Bye-bye, Open Data?

Der Streit um den neuen US-Haushalt könnte ambitionierte Projekte stoppen, staatliche Informationen für alle Bürger verfügbar zu machen.

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Von
  • Erica Naone

Der Streit um den neuen US-Haushalt könnte ambitionierte Projekte stoppen, staatliche Informationen für alle Bürger verfügbar zu machen.

Data.gov ist das Flaggschiff innerhalb der Transparenzinitiative, mit der US-Präsident Barack Obama (auch) seine Wahl gewonnen hat. Doch die neue Web-Infrastruktur, mit der den Bürgern deutlich mehr Informationen aus der Verwaltung zur Verfügung gestellt werden sollten, steht vor dem Aus. Von sowieso schon schmalen 35 Millionen Dollar, die dem sogenannten Electronic Government Fund zur Verfügung stehen sollten, könnte der Etat bald auf 8 Millionen Dollar schrumpfen. Grund sind die anstehenden großräumigen Einschnitte im amerikanischen Haushalt, um den Republikaner und Demokraten gerade kämpfen.

Noch ist nicht vollständig ausgewürfelt, wie stark Data.gov von den Kürzungen betroffen sein wird. Klar ist nur: Als Obama sein Amt antrat, versprach er, den analogen Muff aus den Amtstuben zu fegen. Er ernannte Vivek Kundra zum ersten "Chief Information Officer" der Vereinigten Staaten und startete eine ganze Reihe von Open-Data-Initiativen, unterstützt von einzelnen Bundesstaaten und mehreren Großstädten.

Das erscheint nun wie aus einer vergessenen Welt. Die US-Politik sucht derzeit verzweifelt nach Bereichen, mit denen sie das Schuldendilemma im Bundesetat abmildern kann. Informationsexperten kritisieren das massiv: Sie fürchten, dass ein Verlust von Data.gov die in den letzten Jahren rasant wachsende Bewegung hin zu mehr Transparenz und Bürgerinformation ersticken könnte. Denn schließlich gehören den Amerikanern diese Daten ja schon, sie kamen bislang nur nicht leicht genug an sie heran.

"Die Regierung sammelt schon seit langem interessante Daten, doch offen waren die nicht", sagt Rufus Pollock, Mitglied des Zentrums für Geistiges Eigentum und Informationsrecht an der Universität Cambridge, der gleichzeitig Direktor der Non-Profit-Organisation Open Knowledge Foundation ist. Die Stiftung versucht, Daten leichter zugänglich zu machen, damit Bürger sie nutzen und miteinander teilen können und dadurch neuartige Anwendungen entstehen.

In vielen Ländern fehle Bürgern der Zugriff auf Regierungsdaten ganz, sagt Open-Data-Experte Pollock. Selbst in den USA, wo ein Informationsfreiheitsgesetz den Zugriff regelt, blieben große Infomengen versteckt, weil zahllose praktische Hürden aufgebaut seien. Das hat nicht nur mit der Darreichungsform zu tun. "Wer kann schon eine Tabelle mit 30.000 Zeilen lesen, in der steht, wie die Steuern in diesem Jahr ausgegeben werden?" Informationen müssten deshalb bildlicher werden, damit sich die Menschen stärker für sie interessierten.

Die ansprechende Bereitstellung braucht noch Intermediäre, also Firmen und Menschen, die Daten bearbeiten und sie zu Charts, Websites, Visualisierungen und Apps umwandeln. Data.gov hilft dabei bisher, weil hier ein zentrales Archiv entsteht, auf das Interessierte zugreifen können. "Wir beginnen gerade erst, zu erkennen, was die Leute alles tun können, wenn diese Daten endlich frei verfügbar sind", sagt Pollock.

Harlan Yu, Doktorand am Center for Information Technology Policy an der Princeton University, sieht vor allem in der Standardsetzung durch Data.gov eine wichtige Entwicklung. Einheitliche Formate erleichterten den Umgang mit Daten und die Weiterverarbeitung enorm. Die meisten Leute sähen nur die Website, doch die dahinter aufgebaute Infrastruktur sei mindestens genauso wichtig. Yu weiß, wovon er spricht: sechs Monate lang arbeitete er mit dem US-Arbeitsministerium daran, um mehr statistisches Material und andere relevante Daten freizugeben. Dabei habe sich Data.gov als enorm wichtiger Rat- und Taktgeber erwiesen.

"Wenn man die Menschen an Regierungsdaten heranlässt, befreit man sich von dieser einen, monolithischen Draufsicht, die jetzt noch vorherrscht." Externe Entwickler von außen neigten viel eher dazu, aus unübersichtlichen Informationsbergen interessante Teilbereiche zu erschließen.

Joseph Kelly, Organisationsleiter beim Datenverarbeiter Infochimps, der unstrukturierte Informationen zu Feeds umformt, die von Anwendungen und Websites verarbeitet werden können, glaubt allerdings nicht, dass ein Ende von Data.gov gleich ein Ende der reichlich fließenden neuen Datenzuflüsse bedeutet. Schon jetzt seien die dort verfügbaren Informationen normalerweise noch recht roh, weswegen seine Firma hier eine Zwischenebene anbiete. Data.gov sei aber in seiner zentralen Rolle als Plattform nicht zu unterschätzen: Informationen und Publikum würden hier zusammengebracht.

Einige Datensätze, etwa diejenigen aus dem US-Zensus, werden häufiger heruntergeladen als andere. Doch auch die weniger populären Informationen seien in der richtigen Anwendung wertvoll, meint Kelly. So arbeitet Infochimps mit dem US-Agrarministerium zusammen, um eine neue App zu entwickeln, die Kunden hilft, örtliche Bauernhöfe zu entdecken. Die Daten an sich seien vielleicht langweilig, doch Ökobewegte, die vor allem regional kaufen wollten, reagierten auf die App begeistert.

Den Open-Data-Experten Pollock stört an dem Gezerre um Data.gov vor allem eines: Sollte die Seite wirklich nicht überleben, käme das einer Abwendung von den anfänglichen Transparenzbemühungen der Obama-Administration gleich. "Die Website ist ja toll, aber worum es vor allem geht, sind die tatsächlichen Daten", sagt er. Ergo: Obwohl das Ende von Data.gov ein Symbol wäre, lägen die Probleme dann deutlich tiefer. Es könnte der Anfang vom Ende der amerikanischen Open-Data-Bewegung mit Regierungshilfe sein. (bsc)