Heiter bis wolkig

Das Smartphone ist der neue persönliche Computer und spielt reibungslos mit Tablet und Fernseher zusammen. Dank mobilem Internet kommt man von überall an die eigenen Daten. Supercomputer gibt es stundenweise im Netz zu mieten, falls man sie braucht. Angesichts solcher Schwerelosigkeit sind die Tage des PC gezählt – wer nicht als Hobby an Hardware schraubt und Systeme administriert, wird bald auf die persönliche Datenzentrale im grauen Kasten verzichten.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Peter König
  • Axel Kossel
Inhaltsverzeichnis

Endlich hat Cloud Computing seine Berufung gefunden. Jahrelang war die Lösung auf der Suche nach einem passenden Problem und dienerte sich unter wechselnden Namen wie Application Service Providing (ASP) und Software as a Service (SaaS) vor allem dem zögerlichen Businesspublikum an. Doch erst mit der wachsenden Vielfalt der mobilen Lifestyle-Geräte wie Tablets und Smartphones verspürt die Masse der Nutzer das Bedürfnis, Daten, Programme und Rechenpower ins Netz auszulagern.

Man will nicht mehr planen, welche Dateien man wann auf welchem Gerät braucht. Man will die eigenen Texte, Bilder, Filme und Musik unterwegs auf all seinen Taschencomputern verfügbar haben und zu Hause auf Knopfdruck auf die großen Unterhaltungsmaschinen wie Fernseher und Soundsystem holen – und keinen Gedanken daran verschwenden, ob es sich dabei um Dateien, Webseiten oder Apps handelt. Die Cloud als Verteilerweg ist da nicht mehr eine Option, sondern das einzige, was rockt. Zwei Geräte per Hand, USB und Dateimanager oder Synchronisationsprogramm in Gleichtakt zu bringen ist lästig. Drei sind die Pest.

Natürlich gibt es noch eine Menge PC-Nutzer vom alten Schlag, und so schnell werden sie nicht kapitulieren. Sie versuchen nach wie vor, ihre Fotos, Musikdaten und Videos auf immer größeren PC-Festplatten oder dauerlaufenden NAS-Kisten zu organisieren. Letztlich zeigen aber alle „Home Server“-Versuche der letzten Jahrzehnte, dass die meisten durchschnittlichen PC-Nutzer mit der Konfiguration und Wartung von Netzwerkspeichern überfordert sind. Bestenfalls stöpseln sie eine USB-Festplatte an die Fritzbox, die meisten setzen aber wohl eher auf externe Platten, die ab und zu angeschlossen werden.

Wie es anders geht, macht die Facebook-geprägte Jugend vor: Was wichtig ist, wandert ins Netz. Wer erst einmal die Scheu überwunden hat, Persönliches fremden Servern anzuvertrauen, macht es ihr nach. Das Webfrontend des kostenlosen Mail-Anbieters ist die Einstiegsdroge, dann benutzt man Online-Notizbücher wie Evernote und speichert seine Fotos auf Flickr, bei Picasa oder Windows Live. Woran man unterwegs arbeiten will, wirft man in die Dropbox. Früher kam keine Datei, sei es MP3, Digitalfoto oder Video, am zentralen PC vorbei, der über USB die Daten sammelte, verwaltete, ordnete, brannte und als Kopie sicherte. Heute spart man sich solche Umwege – was die Smartphone-Kamera knipst, wandert direkt ins Netz auf Twitpic.

Neulinge im eigenen Gerätezoo befüllt man aus dem Netz bequem mit dem elektronischen Adressbuch und der Musiksammlung, die man mit Glück sogar in die Playlist eines Gastgebers gebeamt bekommt. In den eigenen vier Wänden macht ein Tablet im Konzert mit einem Netzwerkspeicher und einem vernetzten Fernsehgerät den Media-Center-PCs überflüssig, das Smartphone mutiert mit der passenden App gleich zur Luxus-Fernbedienung. (Hoffentlich erfinden deren Programmier bald einen Dreh, wie man gleichzeitig die Musik ausschalten und einen Anruf annehmen kann.)

Wer mit seinen Daten in die Cloud umzieht, muss nicht mehr in Dateien und Ordnern denken, kann Festplattengrößen und Backup-Mechanismen vergessen. Statt dessen muss er Tarife von Dienstleistern vergleichen, denn kostenlos ist der Online-Speicher meist nur für ein paar Gigabyte. Und er kann sich nach frischen Maschinchen umsehen, die sich mit dem vorhandenen vernetzen, Funktionslücken schließen oder einfach nur schick sind – zur Freude der Hardware-Hersteller.

Das Buzzword Cloud Computing ist gut gewählt, ist es doch genauso wattig und schwer zu greifen wie das, was es im Grund bezeichnet, nämlich schleichende Abstraktion. Dieser Prozess begann schon vor Jahrzehnten auf dem PC mit Betriebssystem, Shell und GUI, mit denen sich eine um die andere Schicht zwischen Anwender und Hardware legte. Dank integrierter Desktop-Suche muss man bei Mac OS X und Windows 7 auch nicht mehr in hierarchischen Verzeichnisbäumen denken – die Dateien liegen irgendwo auf der Platte und das System findet sie zuverlässig. Der Schritt ins Netz ist da nur noch trivial.

