Krise des Patentsystems: Weiterer Streik am Europäischen Patentamt

Ein Großteil der Prüfer an der Münchner Behörde hat erneut für einen ganzen Tag die Arbeit niedergelegt, um gegen Auflagen zum Durchschleusen von Anträgen zu protestieren. Eine wissenschaftliche Studie gibt ihnen Recht.

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Ein Großteil der Prüfer am Europäischen Patentamt (EPA) hat am heutigen Nikolaustag erneut für einen ganzen Tag die Arbeit niedergelegt, um gegen geplante Auflagen zum Durchschleusen von Patentanträgen zu protestieren. Die rund 1900 Ingenieure und Wissenschaftler am Hauptsitz der Münchner Behörde wehren sich mit dem Streik gegen die Einführung eines neuen Bewertungssystems, das Anfang 2007 in Kraft treten soll und ihrer Ansicht nach die hohe Qualität des Europäischen Patentes gefährdet. Die Internationale Gewerkschaft im EPA (IGEPA) kritisiert an dem neuen System vor allem, dass es den Ausstoß möglichst vieler Patente zum Ziel hat. Damit würde gleichzeitig die Qualität der Patente und damit ihr wirtschaftlicher Wert sinken. Auch die drei anderen Niederlassungen des EPA in Berlin, Den Haag und Wien sollen im Lauf der Woche bestreikt werden.

Die insgesamt rund 3500 Patentprüfer haben seit Jahren immer mehr Patentanmeldungen bewältigen, bei gleichzeitig wachsendem Anspruch an ihr Know-how. 2004 landeten 178.000 Patentanträge zur Prüfung auf ihren Tischen, für dieses Jahr werden rund 200.000 prognostiziert. Nach Angaben der IGEPA wuchs die Arbeitsbelastung der Experten in den vergangenen Jahren um rund 30 Prozent. Nach Protestaktionen im Mai und im Oktober rechnet die Gewerkschaft bis zum Ende des Jahres mit dem Ausfall von etwa 10.000 Arbeitstagen. Eine finanzielle Entschädigung erhalten die EPA-Mitarbeiter für den Ausstand nicht. "Wir streiken für die Qualität unserer Arbeit, nicht für mehr Geld", betonte ein Patentprüfer gegenüber der Presse. Man wolle einem "Ausverkauf" der wirtschaftlich gut dastehenden, über Gebühren rund eine Milliarde Euro einnehmenden Behörde entgegenwirken.

Hauptsorge der Prüfer ist das vom Management vorgesehene neue Bewertungssystem PAX (Productivity Assessment for Examiners), das für den einzelnen Patentprüfer Produktionszahlen festlegt. Dessen Arbeitsausstoß darf demnach grundsätzlich weder unter der Durchschnittsproduktion aller Prüfer liegen, noch unter dem eigenen Ergebnis des Vorjahres. Die IGEPA ist der Meinung, dass PAX damit "ein absolut inflationäres System ist". Die Vorgaben der Prüfer würden sich automatisch von Jahr zu Jahr erhöhen und wären damit immer schwerer zu erreichen. Die EPA-Führung ist dagegen der Ansicht, dass für die sachgerechte Auftragserfüllung weiterhin ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen werden.

Eine Studie (PDF-Datei) des Münchner Innovationsforschers Dietmar Harhoff zum künftigen Kurs in der Politik zu geistigen Eigentumsrechten in Europa, die von der finnischen EU-Ratspräsidentschaft in Auftrag gegeben wurde, unterstützt die Prüfer. Das Papier verweist auf ein Wettrüsten vor allem in der Computerindustrie im Patentbereich, in dem immer mehr triviale Schutzansprüche angemeldet und somit mittelfristig Forschung und Entwicklung behindert würden. Auch beim EPA seien die Anmeldungen immer "komplexer" geworden, während die Ansprüche eine niedrigere Qualität als zuvor gehabt hätten. Dies sei wohl auf erhöhten "Manövrierbedarf" im enger werdenden Patentraum zurückzuführen. Dadurch werde unweigerlich ein "Teufelskreis" eingeleitet, der zu weiter sinkender Qualität bei zunehmender Quantität führe.

Während das US-Patentamt angesichts dieser Entwicklung Ansprüche mehr oder weniger nur noch durchwinke, habe das EPA dem Druck lange Zeit standgehalten und einen großen Antragsstau in Kauf genommen, schreibt Harhoff weiter. Doch die Abwärtsspirale bei der Patentqualität drohe nun auch in Europa in Gang zu kommen. So moniert der Professor, dass der Ausstoß an Patenten bei der Münchner Behörde relativ konstant geblieben sei in den vergangenen Jahren – obwohl sich die Qualität der Anträge gleichzeitig verschlechtert habe. Eigentlich hätten weniger Monopolansprüche erteilt werden dürfen. Der Verwaltungsrat des EPA sieht Harhoff daher gefordert, eine Politik für mehr Qualität durchzusetzen.

Generell ist der Report der Ansicht, dass das System des geistigen Eigentums außer Balance geraten ist und sowohl Patente als auch Urheberrechte verstärkt den Informationsfluss und damit die Grundlagen für neue Innovationen behindern. Vor allem die Kombination von Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM), Urheberrecht und dem Vertragsrecht könnte den öffentlichen Zugang zu nützlichen Informationen "effektiv unterbinden". Gleichzeitig bezeichnet Harhoff die oft zu hörende These, dass die Rechte an geistigem Eigentum mit den Rechten an physikalischen Gütern wie Häusern oder Autos zu vergleichen und deshalb genauso streng geschützt werden müssten, als Mythos. Schließlich würden erstere von Regierungen für eine gewisse Zeit vergeben, während vergleichbare Einschränkungen für andere Güter unbekannt seien. Zudem könne von einem "Verbrauch" digitaler oder "geistiger Güter" nicht die Rede sein. Strenge Schutzsystem seien in den vergangenen Jahren vor allem durch den Erfolg alternativer Anreizsysteme hinterfragt worden, wie er etwa bei der Entwicklung von Open-Source-Software zutage trete.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)