Assistenzarzt Dr. Watson

IBM und Nuance, führender Hersteller von Spracherkennungssoftware, wollen die Fähigkeiten des Quiz-Computers Watson nun für das Gesundheitssystem nutzbar machen.

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Von
  • Katharine Gammon

IBM und Nuance, führender Hersteller von Spracherkennungssoftware, wollen die Fähigkeiten des Quiz-Computers Watson nun für das Gesundheitssystem nutzbar machen.

Als der neue IBM-Superrechner Watson vergangene Woche zwei Menschen im Quizspiel Jeopardy schlug, mischte sich in das Staunen auch Unbehagen. Computer brillieren nun auch schon in assoziativem „Denken“. Doch die zugrunde liegenden Algorithmen sollen künftig sinnvoller eingesetzt werden als in einem schnöden Quiz: IBM und Nuance, führender Hersteller von Spracherkennungssoftware, wollen Watsons Fähigkeiten für das Gesundheitssystem nutzbar machen.

„Das medizinische Wissen verdoppelt sich derzeit innerhalb weniger Jahre“, sagt Janet Dillione, Leiterin der Abteilung Gesundheitmärkte bei Nuance. „Kein menschliches Gehirn ist in der Lage, all diese Informationen auch nur annähernd parat zu haben.“

Der Rechner soll die gewaltigen medizinischen Datenmassen verarbeiten und Ärzten in Echtzeit bei Diagnosen und Behandlungsplänen unterstützen. Langfristig sollen Mediziner ihre Fragen sogar in natürlicher Sprache an Watson richten können. Im Vergleich zum Jeopardy-Spiel dürfte diese Aufgabe aber noch um Längen schwieriger werden.

Im Unterschied zu anderen Gesundheits-IT-Systemen sei Watson aber der erste Computer, der auch medizinische Informationen in Form von Sprachaufzeichnungen, Notizen und Artikeln sinnvoll verarbeiten könne, sagt Dillione. Nuance plant, eine erste Watson-basierte Version seines neuen Beratungssystems in zwei Jahren fertig zu haben.

Gegenwärtig verfügt Watson über 200 Millionen Dokumente mit unstrukturierten Daten. Darunter sind bereits auch medizinische Informationen. Im ersten Schritt IBM und Nuance in einem Forschungsprojekt herausfinden, welche medizinischen Daten Watson eigentlich für das künftige Einsatzgebiet benötigt. Anschließend wartet die knifflige Aufgabe, die Daten in der richtigen Form aufzubereiten.

Für Jeopardy war Watson mit vorkategorisierten und verschlagworteten Daten gefüttert worden. Die medizinische Fachliteratur enthält hingegen Terabytes aus sehr speziellen und unstrukturierten Daten.

„Medizinische Texte enthalten häufig zweideutige Akronyme, Abkürzungen, Tabellen und Aufzählungen und grammatikalisch unübliche Formulierungen“, sagt Stephane Meystre, Bioinformatiker an der University of Utah. Ebenso schwierig dürfte es für Watson sein, einem Gespräch zwischen Arzt und Patient zu folgen. Während Fachliteratur sehr formalisiert ist, fehlen in Konversationen oft klare sprachliche Formen. Im klinischen Einsatz müsse das Watson-System sehr präzise und schnell arbeiten, sagt Meystre. Während Geschwindigkeit kein Problem sein dürfte, sei mangelnde Genauigkeit problematisch, nicht zuletzt aus juristischen Gründen.

Ärzte und Krankenpfleger werden zudem ein Training benötigen, um solch ein System nutzen zu können. Sie würden normalerweise lange, beschreibende Antworten auf medizinische Fragen erwarten, nicht so kurze, wie Watson sie bei Jeopardy gegeben habe, sagt Rohit Kate, Informatiker und Experte für Sprachverarbeitung an der University of Wisconsin in Milwaukee.

„Das Krankenhauspersonal erwartet nicht nur knappe Auskünfte, sondern auch Begründungen“, betont Kate. Wenn diese fehlten, sei es unwahrscheinlich, dass Ärzte und Pfleger sich auf die Antworten verließen. Deshalb müsse eine medizinische Version von Watson auch seine Schlussfolgerungen erklären und Quellen zitieren können. Im Idealfall sollte der Rechner seine Antwort im direkten Gespräch mit einem Arzt erläutern können.

Kate geht davon aus, dass nicht alle Mediziner technisch so beschlagen sind, ein solches System unbefangen zu nutzen. „Einige dürften Bedenken haben, einem Computer zu vertrauen, andere sich sogar in ihrem Expertenstatus bedroht fühlen“, gibt Kate zu bedenken. Bevor Watson zum fachlichen Plausch mit Ärzten und Pflegern fähig sei, würden wohl noch mindestens zehn Jahre vergehen, schätzt Kate.

Michael Swiernik, Direktor der Medical Informatics-Abteilung an der University of California in Los Angeles, kann sich allerdings vorstellen, Watson schon jetzt im Gesundheitswesen einzusetzen, wenn auch mit einer etwas bescheideneren Aufgabe: als maschinelles Call Center, das Patienten und Bürgern rund um die Uhr Auskunft zu medizinischen Fragen gibt.


Mehr zum Thema Watson in der heute erschienenen TR-Ausgabe 3/2011: ein Interview mit David Ferrucci, Leiter des IBM-Forschungsprojekts DeepQA/Watson über die zugrunde liegende Technologie und künftige Einsatzgebiete von Watson. Das Heft kann hier portokostenfrei bestellt werden. (nbo)