Studie: P2P-Flatrate ist juristisch und ökonomisch machbar

Laut einem Rechtsgutachten würde eine "Content-Flatrate" zur kompletten Legalisierung von Tauschbörsen nicht gegen internationale Verträge verstoßen, sodass sich die Initiative privatkopie.net neu dafür einsetzt.

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Die Einführung einer so genannten Content- oder Kulturflatrate zur kompletten Legalisierung von Tauschbörsen würde nicht gegen internationale Urheberrechtsverträge oder EU-Recht verstoßen. Dies ist das Ergebnis eines Gutachtens, das am Lehrstuhl des französischen Rechtsprofessors André Lucas entstand. Die Initiative privatkopie.net und das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) haben die Studie im Vorfeld des morgigen "Tags des Geistigen Eigentums" mit Unterstützung der EU-Verbraucherschutzorganisation BEUC und der Stiftung Bridge in englischer Übersetzung einem größeren Kreis von Interessierten zugänglich gemacht (PDF-Datei).Ursprünglich hatte die Untersuchung die französische Alliance Public-Artistes in Auftrag gegeben, die sich wie privatkopie.net vor allem mit dem Argument der Entkriminalisierung von Filesharern und Jugendlichen für die P2P-Flatrate stark macht.

Mit der Studie werden den Gegnern einer neuen Vergütungspauschale zur Freigabe der Tauschbörsennutzung wichtige Argumente aus der Hand genommen. So hat das Bundesjustizministerium in der Begründung für den Regierungsentwurf (PDF-Datei) für den so genannten 2. Korb der Urheberrechtsreform gegen die Content-Flatrate etwa den Einwand erhoben, dass es dafür keine "Grundlage im europäischen Urheberrecht" gebe. Es dürften auch im Internet keine allgemeinen Ausnahmen von den Rechten der Industrie zur "umfassenden" Verwertung von Werken in Form einer neuen "Schrankenregelung" geschaffen werden. Sonst sei die erfolgreiche Online-Vermarktung von Songs, Videos oder Texten nicht möglich.

Die meisten europäischen Gesetzgeber haben die Rechte der Verwerter allerdings bereits in einigen Fällen eingeschränkt, etwa mit der Erlaubnis zum Anfertigen von Privatkopien. Daran knüpfen die beiden Autoren der Studie, Carine Bernault und Audrey Lebois, in der Analyse der juristischen Situation an. Sie halten fest, dass das Herunterladen geschützter Werke aus Tauschbörsen für den ausschließlich privaten und nichtkommerziellen Gebrauch in den Geltungsbereich dieser "Privatkopieschranke" fällt. Eine rechtliche Anpassung halten sie dabei allein beim bestehenden Vergütungssystem für nötig, das auf die Nutzung von P2P-Netzwerken beziehungsweise den Internetzugang auszudehnen sei.

Schwieriger stellte sich die Lage beim Verfügbarmachen geschützter Werke im Internet dar, das Filesharer bei gängigen Tauschbörsensystemen nicht verhindern können. Ein eigenes Angebot etwa von Musiktiteln kommt den Verfassern der Studie einer "Aufführung oder einer Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit" gleich. Laut Urheberrechtsverträgen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) sei dafür eine Autorisierung der Urheber und Verwerter einzuholen. Aber auch hier finden die Autoren bereits Beispiele, dass der Gesetzgeber andere Vorkehrungen treffen kann. So erinnern sie daran, dass das französische Parlament etwa für die Verwendung von Kopiergeräten und die Verbreitung von Inhalten über TV-Kabelnetze die Erteilung globaler Lizenzen zur kollektiven Rechteverwaltung eingeführt hat. Nur durch eine solche Lösung, die nicht mit einer neuen Schrankenregelung verwechselt werden dürfe, seien in diesen Fällen laut dem Gesetzgeber der Urheberrechtsschutz und eine angemessene Vergütung der Kreativen über die Pauschalabgabe sicherzustellen gewesen.

Ganz ähnlich verhält es sich der Studie zufolge beim Filesharing. Auch dort sei es praktisch unmöglich, das betroffene Recht zum Verfügbarmachen individuell auszuüben. Das zeige das massenhafte Ausmaß der Tauschbörsennutzung und die große Zahl der betroffenen Werke. Den Nutzern sei es zudem nicht möglich, die jeweiligen Rechteinhaber ausfindig zu machen und für eine individuelle Lizenzierung zu kontaktieren – was auch im umgekehrten Fall gelte. Nichts spreche daher dagegen, eine Global-Lizenz nebst Urheberrechtsabgabe für die rechtliche Behandlung der vergleichbaren Herausforderung von Tauschbörsen ins Auge zu fassen. Zumindest stünden internationale Verpflichtungen etwa auch aus der Berner Urheberrechtsübereinkunft einer P2P-Flatrate nicht im Wege.

Privatkopie.net fordert daher Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und die Bundestagsabgeordneten in einem offenen Brief auf (PDF-Datei), bei der anstehenden weiteren Novelle des Urheberrechts die Tauschbörsennutzung auf dem beschriebenen Weg zuzulassen und vergütungspflichtig zu machen. Die mit dem Kabinettsentwurf bislang vorgelegte Antwort auf P2P-Netze gemäß der "Verklagen, Geldstrafen, Gefängnis" kann der Initiative zufolge angesichts "weiter wachsender Tauschbörsennutzung und mangelnder Abschreckungswirkung" niemanden befriedigen. "Kollektive Rechteverwaltung ist ideal für das Massenindividualmedium Internet", heißt es in dem Schreiben. "Sie ist juristisch, technisch, ökonomisch machbar".

Die Nutzervertretung untermauert ihr Ansinnen mit weiteren Studien. So habe das Marktforschungsunternehmen BigChampagne aufgezeigt, dass eine Erfassung der Häufigkeit des Austauschs einzelner geschützter Werke in Tauschbörsen technisch datenschutzneutral machbar sei. Auf diesem Weg könne die Auszahlung einer angemessenen Vergütung an die Rechteinhaber gewährleistet werden. Eine Reihe von Untersuchungen habe zudem ergeben, dass bei der Pauschalabgabe eine Vergütungshöhe von fünf Euro im Monat einen wirtschaftlich gerechtfertigten Wert darstelle.

Die Frage lautet nach Meinung von privatkopie.net, ob man "eine datenschutzfreundliche Pauschalvergütung oder eine hochgradig invasive Infrastruktur aus Rechtekontrolltechnologie zur privaten Verwaltung vormals öffentlich geregelter Urheberrechte" wolle. Den Parlamentariern legt die Lobbygruppe ans Herz, bei der Ausgestaltung der digitalen Wissensordnung auch den "Standortfaktor Mensch" zu berücksichtigen. Dieser könne in der Informationsgesellschaft nicht nur als zahlender Kunde auftauchen, sondern müsse umfassend an Kultur, Politik und Bildung partizipieren können. Andernfalls bleibe er als "Informations- und Kreativarbeiter" international nicht wettbewerbsfähig.

Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)