Rapid Manufacturing

3D-Druck war bisher ein Verfahren für wenige Spezialanwendungen in der Industrie. Jetzt erobert es den Massenmarkt – und setzt einen Kreativitäts-Turbo in Gang.

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3D-Druck war bisher ein Verfahren für wenige Spezialanwendungen in der Industrie. Jetzt erobert es den Massenmarkt – und setzt einen Kreativitäts-Turbo in Gang.

Auf der Webseite www.shapeways.com sind einfache Ring-Gedichte („Ring Poems“) für sechs bis zehn Dollar zu haben, in der Bronze-Ausführung ab 59 Dollar. Licht-Gedichte („Light Poems“) sind mit 49 Dollar – inklusive Mehrwertsteuer, zuzüglich Versand – etwas preiswerter.

Wer sich unter einem Ring-Gedicht nichts vorstellen kann, für den hat die niederländische Firma Shapeways Beispielfotos ins Netz gestellt. Einige Produkte des kleinen Spin-offs von Philips sind so neu, dass es dafür noch gar keine allgemein verständliche Bezeichnung gibt. Hinter den poetischen Namen „Ring Poem“ und „Light Poem“ verbergen sich Servietten-Ringe und Teelichtständer – allerdings mit einer Besonderheit: Über ein kleines Java-Programm geben Kunden übers Internet einen beliebigen Text vor, dessen Buchstaben sich dann zu einem ringförmigen Gitter formen. Bei Schrifttyp, Farbe und Material können Nutzer zwischen verschiedenen Optionen wählen. Zehn Tage später wird das fertige Produkt aus Kunststoff oder Metall nach Hause geliefert.

Die individuellen Geschenke basieren auf einer Technologie, die bisher nur wenigen Spezialisten in der Industrie vertraut war – der sogenannten additiven Fertigung („Additive Manufacturing“, AM). Diese etwas sperrige Bezeichnung hat sich in den letzten Jahren als Oberbegriff für Herstellungsverfahren wie Stereolithografie oder Lasersintern (siehe Kasten Seite 66 in TR 4/2011) etabliert. Andere geläufige Bezeichnungen sind „3D-Druck“, „generative Fertigungsverfahren“ oder „Schichtbauverfahren“. Ihnen ist gemein, dass Werkstücke in ihrer kompletten räumlichen Gestalt schrittweise aus mikrometerdünnen Schichten aus Kunststoff, Harz, Gipspulver oder Metall aufgebaut werden.

Lange Zeit galt AM als Synonym für „Rapid Prototyping“, der schnellen Herstellung von Anschauungsmodellen. Designer können dank der AM-Verfahren beispielsweise rasch und mit wenig Aufwand überprüfen, wie ein neuer Akkuschrauber in der Hand liegt, auch wenn dessen Design bisher nur in Form von Konstruktionsdaten existiert; Architekten können ihren Kunden das dreidimensionale Abbild eines geplanten Gebäudes in die Hand geben; Chirurgen können sich aus den Daten einer Computertomografie ein realistisches Organmodell erstellen lassen, um eine OP zu planen. Doch in den letzten Jahren sind die AM-Anwendungen weit über ihre Prototyp-Nische hinausgewachsen. Dabei gibt es drei große Trends:

  • Dank immer besserer Materialien werden auch hochbelastbare Endprodukte für den praktischen Einsatz hergestellt („Rapid Manufacturing“).
  • AM-Maschinen sind mittlerweile so preiswert, dass sie auch in Privathaushalten Einzug halten können, um dort per Mausklick Nachschub an Haushaltsgegenständen, Spielzeugen oder Ersatzteilen zu liefern. Zudem bieten immer mehr Dienstleister den Ausdruck von 3D-Datensätzen an – zum Beispiel Büsten aus Fotos.
  • AM-Maschinen ergänzen kleine, kollektiv genutzte Werkstätten, in denen Bürger selbst Gebrauchsgegenstände bauen oder reparieren können („Fabbing“). Gerade in Schwellenländern wird das als Gegenbewegung zur industriellen Massenfertigung mit ihrer Ex-und-hopp-Mentalität gesehen.

Am weitesten ist der Übergang vom „Rapid Prototyping“ zum „Rapid Manufacturing“ in der Medizin gediehen. Individuell angepasste Gehäuse für Hörgeräte werden schon längst nahezu ausschließlich additiv gefertigt. Auch Zahnersatz und Implantate lassen sich dank neuer Legierungen Schicht für Schicht zu einem dichten und hochfesten Bauteil aufbauen. Die Firma EBM etwa hat mittlerweile rund 30000 Hüftgelenk-Schalen aus einer Titanlegierung ausgeliefert – 2008 waren es noch 500.

