Just in place statt Just in time

Die Lieferengpässe nach dem Erdbeben in Japan werfen die Frage auf, wie belastbar eigentlich die globale arbeitsteilige Produktion ist.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Niels Boeing

Arbeitsteilung ist an sich eine feine Sache. Niemand muss alles machen, und jeder macht nach Möglichkeit das, was er am besten kann. Die Globalisierung hat die industrielle Arbeitsteilung auf die Spitze getrieben.

Vor allem Hightech-Produkte enthalten Bauteile, die an verschiedensten Orten auf der Welt gefertigt werden. Was der berüchtigte Joghurt mit seinen weitläufigen Transportwegen für Milch, Becher und Früchte im kleinen ist, sind Autos, Rechner und Digitalkameras im globalen Maßstab. Die Weltproduktion ist ein verteiltes Gewebe aus Fabriken, deren Output von einer enormen globalen Logistik zusammengeführt wird.

Deren Achillesferse fördert nun das Erdbeben in Japan zutage, das die Fertigung im Nordosten des Landes zeitweise stillgelegt hat. Jedes sechste deutsche IT-Unternehmen habe Lieferengpässe registriert, zitiert die Süddeutsche Zeitung den Branchenverband Bitkom. Speicherchips und andere Elektronikbauteile, aber auch Kameraobjektive und Autoteile verknappen sich, da auf die prallgefüllten Container, die vor dem Beben beladen wurden, nun zu wenige neue folgen.

Wir sehen, dass die globale Arbeitsteilung eine Spezialisierung gefördert hat, die zu einer paradox anmutenden Konzentration der Produktion an wenigen Standorten führt. Know-how und produzierendes Kapital sind eben äußerst ungleich verteilt, und Backups sind in der Welt der Dinge kaum vorgesehen – erst recht nicht im Zeitalter der Just-in-Time-Produktion. Backups kosten schließlich Geld.

Was dem Hightech-basierten Weltwirtschaftssystem fehlt, ist Resilienz – eine Toleranz gegenüber Störungen. Das Ärgerliche an Störungen in komplexen Systemen ist, dass ihre Folgen nicht proportional zu ihrem Ausmaß sind. Die jüngste Finanzkrise hat dies gezeigt. Ob die Lieferengpässe aus Japan nur eine kaum merkliche globale Konjunkturdelle auslösen oder sich zu einem ernsten Abschwung verstärken werden, ist noch nicht abzusehen.

Wenn in den letzten Jahren dauernd von Nachhaltigkeit die Rede ist, müsste auch über Resilienz nachgedacht werden. Eine Lösung könnte eine Just-in-Place-Produktion sein. Embryonale Ansätze hierzu sind seit einiger Zeit im rechnergestützten Rapid Manufacturing zu erkennen (siehe dazu auch den Fokus in der aktuellen Ausgabe von Technology Review).

Just in Place: Statt Dingen werden nur noch Daten von Dingen verschickt. Die Dinge selbst werden daraus in zahllosen Fertigungsstätten lokal hergestellt. Befördern könnte diese Entwicklung das Ende des billigen Öls, ohne das die gigantische Containerflotte auf den Weltmeeren und mit ihr die globale Joghurt-Ökonomie nicht möglich ist.

Einziger Schönheitsfehler: Auch das Internet, über das die Daten kommen müssen, ist nicht so resilient, wie der Mythos vom atomkriegssicheren Kommunikationsnetz uns weismachen will.

Die japanische Katastrophe vom 11. März 2011 sollte jedenfalls nicht nur eine Energiedebatte auslösen. Sie stellt auch erneut die Frage nach einem robusteren und – hinsichtlich der Verteilung von Know-how - gerechteren Weltwirtschaftssystem, deren Beantwortung nach der Finanzkrise vertagt worden ist. (nbo)