Unterlassene Hilfeleistung

Mit der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes will die Bundesregierung umfangreiche Änderungen des Brüsseler Reformpakets von 2009 in innerstaatliches Recht umsetzen. Der Entwurf bringt einige verbraucherfreundliche Regelungen. Den Kernfragen der Netzneutralität weicht er jedoch aus.

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Von
  • Richard Sietmann
Inhaltsverzeichnis

Nach den europäischen Richtlinienvorgaben zur elektronischen Kommunikation, die eigentlich bis Ende Mai in deutsches Recht übernommen sein müssten, hat die EU in Sachen Netzneutralität vor allem auf Transparenz gesetzt: Die Mitgliedsstaaten sollen dafür sorgen, dass die Nutzer sowohl vor dem Abschluss von Verträgen als auch danach regelmäßig darüber informiert werden, wenn ein Anbieter den Zugang zu legalen Inhalten einschränkt. Derartige Einschränkungen sind aber zulässig.

Obwohl die Kommission in einer offiziellen Erklärung zur Verabschiedung des Reformpakets noch betont hatte, dass sie „der Bewahrung des offenen und neutralen Charakters des Internet hohe Bedeutung“ beimisst, wird der Anspruch auf Netzneutralität faktisch aufgegeben. Zum Ausgleich können die nationalen Regulierungsbehörden in Abstimmung mit der Kommission Mindestanforderungen an die Qualität der angebotenen Dienste festlegen.

Diesen Vorgaben folgt die Bundesregierung mit ihrem jetzt in der parlamentarischen Beratung stehenden Entwurf zur Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG). In der Begründung gibt sie zwar die Netzneutralität als eines der politischen Ziele der Novelle aus, doch im Gesetzestext selbst taucht der Begriff nicht auf. Über den neu geschaffenen § 450 wird das Bundeswirtschaftsministerium ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages Rahmenvorschriften zur Dienstequalität zu erlassen, „um eine Verschlechterung von Diensten und eine Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen zu verhindern“.

Mit dieser Ermächtigung, die das Wirtschaftsministerium wiederum auf die Bundesnetzagentur übertragen kann, soll den Befürchtungen entgegengetreten werden, dass die Einführung von Qualitätsklassen zu Lasten des „best effort“-Internet geht. Das wird zum Beispiel dann der Fall sein, wenn Betreiber das Zugangsnetz nicht ausbauen, sondern nur die vorhandene Kapazität umverteilen und es so zu einer unzumutbaren Absenkung des Best-Effort-Standards für die Endverbraucher kommt.

Bislang gibt es allerdings weder eine Definition der Diensteklassen noch eine der Mindestqualität. Und in der Praxis dürfte sich die neue Vorschrift als stumpfe Waffe gegen die Austrocknung des gewohnten Internet erweisen. Denn die Bundesnetzagentur muss vor dem Erlass von Qualitätsanforderungen nicht nur das Einvernehmen mit dem Wirtschaftsministerium und dem Bundestag herstellen (auch der Bundesrat hat inzwischen Ansprüche auf Beteiligung angemeldet), sondern sie hat zuvor auch „eine Zusammenfassung der Gründe für ein Tätigwerden, der geplanten Anforderungen und der vorgeschlagenen Vorgehensweise“ rechtzeitig der EU-Kommission sowie der Dachorganisation der europäischen Regulierungsbehörden zu übermitteln. Den Einwänden der Kommission ist laut Entwurf, „weitestgehend Rechnung zu tragen“. Bevor also dieses schwerfällige Instrumentarium jemals zur Anwendung kommt, haben die Betreiber freie Bahn, Fakten zu schaffen und die als Trittbrettfahrer auf ihren Netzen betrachteten unabhängigen Videodienste über das Internet (beispielsweise Youtube, Hulu und ähnliche) auszubremsen.

