bezogen hat, das in der EU schon länger diskutiert wird. Damit ist aber natürlich noch nicht die schwierige Frage beantwortet, welche Funktion es haben soll. Röttgen favorisiert wohl ein Register, das als Frühwarnsystem für Regulierungsbehörden dient. Dort würden die Inhaltsstoffe von Produkten an zentraler Stelle erfasst, so dass, wenn unvorhergesehenerweise etwas passiert, die Behörden wissen, wo sie nachschauen müssen.

TR: Nun gibt es zu derartigen Aufklärungsinstrumenten unterschiedliche Positionen. Einige Gruppen wollen kein Produktregister, dafür aber eine Kennzeichnungspflicht für Nanoinhaltsstoffe. Die Umweltverbände wollen beides, der Verband der Chemischen Industrie (VCI) weder das eine noch das andere. Was favorisieren Sie?

Catenhusen: Ein Produktregister, weil man hier viele Anwendungen erfassen kann und es leichter zu organisieren ist. Man darf allerdings ein Produktregister auch nicht zu einem Genehmigungsverfahren durch die Hintertür machen.

Parallel dazu wird aber für Produkte, bei denen Verbraucher mit Nanopartikeln in Berührung kommen können, eine Kennzeichnung erforderlich sein. Wir haben ja schon bei Lebensmitteln und Kosmetika Kennzeichnungen von verbrauchernahen Produkten, so dass ich die Übertragung auf Nanoprodukte in diesen Bereichen für wenig dramatisch halte. Eine generelle Kennzeichnung von Nanoprodukten kann ich mir aber nicht vorstellen.

TR: Spricht irgendetwas dagegen, ein solches Produktregister für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen?

Catenhusen: Bei diesen Sicherheitsfragen geht es natürlich immer auch um Produktionsknowhow. Wir wären etwas verwegen, wenn wir die Rezepte der Nanoprodukte so ins Internet stellen würden, so dass China und andere Länder sie nur noch abschreiben müssen. Ich bin aber sehr dafür, dass wir von einer unabhängigen Stelle Produktinformationen anbieten lassen, über Nutzen und Funktionen von Nanoprodukten – so wie es die Amerikaner auf freiwilliger Basis bereits machen. Ich könnte mir das als europäisches Projekt vorstellen.

Mir gefällt außerdem die Idee, dass zum Beispiel die Stiftung Warentest beginnen würdet, Produkte mit und ohne Nanozusatz zu vergleichen, zum Beispiel Textilien mit und ohne Nanosilber. So könnte der Verbraucher ein Gefühl dafür bekommt, wofür Nanomaterialien überhaupt gut sein sollen.

Es steht für mich aber außer Zweifel, dass es sinnvolle Nanoprodukte gibt. Sonnencremes mit Nanopartikeln werden nicht vom Markt genommen, denn es gibt Verbraucher, die mehr Probleme mit Sonnenbrand haben und von dem größeren Absorptionseffekt von Nano-Titandioxid profitieren können.

TR: Von welcher Seite kam das Thema "Green Nano" eigentlich in die Kommission?

Catenhusen: Wir müssen hier zwei Dinge unterscheiden: Nanotechnologien für eine nachhaltige Entwicklung war schon ein Kernanliegen bei der Gründung der Kommission. Die Aufnahme des Leitbildes "Green Nano" in den Abschlussbericht geht zum einen auf Arnim von Gleich von der Universität Bremen zurück, der bereits an der Diskussion um "Green Chemistry" beteiligt war. Ich selbst als Forschungspolitiker habe wiederum meine Erfahrungen aus verschiedenen Technologiefeldern mitgebracht, wie Leitbilder zur frühzeitigen Orientierung der Technologieentwicklung beitragen können.

Die Technologiepolitik ist ja in den achtziger Jahren entstanden. Damals wurden Leitbilder zur Steuerung von Technologien untersucht, wobei Steuerung ein typischer Begriff aus den achtziger Jahren ist. Die Adressaten solcher Leitbilder sind die wissenschaftliche Community und die Unternehmen, die über Forschungsschwerpunkte entscheiden müssen.

TR: Wie weit haben sich Industrie und Umweltorganisationen im Nanodialog aufeinander zubewegt?

Catenhusen: Ich denke, beide Seiten haben sich besser verstehen gelernt. Sie haben sich argumentativ ernster genommen als vorher. In Regulierungsfragen bilden aber der VCI und der BUND nach wie vor die Pole der Diskussion. Umweltschutz ist für die Industrie ein zentrales Feld, aber nicht das alleinige.

TR: Sind wir an einem Punkt angelangt, an dem neu entstehende Technikgebiete nicht mehr anders gemanaget werden können als in Form solcher Stakeholder-Dialoge – im Unterschied zu früher, wo die Entwicklung eher mit einem Trial and Error am Markt startete?

Catenhusen: Die Wissenschaft hält natürlich immer Überraschungen bereit. Neue Wissenschaftsfelder kann man nicht steuern. Wenn aber ein solches Gebiet, wie derzeit etwa die Synthetische Biologie, eine strategische Relevanz für die Wissenschaft gewinnt und zugleich Auswirkungen auf die Gesellschaft absehbar sind, muss man aus den Erfahrungen der Technikentwicklung lernen.

Die "Innovationsallianz" bilden nicht nur Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – das war das klassische Modell. Nein, wir müssen diese Allianz schon früh um Akteure erweitern, die für die gesellschaftliche Akzeptanz wichtig sind und eine Art Radarsystem für Chancen und Risiken darstellen. Der Markt allein kann diese Prozesse nicht mehr steuern. Dafür sind auch die Innovationsfelder zu umfassend und die Entscheidungsoptionen bei den nötigen Großinvestitionen zu unsicher. Wir haben heute bei den Nanotechnologien einen Überblick über 20 Prozent der Anwendungen. Die Industrie wird sorgfältiger darauf zu achten haben, wo sie Schwerpunkte für Investitionen setzt.

TR: Sieht die Industrie das genauso – dass der Markt allein die Entwicklung nicht mehr steuern kann?