Als Faustregel gilt: Je komplexer das Bauteil und je kleiner die Stückzahl, desto eher rechnet sich Rapid Manufacturing. Da mit Schichtbauverfahren praktisch jede beliebige Geometrie direkt aus dem Computer in die physische Welt übertragen werden kann, brauchen die Konstrukteure keine Rücksicht auf die Beschränkungen herkömmlicher Fertigungsprozesse zu nehmen. „Funktionsgerecht statt fertigungsgerecht konstruieren“ nennen das die Experten. Beispiele dafür sind Spritzgussformen aus Werkzeugstahl. Damit diese Formen nicht zu heiß werden, benötigen sie Kühlung von innen. Bei konventionell gegossenen Formen werden die dafür nötigen Kühlkanäle nachträglich gebohrt. Das bedeutet einen zusätzlichen Arbeitsschritt, und die Bohrungen können nicht der Kontur der Form folgen. Bei AM hingegen können die Kanäle schon am Computer so angelegt werden, wie es für die Kühlung optimal ist – immer möglichst nah an der Oberfläche. Beim Ausdrucken werden diese Kanäle dann einfach ausgespart. In der Praxis konnte eine von der Firma BKL-Lasertechnik hergestellte Gussform für die Verschlusskappen von Lippenstiften wegen der besseren Kühlung die Dauer des Produktionszyklus um mehr als 40 Prozent verkürzen und gleichzeitig den Ausschuss reduzieren.

Natürlich ließen sich per AM nicht nur Gussformen, sondern auch gleich die Endprodukte selbst herstellen. Doch für große Stückzahlen ist AM wohl auf absehbare Zeit zu teuer. Das hat zwei Gründe: Erstens arbeiten die Maschinen vergleichsweise langsam, da die Bauteile schrittweise aus bis zu 20 Mikrometer dünnen Schichten aufgebaut werden. Zudem sind die Baumaterialien meist sehr teuer. Doch gerade bei kleineren Serien bietet AM auch Kostenvorteile: Es entfallen Zeit und Kosten für die Gussform, und über eine geschickte Konstruktion lässt sich die Zahl der Einzelteile – und damit der Montageaufwand – reduzieren. Simon Marriott, Managing Director beim australischen AM-Dienstleister Formero, nennt als Beispiel die Medizintechnik-Firma Vesda, die ein Teil eines Gasanalyse-Geräts von 24 Einzelteilen dank AM auf ein einziges reduziert hat. Bei einer Stückzahl von knapp 500 konnte dadurch der Herstellungspreis um fünf Prozent gesenkt werden.

In der Luftfahrtindustrie etwa sind AM-Produkte bereits in fünfstelligen Stückzahlen unterwegs. Der US-Hersteller „Manufacturing on Demand“, 2002 als Spin-off von Boeing gegründet, hat mit AM-Verfahren nach Angaben von Program Manager Chris Glock bereits rund 20000 Bauteile in die Luft gebracht – etwa komplizierte Luftkanäle für Militärflugzeuge. Die Stärken der AM-Technologie erläutert Glock an einem Beispiel: Herkömmlich musste ein bestimmter Luftkanal aus 19 einzelnen Komponenten zusammengesetzt werden. Der per Lasersintern hergestellte Kanal besteht nur noch aus einem einzigen Teil. Dadurch hat sich nicht nur das Gewicht halbiert – auch der Aufwand für die Sicherheitszertifizierungen der einzelnen Stücke hat sich auf ein Viertel reduziert. Sogar bei tragenden Teilen kommt AM zum Einsatz: Die US-Firma Aerotonomy etwa baut komplette Tragflächen für Drohnen mit dem Schichtbau-Verfahren. Und auch schlichtere Produkte wie iPhone-Halterungen lassen sich nach Schätzung von Simon Marriott schon in Serien von 500 bis 1000 Stück wirtschaftlich herstellen, weil Aufwand und Zeit für die Erstellung einer Gussform wegfallen.

„Additive Manufacturing wird den Markt für einfache und simple Produkte verändern“, glaubt Marriott. „Die Kosten, um Innovationen auf den Markt zu bringen, sinken dadurch dramatisch.“ Neben Industrie und Medizin beginnt gerade eine wachsende Zahl von Designern auszuloten, welche neuen Produkte und Geschäftsideen auf Basis der AM-Technologie gedeihen können (siehe Seite 68 in TR 4/2011). Als wahrer Kreativitäts-Turbo hat sich dabei das Geschäftsmodell von Shapeways erwiesen: Wer eine Designidee hat, kann sie – wie beim T-Shirt-Bedrucker Spreadshirt – bei Shapeways in den Online-Produktkatalog einstellen....

Die Fokus-Artikel im Einzelnen:

  • Entwicklung: Rapid Manufacturing erobert den Markt
  • Produkte: Alles druckbar – vom Stöckelschuh bis zur Turbinenform
  • Software: An laienfreundlichen Modellier-Programmen mangelt es noch
  • Werkstoffe: Die schwierige Ehe von Material und Prozess
  • Fab Labs: In den Hightech-Labors werden Verbraucher zu Produzenten
  • Interview: Neil Gershenfeld über Mikro-Lego und Open-Source-Maschinen

(grh)