Der Entwurf der TKG-Novelle räumt den Eigentümern der Endkundenzugänge die Möglichkeit ein, frei zu entscheiden, was in welcher Form den Teilnehmern zugänglich ist. Sie können nicht nur unterschiedliche Diensteklassen in ihren Zugangsnetzen anbieten, sondern auch mit den Inhalteanbietern die Durchleitungskonditionen für den Zugang zu den Endkunden aushandeln. Die Vertragsfreiheit kann beinhalten, dass kein Vertrag zustande kommt und die Konnektivität zu allgemein zugänglichen Quellen unzumutbar beeinträchtigt oder womöglich gänzlich ausgeschlossen wird. Die Verfügungsrechte der Infrastruktureigentümer kollidieren folglich mit dem Grundrecht der Informationsfreiheit, das selbstverständlich auch Videostreams „aus allgemein zugänglichen Quellen“ umfasst – selbst wenn die Schöpfer des Grundgesetz-Artikels 5 die technische Entwicklung nicht vorhersehen konnten.

Matthias Kurth, Chef der Bundesnetz- agentur, soll mit seiner Behörde künftig im Auftrag des Wirtschafts- ministeriums Rahmenvorschriften zur Dienstequalität erlassen können. Ein schwerfälliger Weg durch die Institutionen macht dies aber zur stumpfen Waffe gegen die Vorgaben der Provider.

(Bild: Bundesnetzagentur)

Diesem Konflikt weicht die Bundesregierung in ihrer Novelle gänzlich aus. Sie setzt auf Transparenz, den Wettbewerb der Zugangsnetzbetreiber und die Wechselwilligkeit der Konsumenten. Aber die versprochene Transparenz bleibt in Bezug auf Verletzungen der Neutralität nur eine Option, keine verbindliche Vorgabe.

Vorgesehen ist in dem Entwurf lediglich, dass das Wirtschaftsministerium auf dem Verordnungswege – oder per Verordnungsermächtigung an die sich allmählich zu einer Superbehörde entwickelnde Bundesnetzagentur – die TK-Netzbetreiber und -Diensteanbieter künftig verpflichten kann, „die Teilnehmer über jede Änderung der Einschränkungen im Hinblick auf den Zugang zu und die Nutzung von Diensten und Anwendungen zu unterrichten“ sowie „Informationen über alle vom Betreiber zur Messung und Kontrolle des Datenverkehrs eingerichteten Verfahren“ bereitzustellen (§ 45n TKG-E).

Den Anbieterwechsel sollen kürzere Vertragslaufzeiten erleichtern. Für jedes ihrer Produkte wie beispielsweise den Telefon-, Breitband- oder Mobilfunkanschluss müssen Anbieter in Zukunft auch mindestens eine Vertragsform anbieten, deren Mindestlaufzeit nicht mehr als zwölf Monate betragen darf. Die anfängliche Mindestlaufzeit anderer Vertragsformen darf 24 Monate nicht mehr überschreiten (§ 43b TKG-E). Auch soll künftig alles reibungsloser vonstatten gehen. Die Neufassung des § 46, der bisher lediglich die Rufnummernübertragbarkeit beim Wechsel zu einem neuen Telefondienstanbieter regelte, bezieht nun alle Leistungen mit ein und schreibt vor, dass beim Umstieg „der Dienst des Teilnehmers nicht länger als einen Kalendertag“ unterbrochen werden darf.

Telekom-Chef René Obermann bezeichnet die Diskussion um die Netzneutralität schon einmal als Scheindebatte. Gleichzeitig etabliert die Telekom mit Next Generation Networks die Möglichkeiten, Datenverkehr gezielt zu priorisieren und zu tarifieren.

Allerdings suggeriert schon der Titel dieses Paragrafen („Anbieterwechsel und Umzug“), dass die Bundesregierung hierbei weniger die Netzneutralität als vor allem die Begleitprobleme eines Wohnungswechsels im Auge hat, bei dem viele Provider dem Kunden den Abschluss eines Neuvertrages mit entsprechendem Neubeginn der Vertragslaufzeit abnötigen. Dieser Praxis soll nun ein Riegel vorgeschoben werden, indem der Weiterbezug der Leistungen nicht mehr vom Abschluss eines neuen Vertrags abhängig gemacht werden darf.

Gegen Einschränkungen bei der Nutzung von Anwendungen und Diensten während der Vertragslaufzeit gibt es jedoch kein Sonderkündigungsrecht des Kunden zum vorzeitigen Ausstieg. An einer entscheidenden Stelle, wo der Teilnehmer unmittelbar auf die Verletzung der Netzneutralität reagieren könnte, wird ihm somit der Wechsel keineswegs erleichtert und Sanktionsmöglichkeiten bleiben ihm verwehrt.

