G8-Gipfel: geistiges Eigentum vs. Entwicklung und Verbraucherinteressen?

Ziel von insgesamt 19 Bürgerrechts-, Verbraucherschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen sei es, der "einseitigen Agenda der Bundesregierung" mit Betonung unter anderem der geistigen Eigentumsrechte beim G8-Gipfel 2007 entgegenzutreten.

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Von
  • Monika Ermert

Vor den negativen Folgen einer fortschreitenden Verschärfung der Rechte am geistigen Eigentum warnten heute die Vertreter von Verbraucherschutz-, Entwicklungshilfe- und Bürgerrechtsorganisationen in Berlin. Das Hauptziel der Tagung von insgesamt 19 Nichtregierungsorganisation sei es, "der einseitigen Agenda der Bundesregierung beim geplanten G8-Gipfel im kommenden Jahr entgegenzusetzen, dass die Verschärfung dieser Rechte negative Folgen für Entwicklungsländer hat", sagte Oliver Moldenhauer von ATTAC.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das Thema "geistiges Eigentum" zu einem Schwerpunktthema des Gipfels in Heiligendamm erklärt. Deutschland übernimmt im kommenden Jahr die G8-Präsidentschaft und hat daher das Vorschlagsrecht für die Agenda beim Gipfel der acht Industriestaaten, die sich im Rahmen der G8-Gruppe regelmäßig konsultieren.

Damit das Thema "geistiges Eigentum" nicht nur unter dem Blickwinkel der Industrie- und Standortförderung diskutiert werde, sondern Verbraucherinteressen berücksichtigt würden, planen die NGOs mehrere eigene Veranstaltungen beim Gegengipfel in Rostock und eine Demonstration am Rande des Gipfels. Mit von der Partie sind unter anderem medico international, Ärzte ohne Grenzen, das Forum Umwelt und Entwicklung, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die AIDS-Kampagne, das Netzwerk Freies Wissen und die Verbraucherzentrale Bundesverband – "eine breite Koalition vom Bauern bis zum Computerfreak", meinte Moldenhauer.

Bei der Veranstaltung am heutigen Donnerstag in Berlin, die mit einer abendlichen Podiumsdiskussion schließt, geht es unter anderem um die Probleme und Alternativlösungen in den Bereichen Filesharing sowie Pharma- und Agropatente. "Es ist eben schon etwas anderes, ob eine CD schwarz gebrannt wird oder ob der Patentschutz umgangen wird, um ein Generikum herzustellen", sagt Christian Wagner von der BUKO Pharmakampagne. Generika seien hochwertige und aus Sicht der armen Länder unverzichtbare Produkte. "Unser Eindruck aber ist, dass das politisch ganz gezielt durcheinander geworfen wird, um günstige Medikamente zu diskreditieren." Dabei sei längst klar, dass der Patentschutz in vielen, finanziell aufgrund der potenziellen Empfänger nicht attraktiven Bereichen keinen Anreiz darstelle.

So genannte "Armenkrankheiten" werden daher kaum erforscht. Im Bereich der "vernachlässigten Krankheiten" werde inzwischen mehr und mehr auf so genannte Produktpartnerschaften gesetzt, bei der Industrie- und öffentliche Forschungsinsitute sich zusammenschließen und versuchen, auch öffentliche Gelder zu bekommen, meinte Wagner. Die Weltgesundheitsorganisation habe mit ihrer Erklärung vom vergangenen Mai auch anerkannt, dass die Arnzeimittelforschung eine öffentliche Aufgabe sei und angekündigt, dabei eine koordinierende Rolle zu übernehmen. Mehr Gelder könnten auch flüssig werden, wenn aufgrund einer möglichen höchstrichterlichen Entscheidung in den USA künftig strenger auf die Originalität von Patentanmeldungen geachtet werde. "Nur 10 Prozent der Medikamente, die auf den Markt kommen, bringen einen neuen, therapeutischen Effekt."

Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst verwies auf Partner seiner Organisation in Afrika, die im Kampf gegen Aids dringend auf billige Medikamente angewiesen seien. Zwar habe die Welthandelsorganisation 2003 erstmals Regeln für den Handel mit Generika verabschiedet. "Aber diese Regeln sind so kompliziert, dass in den letzten drei Jahren fast niemand in den Genuss von Generika kommen konnte", betonte Frein. Er kritisiert, dass die EU nun in bilateralen Abkommen etwa die karibischen Staaten auf die wenig hilfreichen WTO-Regeln festnageln wollte. Auch im Bereich der Agropatente, mit denen Bauern dauerhaft von großen Saatgutkonzernen abhängig gemacht werden, weil ihnen die Wiederaussaat verboten wird, sieht Frein große Probleme.

"Laut Zahlen der Weltbank bedeutet eine vollständige Umsetzung von TRIPS [Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights] Mehrkosten für die Entwicklungsländer von rund 60 Milliarden US-Dollar. Soviel müssen die Entwicklungsländer jährlich für Lizenzen an die Industrieländer bezahlen", meinte Frein. Deutschland erziele einen Gewinn von 6,8 Millionen Euro. "Wir profitieren also bereits gewaltig von dem System. Die Debatte um eine Stärkung des geistigen Eigentums, so wie sie Frau Merkel führt, finden wir, mit Verlaub, etwas einseitig." Man könne nicht so tun, als wären gefälschte Luxusgüter und Lacoste-T-Shirts das einzige Problem.

Bei all der Debatte um Piraterie dürfe man nicht vergessen, dass etwa die Schweizer Pharmaindustrie berühmt gewesen sei für das "Kopieren" von Medikamenten, fügte Frein hinzu. Erst 1978 seien in der Schweiz Pharmapatente eingeführt worden; "bis dahin hatte man gelernt, wie man Forschung und Entwicklung von Medikamenten betreibt." Über Jahrhunderte hätten die Industriestaaten in vielen Bereichen selbst kopiert und darüber eigenes Wissen generiert. "Das erreicht man übrigens nicht, wenn man ein Markenzeichen auf ein Handtäschchen klebt", kommentierte Frein. Die Botschaft für den Gipfel müsse folglich die sein, dass man den Entwicklungsländern nicht die Möglichkeit nehmen dürfe, durch Kopieren auch zu lernen. (Monika Ermert) / (jk)