Doch Online-Speicher ist nur ein Aspekt des Cloud-Trends, wenn auch der naheliegendste für den Privatanwender. Was ihn nicht juckt: Hinter seiner virtuellen Festplatte im Netz steckt keine simple Verzeichnisstruktur, sondern meist eine Datenbank, die Tausende Nutzer parallel bedient und sich automatisch redundant auf mehrere Server verteilt. Cloud Computing passt als Begriff auf alle Angebote, die Anwender übers Netz nutzen können, ohne dass sie sich mit technischen Details beschäftigen müssen und ohne dass sie Grenzen bei Speicherplatz und Rechenleistung erkennen. Wer Cloud-Dienstleistungen bucht, abonniert selten feste Kontingente, sondern zahlt nur für die genutzte Leistung und kann mit Hilfe der Wolke Lastspitzen stemmen – ohne Vertragsänderung. Start-ups müssen nicht mehr in eigene Server investieren, sie können deren Dienste vom Gruppenkalender übers elektronische Büro bis zum Hosting der fertigen Software aus der Cloud beziehen und auch wieder kündigen, falls ihr Traum platzt.

Cloud-Dienste gibt es in vielen Spielarten. Man kann beispielsweise reine Infrastruktur wie Server oder geballte CPU-Kraft übers Netz mieten: Bei Amazons Elastic Compute Cloud (EC2) etwa bekommt man virtuelle Maschinen unterschiedlicher Leistungsklassen, die man mit eigenen System-Images bespielen und deren Kapazität man bei Bedarf im laufenden Betrieb ändern kann. Server4You hingegen bietet seine „EcoServer aus der Cloud“ mit ganz konkreter Hardware-Spezifikation an.

Wem solche Cloud-Infrastruktur zu nackt ist, greift auf passende Plattformen zurück: Amazon bietet auch vorkonfigurierte virtuelle Maschinen an, Microsoft hat mit Azure ein Bündel aus einer Art Cloud-Betriebssystem und Services wie Datenbanken im Angebot. Auch Googles Apps Engine, eine Online-Werkstatt für Webanwendungen, lässt sich ähnlich verwenden.

Die meisten Anwender kommen mit der Cloud jedoch auf der Ebene von fertigen Webanwendungen in Berührung. Bekannte Vertreter wie Google Text & Tabellen oder Photoshop Express verbinden ein privates Online-Speicher-Depot pro Nutzer mit einer GUI im Browser, die sich ähnlich wie lokal installierte Anwendungen bedient. Cortado Workplace bietet nicht nur Online-Speicher, sondern auch Treiber, um vom Smartphone aus Dokumente auf per WLAN oder Bluetooth erreichbare Drucker zu schicken. Während die Notizverwaltung Evernote ihre Bedienoberfläche in Clients für die verschiedenen Plattformen und Betriebssysteme kapselt, beschränken Such- und Antwortmaschinen wie Google und Wolfram Alpha die Schnittstelle auf einen Textschlitz. Technisch stecken hinter beiden ebenfalls Cloud-Dienste.

Über die Wolke muss die Freiheit im Netz ja wohl grenzenlos sein. Ein Irrtum, denn das Netz ist keine homogene Einheit öffentlich zugänglicher Ressourcen, sondern ein Patchwork aus schnellen und weniger schnellen Verbindungen – und manchmal auch ohne Verbindung, wenn sich die Silberrücken unter den Providern (fachsprachlich: Tier-1) über die Rangordnung in die Haare geraten oder eine Regierung auf die Idee kommt, das Internet abzuschalten. Solvente Serverbetreiber verbessern ihre Erreichbarkeit durch Lastverteilung oder investieren in die Nähe zu Knotenpunkten wie dem DE-CIX. Durch das öffentliche Netz gegrabene Tunnel verbinden private Endpunkte.

Unverkennbar geht der Trend dahin, im Internet zunehmend Bereiche für privilegierte Nutzer zu schaffen, um diesen geldwerte Vorteile zu bieten oder um sie fest an bestimmte Anbieter zu binden. Dies findet auf technischer und wirtschaftlicher Ebene statt, schlägt sich aber auch im Verhalten der Surfer nieder.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 6/2011.

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Facettenreiche Trends

Cloud Computing, mobile Vielfalt, Netze im Netz – für Eingeweihte markieren diese knappen Schlagworte, auf welchem Kurs die IT-Welt in die nahe Zukunft steuert. Solche Großtrends bestimmen zwar deutlich die Richtung der Entwicklung, sind aber selbst schwer fassbar und so unsichtbar wie Unterströmungen im Wasser. Deshalb breiten wir in c't 6/11 ab Seite 114 Mosaike aus einzelnen Facetten aus, die zeigen, wie sich die abstrakten Trends konkret niederschlagen. Dazu beleuchten wir ausgewählte Entwicklungen in kurzen Textkästen, ordnen sie in den größeren Zusammenhang ein und kommentieren auch manche Blüte, die Markt und Mode treiben.

Etliche Facetten der großen Trends prägen auch die CeBIT. Die weltgrößte Computermesse findet in diesem Jahr vom 1. bis zum 5. März auf dem hannoverschen Messegelände statt. Cloud Computing und Tablets sind auch hier die bestimmenden Themen. Was es wo zu sehen gibt, lesen Sie in c't 6/11 ab Seite 18 – wir haben für Sie die wichtigsten Informationen über Hersteller und Produkte zusammengetragen.

(pek)