Der Bedrohung, dass bestimmte Hosts möglicherweise gar nicht oder nur über administrierte, vom Betreiber voreingestellte Diensteklassen zugänglich sein werden, wenn die Zugangsnetzbetreiber künftig sowohl Anschlusskosten von den Teilnehmern als auch Durchleitungskosten von den Dienste- und Inhalteanbietern kassieren, meint die Bundesregierung mit der Neufassung des § 2 ausreichend zu begegnen. Darin heißt es, „die Bundesnetzagentur fördert die Möglichkeit der Endnutzer, Informationen abzurufen und zu verbreiten oder Anwendungen und Dienste ihrer Wahl zu nutzen“. Der Referenten-Entwurf hatte diese Passage zuvor noch ein wenig stärker formuliert; dort klang anstelle des unverbindlichen „fördert“ immerhin so etwas wie ein Anspruch der User an: „Die Endnutzer sind in die Lage zu versetzen, Informationen abzurufen und zu verbreiten sowie beliebige Anwendungen und Dienste zu benutzen.“

Im Gesetzestext mogelt sich die schwarz-gelbe Koalition mit dem „fördert“ um eine klare Aussage zu geschäftspolitisch motivierten Zugangsbeschränkungen herum. Lediglich aus einer Stelle in der Begründung des 175-seitigen Novellierungsentwurfs geht hervor, dass es ihr in Wirklichkeit darauf ankommt, dass die User Einschränkungen der Konnektivität hinzunehmen haben. „Die Zulässigkeit von direkten oder indirekten Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen“, heißt es da eher beiläufig, würde weder von dem europäischen Rechtsrahmen noch von der deutschen TKG-Novelle in Frage gestellt.

Die Möglichkeiten, die der § 18 TKG als Ansatzpunkt zur Durchsetzung der Netzneutralität böte, bleiben ungenutzt. Er betrifft die Regulierung von Unternehmen, die den Zugang zu Endnutzern kontrollieren und ist auf die Neutralität des guten alten Telefonnetzes gemünzt. Danach kann die Bundesnetzagentur „in begründeten Fällen“ Betreiber verpflichten, ihre Netze mit denen anderer Betreiber zusammenzuschalten, „um die Kommunikation der Nutzer und die Bereitstellung von Diensten sowie deren Interoperabilität zu gewährleisten“. Sie kann ihnen darüber hinaus „weitere Zugangsverpflichtungen auferlegen, soweit dies zur Gewährleistung des End-zu-End-Verbunds von Diensten erforderlich ist“.

Mit der 2004 ins TKG eingeführten Vorschrift hatte der Gesetzgeber die Konnektivität für „telefonnahe Dienste“ im Auge. Anordnungen zur Netzzusammenschaltung sollten dazu dienen, „die Kommunikation der Nutzer oder deren Zugang zu Diensten, die über bestimmte Rufnummern erreicht werden können, zu gewährleisten“, hieß es seinerzeit zur Begründung. Es sollte beispielsweise nicht der Fall eintreten, dass ein Netzbetreiber die Durchschaltung bestimmter Rufnummernblöcke wie etwa von 0800- oder 0900-Sonderrufnummern in das Nachbarnetz blockiert, weil sich die beteiligten Netzbetreiber nicht über die Entgeltverteilung einigen können.

Es wäre ein Leichtes, dieselbe Intention unmissverständlich auf Breitbandnetze und -dienste zu übertragen, zum Beispiel mit der ergänzenden Formulierung: „Wer ein öffentliches Zugangsnetz betreibt, hat diskriminierungsfrei die Konnektivität der Teilnehmer zu gewährleisten. Diese Verpflichtung gilt für alle angebotenen Dienste.“ Stattdessen überlässt es die Bundesregierung den Zugangsnetzbetreibern, neue Regeln in den Markt einzuführen, während sie den anderen Marktteilnehmern nur unzureichende Instrumente zur Verteidigung der Netzneutralität an die Hand gibt. Aus Verbrauchersicht ist das schlicht unterlassene Hilfeleistung.

