Internet im Katastrophentest

Das Web mit seinen Diensten wie Twitter und seinen angeschlossenen Geräten wie Smartphones hat den Ernstfall in Japan bestanden - mit Einschränkungen. Ein Plädoyer für die Vielfalt der Kommunikationskanäle.

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Von
  • Martin Kölling

Das Web mit seinen Diensten wie Twitter und seinen angeschlossenen Geräten wie Smartphones hat den Ernstfall in Japan bestanden – mit Einschränkungen. Ein Plädoyer für die Vielfalt der Kommunikationskanäle.

Was hätten wir nach dem Erdbeben nur ohne das Internet mitsamt den dazugehörigen modernen Gerätschaften gemacht? Sicherlich hätten wir überlebt, wir Tokioter. Aber das Internet hat doch unsere Kommunikationsgesellschaft durch die Krise gerettet, teilweise selbst im Erdbebengebiet. Es begann gleich nach dem Beben. Die Handynetze in der Hauptstadt sind unter dem Ansturm der Nutzer sofort in die Knie gegangen. Aber über WLAN konnte man noch E-Mails schicken, Skypen und Chatten. Dies war für mich wie auch für Firmen ein Aha-Erlebnis.

So hat mir ein deutscher Unternehmer in Japan diese Woche erzählt, wie seine Firma in Tokio nach dem Beben es geschafft hat, das reale Büro in Tokio fast im Handumdrehen in ein virtuelles Büro im Netz umzubauen. Das war wichtig, denn nach dem Beben fuhren für Tage die Bahnen nur eingeschränkt, so dass viele Mitarbeiter nicht einfach in die Firma fahren konnten. Außerdem hatten die Menschen Angst vor der nuklearen Katastrophe in Fukushima – und noch mehr vor einer Panik, weshalb sich die Idee mit dem Arbeiten aus dem Home-Office geradezu aufdrängte.

Es gab nur ein Problem in der Firma: das altertümliche Fax. Zwar hatte das Management bereits ein zentrales Faxgerät eingeführt, das einlaufende Schriftstücke als Dateien ins Firmennetzwerk speichern kann. Aber die Mitarbeiter hatten sich bisher geweigert, es zu nutzen, weil sie ihre Faxgeräte mitsamt dem Ausdruck am Arbeitsplatz dem entfernt liegenden zentralen Fax und seinen PDF-Dateien auf dem Rechner vorzogen. Mit dem Beben dürfte die hohe Hürde der Gewohnheit gefallen sein.

Auch ich führte die meisten meiner Gespräche über Skype – oder aber über das uralte Festnetz. Daheim verfüge ich zwar über keinen Festnetzanschluss mehr, wohl aber hat der Foreign Correspondents' Club of Japan, von dem aus ich zumeist arbeite, noch welche. Wir haben dort nicht nur eine Telefonanlage, die vom normalen Stromnetz abhängig ist. Wir haben auch darauf geachtet, uralte Münztelefone zu behalten, die selbst bei einem Stromausfall noch funktionieren, da sie ihren eigenen Saft aus der Telefonleitung beziehen. Und das Beste: Wir kennen sogar die vertraulichen Nummern, so dass man zur Not dort angerufen werden könnte. Ich lief mehrere Tage mit einer Tasche Münzen durch die Gegend, um zur Not Redaktionen anrufen zu können.

Auch in den Erdbebenregionen hat das Internet oft recht rasch wieder funktioniert. So hat mir eine Frau aus Fukushima erzählt, dass sie nach zwei Tagen, als der Strom wieder kam, sofort mit ihrem Sohn skypen konnte, während das Fest- und das Handynetz noch nicht wieder funktionierten. Bewährt haben sich auch das Facebook-ähnliche soziale Netzwerk Mixi sowie der Kurznachrichtendienst Twitter. Landesweit haben die Menschen über Mixi Informationen zu Vermissten und vor allem zum Atomunfall miteinander geteilt.

Besonders wichtig dabei war der schulende Effekt des Netzes in Atomfragen, denn bislang hatten viele Menschen den Beteuerungen der Regierung und der Stromindustrie vertraut, dass Atomkraft absolut sicher sei. Der Wissensstand ist daher niedrig gewesen. Und da die Regierungsinformationen auch nicht den Wissensdrang der Japaner befriedigten, trugen sie ihr Wissen selbst online zusammen, evaluierten und diskutierten es.

Auch Twitter wurde entdeckt – von Lokalregierungen als Verbreitungskanal für amtliche Mitteilungen. Erleichtert wurde dies dadurch, dass auf Japanisch mehr Informationen in die 140 Zeichen eines Tweets gepresst werden können. Denn die Sprache besteht aus Schriftzeichen und Silbenschriften und läuft daher enger als Deutsch. Die Zentralregierung will nun sogar Richtlinien für den Gebrauch von Twitter entwickeln. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben.

Außerdem hat sich großartig geschlagen – mein Smartphone. Ich gestehe, es ist voriges Jahr ein iPhone geworden, aber mit einem Android-Fon wäre es mir wohl ähnlich gut ergangen. Am Tag des Bebens war ich nämlich aus Gewichtsspargründen ohne Notebook unterwegs. In meiner Tasche waren nur meine Kamera, mein iPhone plus Stromkabel und eine schnurlose Tastatur, die sich per Bluetooth anbinden lässt. Meine ersten drei Erfahrungsberichte für meine diversen Kunden an jenem Freitag schrieb ich samt und sonders auf dem Handy. Es hat hervorragend funktioniert.

Beim zweiten Ernstfalleinsatz wurden mir allerdings auch die Schwachstellen aufgezeigt: Mein Textprogramm für das iPhone speichert offenbar nicht automatisch zwischen. Und so war auf einmal meine fast fertig gestellte Reportage verschwunden, nachdem ich nach einem Umzug von einem Restaurant am Straßenrand in ein anderes, 24 Stunden geöffnetes Lokal das iPhone wieder einschaltete.

Dieser Vorfall hat meinen Adrenalinspiegel massiv ansteigen lassen. Denn es war schon Mitternacht und die Deadline meiner Reaktionen rückte gefährlich nahe. Aber ich habe es gerade noch geschafft, den Artikel auf dem iPhone noch mal zu tippen. Allerdings habe ich dann nach jedem Absatz manuell abgespeichert und den geschriebenen Text per Mail verschickt.

Doppelt genäht hält eben besser – genau wie bei den Kommunikationskanälen. Je mehr wir haben, desto wahrscheinlicher ist es, im Notfall einen zu haben, der auch bei Katastrophen noch funktioniert. Wie jetzt in Japan.

(bsc)