Wird die „Renaissance der Kernenergie“ abgesagt?

Die Folgen von Fukushima haben die internationale Energiepolitik verändert: Immer mehr Länder überdenken ihre Pläne zur Atomkraft und visieren eine Stärkung der Erneuerbaren Energien an.

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Von
  • Peter Fairley

Die Folgen von Fukushima haben die internationale Energiepolitik verändert: Immer mehr Länder überdenken ihre Pläne zur Atomkraft und visieren eine Stärkung der Erneuerbaren Energien an.

Auch wenn die Katastrophe von Fukushima inzwischen aus den Schlagzeilen verschwunden ist: Die weltweite Debatte um die Zukunft der Kernenergie hat ihren Höhepunkt noch längst nicht erreicht. Vergangene Woche entschied Japans Premier Naoto Kan, die Pläne für 14 neue Reaktoren aufzugeben. Und auch in den Pro-Kernenergie-Ländern USA, China und Frankreich muss sich die Atomindustrie kritischen Fragen stellen. „Da es einige Zeit dauert, bis die Erkenntnisse aus Fukushima in neue Reaktorkonstruktionen einfließen, und die politischen Entscheider zögerlich sind, wird sich der Ausbau der Kernenergie verzögern“, sagt Jan Horst Keppler, Chefvolkswirt der Nuclear Energy Agency in Paris.

Die Treiber einer „Renaissance der Kernenergie“ seien aber immer noch dieselben, so Keppler: Energieversorgungssicherheit und Klimawandel seien nach wie vor ungelöste Probleme. Die Zeit spielt nun jedoch den erneuerbaren Energien in die Hände, und das Argument niedriger Kosten der Atomkraft verliert zunehmend an Gewicht, wie auch letzte Schätzungen der amerikanischen Energy Information Agency (EIA) zeigen.

In ihrem kürzlich veröffentlichten Jahresreport geht die EIA davon aus, dass ein neuer Reaktor, der 2016 ans Netz geht, Strom zu 114 Dollar pro Megawattstunde produzieren wird. Windkraft, Geothermie und Biomasse würden nach Berechnungen der EIA diesen Preis allesamt unterbieten.

Der internationale Klimarat IPCC hat ebenfalls eine Kurzstudie herausgebracht, die die Erneuerbaren stärkt: Sie könnten 2050, so der IPCC, 80 Prozent des globalen Energiebedarfs decken. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon wiederum forderte vergangene Woche eine qualifizierte Debatte über Kosten, Risiken und Vorteile der Kernenergie. „25 Jahren nach Tschernobyl und zwei Monate nach Fukushima ist es meines Erachtens höchste Zeit, einen kritischen Blick darauf zu werfen, wie die Nuklearsicherheit verbessert werden könnte“, sagte Ban auf einer Pressekonferenz in Genf. Die UN-Vollversammlung soll nun im September in New York die überfällige Diskussion vornehmen.

In Japan scheint sich nun, nach anfänglicher Hilflosigkeit, eine Wende in der Energiepolitik anzubahnen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der Fukushima-Betreiber Tepco radioaktive Messwerte der ersten Tage zurückgehalten hatte, und die lange vermutete partielle Kernschmelze in Block 1 offiziell bestätigt.

Premierminister Naoto Kan ordnete derweil die Abschaltung zweier Reaktoren im AKW Hamaoka an, um erst einmal ihre Tsunami-Vorkehrungen zu verbessern. Zudem will Kann nun Energieeffizienz und Erneuerbare fördern, um einen Teil der japanischen Kernkraft zu ersetzen.

Für die japanischen Energieversorger sind die – katastrophenbedingten oder präventiven – Abschaltungen ein ernstes Problem. Hamaoka-Betreiber Chubu Electric Power werden im Sommer 3600 Megawatt Leistung aus den beiden Reaktoren fehlen. Tepco jedoch wollte 1000 Megawatt von Chubu beziehen, um den durch den Fukushima-GAU bedingten Ausfall von 5000 Megawatt Kapazität zumindest zu dämpfen.

Die deutsche Energiewende wiederum wird nicht ohne Auswirkungen auf Osteuropa bleiben. Dort sind mehrere Reaktoren geplant, die aus Europäischen Entwicklungsfonds mitfinanziert werden – ein Drittel der Fondsmittel stammen jedoch aus Deutschland. Andreas Krämer vom Ecologic Institute, einem Thinktank mit Sitz in Berlin und Washington, glaubt, dass die deutschen Steuerzahler eine Subvention von AKWs hinter der Grenze jetzt nicht mehr mitmachen werden.

Auch in Frankreich, das zu 80 Prozent auf Atomstrom angewiesen ist, wird die Zukunft der Kernkraft inzwischen heftiger debattiert. Das Ergebnis dürfte ebenfalls internationale Auswirkungen haben: Electricité de France (EdF) ist der größte AKW-Betreiber, Areva der größte Reaktorbauer weltweit. Eine erstes Signal Richtung Erneuerbare sandte Ende April der in Paris ansässige Ölkonzern Total aus: Er will 1,38 Milliarden Dollar in Solarenergie investieren, indem er 60 Prozent des US-Photovoltaik- Herstellers SunPower übernimmt.

EdF hält hingegen an seinen Plänen für einen Reaktorneubau in der Normandie fest. Doch selbst EdF traue der Situation nicht, meint Emmanuel Guérin, Energieexperte an der französischen Elite-Uni Sciences Po. EdF hat vorsorglich die restlichen Anteile an seiner Tochterfirma EdF Energies Nouvelles zurückgekauft. „Das ist ein klares Zeichen dafür, dass EdF bei den Erneuerbaren nicht außen vor bleiben will“, sagt Guérin.

Die Sozialistische Partei Frankreichs, die PS, bislang klar pro Kernenergie, überdenkt ihre Position ebenfalls. Mehrere potenzielle PS-Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2012 haben dazu aufgerufen, den Übergang von Kernenergie zu Erneuerbaren einzuleiten.

China und die USA sind ebenfalls nicht unbeeindruckt von Fukushima geblieben. Die chinesische Regierung hat die Genehmigung neuer Reaktor vorübergehend ausgesetzt und spricht nun von einer neuen Balance zwischen Kernkraft und Erneuerbaren. Einige Funktionäre haben angedeutet, dass man das Solarenergie-Ziel von fünf Gigawatt für das Jahr 2015 auf zehn verdoppeln könnte.

In den USA beginnen die ersten Unternehmen, ihre Investitionen in Kernenergie abzuschreiben. Im April verabschiedete sich NRG Energy von seinem 481-Millionen-Dollar- Engagement für zwei neue Reaktoren in Texas, weil die Genehmigungsverfahren zu schleppend liefen und Strom aus Erdgas derzeit zu billig sei. Die US-Tochter von Areva hat Anfang Mai den Bau einer Fertigungsstätte für Reaktorbauteile in Virginia gestoppt, und in North Carolina fiel ein Gesetzesentwurf zur schnelleren Finanzierung neuer Reaktoren durch. Wer die Schuld an der neuen Misere trägt, ist für James Rogers, CEO von Duke Energy, klar: die Nuklearkrise in Japan. (nbo)