Demo gegen drohenden Ratsbeschluss zu Softwarepatenten [Update]
Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur protestiert vor dem Verbraucherschutzministerium, das die Position der Regierungsvertreter in Brüssel am Dienstag mit abnicken soll.
Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) hat am heutigen Montag vor dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft protestiert, das die umstrittene Position der Regierungsvertreter zur Richtlinie über "computerimplementierte Erfindungen" in Brüssel am Dienstag im Agrar- und Fischereirat abnicken soll. Nachdem der Termin für die Absegnung des "Gemeinsamen Standpunkts" des EU-Rat vom Mai inzwischen von vielen Seiten bestätigt ist, will der Verband so seine "Webdemo" mit den Hinweisen an Verbraucherschutzministerin Renate Künast über das angreifbare Verfahren im Ministergremium auch vor Ort in Berlin noch einmal mit einer kleinen, kurzfristig bei den Behörden angemeldeten Aktion unterstreichen.
Der FFII hat auf einer Informationsseite eine Vielzahl von Punkten zusammengefasst, die gegen eine Zustimmung zur Ratsposition ohne weitere Debatte sprechen. Den Softwarepatentgegnern zufolge dürfte das Procedere der niederländischen Ratspräsidentschaft die Geschäftsordnung des Ministerrats verletzen. Nicht nur gegen die Fristen zur Aussendung der Tagesordnung und der darauf befindlichen Papiere hätten die Niederländer verstoßen, führt der FFII aus. Sie hätten zudem laut Artikel 3 der Geschäftsordnung auch sogar die Pflicht, die offizielle Verabschiedung der Ratsposition zur Softwarepatentrichtlinie von der Liste der so genannten "A-Punkte" zu nehmen, die ohne weitere Aussprache einfach durchgewunken werden. Denn sobald einer dieser Punkte "zu einer weiteren Diskussion" führen könnte, müsste er abgesetzt und neu verhandelt werden. Eine weitere Debatte dürfte von Ratsmitgliedern wie Polen erwünscht sein, da diese angekündigt hatten, den "Gemeinsamen Standpunkt" nicht mehr unterstützen zu können.
Unterstützung erhält der FFII vom Tokioter Professor Karl-Friedrich Lenz, der den Verband seit längerem berät und nun in seinem Weblog das Vorgehen der Niederländer scharf kritisiert: Vertreter der Regierung in Den Haag würden demnach die Tatsachen verdrehen und sich so von der Aufforderung des eigenen Parlaments entbinden, die Befürwortung der Ratsposition zurückzunehmen. So hieße es, dass es eine "Abstimmung" in Brüssel am Dienstag gar nicht gäbe, man also gar nichts gegen das Abnicken des Ratsstandpunkts tun könne. Laut Lenz ist aber auch das reine Abhandeln des Tagespunkts eine Form der Abstimmung -- unabhängig davon, ob nun darüber diskutiert werde oder nicht. Lenz spricht daher von einer "verstörenden Umkehr demokratischer Prinzipien".
[Update]:
Unverständnis über das kurzfristig geplante Vorgehen des EU-Rates hat jetzt auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude geäußert. Nachdem seine Stadt im Sommer auf Grund der Position der Regierungsvertreter zu Softwarepatenten mit ihrer Umrüstung auf Linux kurzzeitig ins Schlingern gekommen war, erklärte der SPD-Politiker heute: "Nach der Vielzahl an geäußerten Bedenken von allen Seiten der Politik, von mittelständischen Unternehmen und vielen Entwicklern freier Software war eine weitere Aussprache zum Richtlinienentwurf im EU-Rat erwartet worden und nicht ein Durchwinken in dem fachfremden Landwirtschafts- und Fischereirat. Diese Erwartungen habe ich heute auch an Ministerin Künast herangetragen."
Zum Thema Softwarepatente siehe auch:
- Abstimmungsdurcheinander im EU-Rat wegen Softwarepatenten
- Signal auf Grün für Softwarepatentrichtlinie des EU-Rates
- An den Grenzen der Technik, Technology Review 12/2004
- EU-Rat manövriert weiter bei der Softwarepatent-Richtlinie
- Grüne sehen keinen Verhandlungsspielraum bei Softwarepatenten
- Bundestag will Softwarepatentierung "effektiv begrenzen"
- "Die Softwarepatent-Richtlinie ist trügerisch, gefährlich und demokratisch nicht legitimiert"
- Mittelstandsvereinigungen warnen Bundeskanzler vor Softwarepatenten
- Polen will EU-Softwarepatent-Richtlinie verhindern
- Industrieverband macht sich für Softwarepatente stark
- Wirtschaftsministerium: Softwarepatent-Umfrage schoss weit übers Ziel hinaus
- Softwarepatente: Neue Zweifel an der Gültigkeit der EU-Ratsposition
- Neuauflage der umstrittenen Softwarepatent-Umfrage
- Wie geht es weiter in Berlin und Brüssel?
- Verhärtete Fronten
- Bundestag kritisiert EU-Pläne zur Patentierbarkeit von Software
- Informationskampagne gegen Softwarepatente gestartet
- Novell bringt Patent-Geschütz für Open Source in Stellung
- Heftige Kritik an Münchner Softwarepatent-Gutachten
- Ökonomin: Open Source wird sterben, wenn Softwarepatente kommen
- Wirtschaftsberater warnen EU vor Softwarepatenten
- Microsoft weitet Patent-Portfolio aus
- Open Source in der Schweiz: "Rechtliche Risiken sind beherrschbar"
- Versicherung: 283 Patente gefährden Linux
- Ein Interview mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Ministerialdirektor Elmar Hucko über Softwarepatente, Urheberrecht und geistiges Eigentum veröffentlichte c't in Ausgabe 16/2004: "Das Urheberrecht kennt kein Recht auf Privatkopie", c't 16/2004, S. 158
- Befürchtungen um einen "Patentkrieg" Microsofts gegen Open Source
- Patente als potenzielle Waffe Microsofts gegen Open Source
- Bitkom gegen Softwarepatent-Umfrage des Wirtschaftsministeriums
- Wirbel um Softwarepatent-Umfrage
- Gefahr für den IT-Mittelstand, Die Softwarepatent-Richtlinie des EU-Rates erhitzt die Gemüter, c't 13/2004, S. 22
- Die Brüsseler Patentschlacht, Der Streit um EU-Softwarepatente in der vorletzten Runde, c't 12/2004, S. 60
- Softwarepatentgegner werfen Brüssel Verlogenheit vor
- EU-Staaten über Softwarepatente einig
- Europaparlament gibt reinen Softwarepatenten einen Korb
(Stefan Krempl) / (anw)