US-Musikindustrie spricht sich für Domainsperrungen aus

RIAA-Präsident Gary Sherman meinte auf einer Konferenz, im Kampf gegen Piraterie seien weitere Gesetze nicht nötig. Doch er befürwortet auch ein in den USA umstrittenes Gesetzesvorhaben.

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  • Monika Ermert

Der Verband der US-Musikindustrie Recording Industry of America Association (RIAA) hält weitere Gesetze im Kampf gegen Piraterie für vorerst nicht notwendig. Stärker als bisher setze die Wirtschaft auf freiwillige Take-Downs durch die Internet Service Provider, sagte RIAA-Präsident Gary Sherman auf einer Konferenz zum Thema "Rethink Music" in Boston. Sherman befürwortete gleichzeitig den Combating Online Infringement and Counterfeiting ACT (COICA), den laut US-Berichten der demokratische US-Senator Patrick Leahy erneut auflegen will. Mit dem Gesetz soll das Sperren und Blocken von Domains von Nicht-US-Nutzern durch Registrare und Netzwerkanbieter geregelt werden. Auch sollen Zahlungsströme gekappt werden können. Der Gesetzesentwurf ist in den USA umstritten. Sherman sprach demgegenüber von einen "hohen Standard" bei der Feststellung der angeblichen Rechtsverletzer.

Die auf der Basis des Digital Millenium Copyright Act geführte Klagewelle gegen Angebote wie Napster, aber auch Endnutzer erklärte Sherman praktisch für beendet. Niemand hätte 99 Cent für einen Itunes Download bezahlt, wenn sich die RIAA nicht zunächst mit der Klagewelle dem Klau entgegengestellt hätte. Sherman nahm schließlich auch noch das Three-Strikes-Konzept aus Frankreich in Schutz, bezeichnete allerdings die Schwarze Liste, auf der Nutzer nach der dritten Warnung landen, als überzogen.

Kaya Köklü vom Max Planck Institut für Urheber- und Wettbewerbsrecht in München wies in Boston auf Probleme des französische Ansatzes hin, insbesondere das Fehlen eines Einspruchsrechts für die betroffenen Nutzer bei den ersten beiden Mitteilungen durch die zuständige Hadopi-Behörde. Erst nach der dritten Mitteilung, in der dem Nutzer eine bis zu zwölfmonatige Internetsperre angekündigt wird, kann er Widerspruch vor einem Gericht erheben. Eine zentrale Frage sei auch, inwieweit eine IP-Adresse als Beweis der Schuld ausreiche. Die mögliche Installation einer Software, die Online-Aktivitäten des Nutzers auf seinem Rechner aufzeichnet, bedeute letztlich eine Umkehrung der Unschuldsvermutung. Gesunken sei die Zahl der Urheberrechtsverletzungen seit der Einführung des Three-Strike-Systems übrigens nicht, sagte Köklü mit Hinweis auf eine Studie der Universität Nantes.

"Wir können uns den Weg aus dieser Situation nicht mit einer schärferen Verfolgung freiboxen", warnte Google-Justiziar Fred von Lohman, vormals Aktivist der Electronic Frontier Foundation. Sein Unternehmen, das für Anstrengungen im Kampf gegen unerlaubte Inhaltenutzung viel Lob von Seiten der Rechteinhaber einfuhr, sorge sich vor allem über die hohen Summen für Verletzungen. 150.000 Dollar für ein Werk seien halsbrecherisch. Das größte Problem für das Online-Musikgeschäft bleibe, eine bessere und einfachere Lizenzpolitik einzurichten, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen.

Die einstige Vorreiterin im Bereich einer alternativen Politik im Bereich des Urheberrechts, die brasilianische Regierung, warnte der Soziologe Volker Grassmuck vor einer Abkehr von der bisherigen Politik. Die neue Kulturministerin Ana de Hollanda blockiert laut einem Brief unter anderem das neue Urhebergesetz. Rund 1200 Unterzeichner fordern Brasiliens neue Präsidentin Dilma Rousseff zur Rückkehr zu der Politik ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva auf. Von einem veritablen Skandal der brasilianischen Musikverwertungsgesellschaft ECAD berichtete in Boston Ronaldo Lemos, Direktor des Center for Technology and Sociecty an der Fundação Getúlio Vargas (FGV) School of Law. Die ECAD hat offenbar über Jahre viel Geld an einen Betrüger ausgeschüttet.

Die zur Konferenz geladenen Künstler zeigten sich über die Perspektive der Musikwirtschaft uneins. Während der Manager der ohne Label erfolgreichen Band Duo Metric, Matt Drouin, darauf hinwies, dass man durch Ausschaltung der Mittelsmänner bei halben Verkaufszahlen dennoch doppelt so viel verdient habe, erklärte der Manager von REM, Bertis Downs, die komplette Freigabe von Inhalten online für grundsätzlich falsch. Drouin empfahl: "Lasst die Musik gehen und macht das Geld mit der Masse." Ab 10.000 Fans, so schätzen die Experten, habe man ein veritables Geschäft. (anw)