[1] Richard Sietmann, Schmalspur, Der Kampf gegen die Netzneutralität zielt auf die Vereinnahmung des Internet, c’t 8/11, S. 158

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TKG-Novellierung: die wichtigsten Änderungen für den Kunden

Warteschleifen sind künftig nach einer Übergangsfrist von einem Jahr nach dem Inkrafttreten der Novelle für alle Sonderrufnummern kostenlos. Kostenpflichtige Warteschleifen dürfen nur noch eingesetzt werden, wenn entweder der Anruf einem Festpreis unterliegt oder – bei zeitabhängiger Abrechnung – der Angerufene die Kosten für die Dauer der Warteschleife trägt.

Anbieter müssen künftig vor Vertragsabschluss ihre Kunden über die Voraussetzungen eines Anbieterwechsels, die Entgelte für die Rufnummernmitnahme und die Entgelte für die Auflösung des Vertrages informieren. Anbieter sind verpflichtet, ihren Kunden auch den Abschluss von Verträgen zu ermöglichen, deren Mindestlaufzeit nicht mehr als zwölf Monate beträgt. Auch darf die anfängliche Mindestlaufzeit bei anderen Vertragsformen 24 Monate nicht überschreiten.

Netzbetreiber müssen ihre Geschäftsprozesse so gestalten und aufeinander abstimmen, dass bei einem Anbieterwechsel der Dienst des Teilnehmers nicht länger als einen Kalendertag (ausdrücklich nicht „Arbeitstag“) unterbrochen wird. Im Falle eines Umzugs müssen Telefon- und Internetanbieter die Leistung ohne Änderung der vereinbarten Vertragslaufzeit am neuen Wohnort fortführen, soweit diese dort angeboten wird. Wird die Leistung am neuen Wohnort nicht angeboten, gilt ein Sonderkündigungsrecht mit einer Frist von drei Monaten.

Mobilfunkkunden können künftig ihre Rufnummer unabhängig von der konkreten Vertragslaufzeit jederzeit zu einem neuen Anbieter mitnehmen. Der bestehende Vertrag mit dem alten Anbieter bleibt davon unberührt; auf Verlangen hat dieser dem Endnutzer eine neue Rufnummer zuzuteilen.

Die inhaltlichen Anforderungen an die Teilnehmerrechnung werden erweitert, damit dem Endkunden bei „Kostenfallen“ die Rechtsverfolgung erleichtert wird. So müssen Anbieter bei der Erhebung von Entgelten für die Leistungen Dritter – wie beispielsweise beim Mobile Payment oder bei Premium-SMS – den Namen, die ladungsfähige Anschrift und die kostenfreie Kundendienstnummer der Drittanbieter mit aufführen.

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Kritik von Opposition und Wissenschaft

Als erste Oppositionspartei im Bundestag hat die Grünen-Fraktion bereits im November letzten Jahres von der Bundesregierung verlangt, „sich für die dauerhafte Gewährleistung der Netzneutralität durch eine gesetzliche Festschreibung auf europäischer Ebene einzusetzen“. Im Februar zog die Linke mit der Forderung nach, die Netzneutralität bei der jetzt anstehenden Novellierung im TKG zu verankern. Konkret verlangt sie die grundsätzlich gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Behandlung aller IP-Datenpakete im Internet sowie ein Verbot der Deep Packet Inspection zur Überwachung oder Manipulation der Inhalte des IP-Datenverkehrs durch die Netzbetreiber.

Die Priorisierung soll nur „bei zeitkritischen Diensten und ausschließlich zur technischen Effizienzsteigerung“ zulässig sein, wenn „dabei der Zugang und die Verbindungsqualität zu anderen Inhalten, Anwendungen und Geräten weder blockiert noch behindert oder verschlechtert wird“, fordert die Linke. Auch die SPD-Fraktion will „jeglicher Form der Diskriminierung im Netz entschieden entgegentreten“ und setzt sich ebenfalls für eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität ein. Sie hat angekündigt, in Kürze einen eigenen Antrag zu den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen einzubringen.

In ihrem Jahresgutachten 2011 kritisiert die – von der Bundesregierung selbst eingesetzte – Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), dass mit dem TKG-Entwurf „lediglich die Vorgaben des EU-Telekom-Pakets übernommen“ wurden. Die Kommission sieht „die Netzneutralität und mit ihr die Innovationskraft des Internet als akut gefährdet“.

(jk)