Grundsatzentscheidung zu Trivialpatenten in den USA erwartet

In einem viel beachteten Prozess wird sich der Oberste US-Gerichtshof morgen bei einer Anhörung mit dem Ausschlusskriterium der "Offensichtlichkeit" bei Patentierungsanträgen beschäftigen.

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In einem viel beachteten Prozess wird sich der Oberste US-Gerichtshof am morgigen Dienstag bei einer mündlichen Anhörung mit dem Aspekt der "Offensichtlichkeit" als Ausschlusskriterium bei Patentierungsanträgen beschäftigen. Experten erwarten von dem Fall eine Grundsatzentscheidung zu Trivialpatenten. Ungewöhnlich viele Konzerne, Verbände und Forscher haben daher Eingaben an den US Supreme Court geschickt. Für engere Grenzen der Patentierbarkeit plädieren dabei unter anderem Cisco, Intel, Micron, Microsoft, der Computerindustrie nahe stehende Interessensvertretungen sowie die Bürgerrechtsgruppe Electronic Frontier Foundation (EFF). Die Beibehaltung des Status Quo mit breiten Patentierungsmöglichkeiten fordern dagegen Schwergewichte wie 3M, Johnson & Johnson, General Electric (GE) oder DuPont sowie Vereinigungen freier Erfinder und mittelständischer Firmen.

Gemäß einem US-Bundesgesetz von 1952 hat eine Erfindung eigentlich als trivial und damit nicht schutzwürdig zu gelten, wenn ein Experte auf dem betroffenen Fachgebiet sie als offensichtlich bezeichnet. Der Federal Circuit Court of Appeals hat in den vergangenen Jahren eine weitgehende Einschränkung der Offensichtlichkeitsregel vorgenommen, indem er den so genannten Anregungstest entwickelt hat: Eine Erfindung kann demnach nur als trivial bezeichnet werden, wenn es "eine Unterrichtung, eine Anregung oder einen geistigen Antrieb" gab, in deren Folge ein Patentanmelder Informationen über bereits bestehende Erfindungen in seinem speziellen Gebiet erhielt. Folglich reicht selbst eine einfache Neukombination bereits bekannter Techniken oder Verfahren aus, um einen Monopolanspruch zu erhalten. Nur, wenn ein Kläger konkrete Hinweise auf identische bestehende Erfindungen im Sinne der "Prior Art" vorlegt, erkennt das Berufungsgericht die Offensichtlichkeit einer Patentanmeldung an und weist diese zurück.

In dem konkreten Fall hatte die US-Firma Teleflex zunächst dem kanadischen Autozulieferer KSR International vorgeworfen, bei einer elektronischen Pedalsteuerung gegen von ihr gehaltene Patentansprüche verstoßen zu haben. Die Kanadier berufen sich dagegen darauf, dass die von Teleflex zum Patent angemeldete Kombination "bereits existierender, von der Stange zu kaufender Komponenten" offensichtlich und nicht schützenswert sei. Ein Detroiter Bundesrichter gab der Zulieferfirma zunächst Recht und erklärte das Teleflex-Patent für nichtig. Im Januar 2005 entschied das zuständige Bundesberufungsgericht, der Federal Circuit Court of Appeals, aber größtenteils zugunsten des US-Unternehmens. KSR wandte sich daher an den Supreme Court.

Es wäre kurzsichtig, viele Erfindungen vorschnell als offenkundig abzutun, ergreifen Firmen wie 3M, DuPont und GE nun etwa für Teleflex Partei. Die "Post-It"-Notizzettel von 3M etwa könnte man heute eventuell als augenscheinlich bezeichnen, "aber nur, weil sie in den vergangenen 25 Jahren schier allgegenwärtig in unserem Alltag waren". Jetzt eine ebenfalls fast ein Vierteljahrhundert gültige Rechtsprechung umzustülpen, "würde die Gültigkeit von Millionen verteilter Patente in Frage stellen, die Überprüfung von vielen Millionen Dollar schweren Patentlizenzverträgen erforderlich machen, Patentstreitigkeiten schwerer beizulegen machen und unvermeidbar mehr gerichtliche Auseinandersetzungen verursachen", schreiben die Größen aus der "alten Wirtschaft".

Entgegengesetzter Ansicht ist John Duffy. Der Rechtsprofessor von der George Washington University meint, dass es der Oberste Gerichtshof beim Kippen der weit gehenden Spruchpraxis des Berufungsgerichts Firmen einfacher machen würde, sich gegen Patentklagen aufgrund fragwürdiger Ansprüche zu verteidigen. Das könnte auch eine Verringerung juristischer Streitigkeiten um gewerbliche Schutzrechte allgemein bewirken. Die Computerindustrie sieht sich nach spektakulären Klagen wie NTP gegen den Blackberry-Hersteller RIM oder Eolas vs. Microsoft besonders stark von den Auswüchsen der gegenwärtigen Rechtsprechung und einer Flut von Patenten mit geringer Erfindungshöhe betroffen. Ihre Produkte bestehen gerade im Softwarebereich oft aus tausenden bereits bestehender Komponenten, die sich einfach neu kombinieren lassen. Die Branche und US-Abgeordnete suchen daher Wege gegen "Patent-Trolle", welche die weiten Patentierungsregeln und das große Angebot an Trivialpatenten zum Anzetteln von Rechtsstreitigkeiten nutzen. Dabei soll Software an sich aber generell weiter schutzwürdig bleiben.

Der Netzwerkausrüster Cisco hat laut seinem mit Microsoft verfassten Gerichtsschreiben angesichts dieser Situation "Hunderte von Patenten für defensive Zwecke" beantragt. Dies sei die gängige Praxis in der Industrie, die aber letztlich die Verbraucherkosten steigen lasse. "Router, Golfschläger, Softwareprogramme oder Büstenhalter werden alle immer teurer, da mehr und mehr Patenthaltern Vergütungen gezahlt werden müssen", beklagen die beiden Konzerne. Sie ärgern sich vor allem darüber, dass die Teuerungen unnötig seien, weil die gewerblichen Schutzrechte keinem innovativen Produktanteil entsprächen. Das US-Patentamt verwende einen Großteil seiner Arbeitszeit auf Abwägungen, ob ein Anspruch offensichtlich sei oder nicht, berichtet Gerald Mossinghoff, ehemaliger US-Wirtschaftsstaatssekretär. Angesichts des hohen Werts der Patentportfolios vieler großer US-Firmen ist er aber skeptisch, ob der Supreme Court ein umfassendes Machtwort spricht.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (anw)