Alles auf Anfang beim Jugendmedienschutz-Staatsvertrag

Am Wochenende haben sich Politiker, Netzaktivisten und Pädagogen getroffen, um über einen Neubeginn zu beraten. Das Barcamp zeigte: Die Lager sind noch weit voneinander entfernt.

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  • Torsten Kleinz

Wie soll es weitergehen mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)? Nach der im Dezember 2010 gescheiterten Novellierung des Gesetzeswerks haben sich am Samstag in Essen Politiker, Netzaktivisten und Pädagogen beim JMStV-Camp getroffen, um über einen Neubeginn zu beraten. Das Barcamp zeigte: Die Lager sind noch weit voneinander entfernt.

Zahlreiche Teilnehmer des Treffens stellten die Grundlage für den Staatsvertrag überhaupt in Frage. Der Medienpädagoge Guido Brombach meinte nach dem Sichten von Langzeitstudien zum Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen, dass der JMStV keine realen Probleme löse. Frage man beispielsweise Jugendliche nach den Gefahren des Netzes, kämen jugendgefährdende Inhalte gar nicht vor; stattdessen gehe es ihnen um Grooming und Mobbing im Internet. Allenfalls sechs Prozent der Kinder komme mit pornografischen Darstellungen in Kontakt. 54 Prozent von ihnen suchten anschließend Gespräche mit Eltern und Freunden, 24 Prozent hörten einige Zeit auf, das Internet zu nutzen. Untersuchungen zeigten zwar, dass die Nutzung des Internets zur schriftlichen Kommunikation mit sinkendem Bildungsgrad stark abnehme, stattdessen steige die Nutzung von Online-Spielen. Inwieweit die mündliche Kommunikation in Multiplayer-Spielen eine Rolle spielt, wurde aber in Langzeit-Studien noch nicht erfasst.

Welche Schlüsse aus solchen Zahlen gezogen werden können, war in Essen umstritten. Der nordrhein-westfälische Staatssekretär Marc Jan Eumann (SPD) versuchte die Erwartungen an eine neue empirische Herangehensweise zu dämpfen: "Nach 50 Jahren Wirkungsforschung sind wir immer noch Fehlern der Wissenschaft ausgeliefert." Immerhin sei deutlich geworden: "Wer mobbt, mobbt auch digital", fasste Eumann zusammen.

Während die einen die Konfrontation mit unerwünschten Inhalten als Teil des normalen sozialen Lebens ansahen, wollen andere Kinder so gut wie möglich vor für sie ungeeigneten Inhalten schützen. "Ich will nicht, dass meine Jugendlichen Spiele spielen, wo man reihenweise Menschen abschießt", erklärte ein Betreuer einer Jugendeinrichtung auf der Konferenz. Der Gesetzgeber lasse den Jugendeinrichtungen keine andere Wahl, als den Zugang zu bestimmten Seiten zu filtern. Positiv daran sei, dass man über die Sperrmeldung mit Jugendlichen ins Gespräch kommen könne.

Die medienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Tabea Rößner warnte davor, das Problem alleine auf die Eltern abzuwälzen. So lasse sich ihre Tochter kaum eine komplette Überwachung ihres Medienkonsums gefallen. Der Gesetzgeber sei in der Pflicht, schließlich sei die Aufgabe des Jugendmedienschutzes im Grundgesetz verankert.

Dem Wunsch nach einer Förderung der Medienkompetenz von Kindern schließen sich alle Beteiligten an – doch wie dieser umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Gerade in Schulen und Jugendeinrichtungen seien die Betreuer unzureichend ausgebildet, um die Heranwachsenden einen kompetenten Umgang mit dem Internet zu lehren. Auch die Medienkompetenz der viel zitierten "digital natives", die das Internet seit frühester Jugend kennen, sei gemischt. So berichtete eine Lehrerin von ernüchternden Erfahrungen bei der Arbeit mit 16-Jährigen: "Sie können ICQ und Facebook – aber sie können nicht mit dem Netz arbeiten."

Rechtsanwalt Marko Dörre beschreibt die deutsche Rechtslage als verheerend: "Die Erotikbranche leidet extrem darunter. Nach dem Inkrafttreten des JMStV 2003 sind die Unternehmen massiv ins Ausland abgewandert." Dennoch hätte er die – dann gescheiterte – Neufassung begrüßt: "Mit dem neuen Staatsvertrag hätte man statt Sendezeiten alternativ eine Alterskennzeichnung umsetzen können. Von der Liberalisierung hätten alle profitiert."

Auch Martin Drechsler von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) bedauerte die gescheiterte Novellierung und machte Fehlinformationen für das Scheitern verantwortlich. So sei der Einsatz von Filterprogrammen unklar gewesen: "Der Eindruck war, dass eine Seite herausgefiltert werden muss, wenn sie keine Alterskennzeichnung verwendet. Das ist jedoch falsch." Nach den Plänen der FSM hätten sich Eltern zwar für eine solche Option entscheiden können, vorher wären sie aber über das massive Overblocking einer solchen Lösung informiert worden.

Während in einigen Vorträgen eine vollkommene Abkehr von der bisherigen Regulierung vorgeschlagen wurde, schlugen Stefan Herwig und Lukas Schneider von der Consulting-Agentur Mindbase in Essen einen Rundumschlag gegen "Intermediäre" vor. Plattformen wie der One-Click-Hoster Rapidshare seien hauptverantwortlich für Urheberrechtsverletzungen und Jugendmedienschutz-Verstöße, da sie für eine Anonymisierung der Nutzer sorgten. "Ohne eine Haftung der Intermediäre kann es deshalb keinen wirksamen Jugendschutz geben", sagte Herwig, der auch die Musikindustrie berät. Er schlägt vor, den Betreibern von Portalen eine generelle Pflicht zur Identifizierung ihrer Nutzer bei Verstößen vorzuschreiben. "Wenn die Anonymität aufgehoben wird, werden sich die Nutzer gesetzeskonform verhalten", hofft Herwig. (anw)