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Was war. Was wird.

Am Freitag wurde Hal Faber wie ganz Digitalien Zeuge einer unvorstellbar unordentlichen Aktion der Staatsanwaltschaft, die flüchtige Datenbytes ausgerechnet auf dem Server einer deutschen Partei zu verhaften suchte.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ziemt es sich, nach dem Weltuntergang eine Wochenschau zu schreiben? Wo doch nur noch Atheisten und Tiere auf der Erde herumlaufen und die norddeutsche Tiefebene unter blauen Himmeln frühsommerlich im Rapsduft müffelt? Aus der Bekanntschaft mit meinen Leserinnen und Lesern glaube ich, nicht ganz allein zu sein, an diesem schönen Sonntag, wo die anderen in ihrem Paradies beim Jüngsten Gericht versammelt sind.

*** Beginnen wir mit einem textuellen Hear-In, von einer Versammlung der besonderen Art, auf der BKA-Chef Jörg Ziercke sprach. Aus dem abschließenden Teil, in dem der oberste deutsche Polizist auf Fragen antwortete und sich dabei mit der Operation Coreflood des FBI beschäftigte, ist diese kleine Transkription des Audiomaterials ein guter Einstieg in einen durch und durch barbarischen Wochenrückblick:

"Aber vielleicht haben Sie gemerkt an dem Beispiel USA, das ich Ihnen brachte, dass die in der Lage waren, einen Server umzuleiten, auszuschalten und dann sozusagen Stoppschilder in die Welt zu schicken, um dann Computer aus dem Verkehr zu nehmen – unvorstellbar in Deutschland. Ich habe gleich gesagt, dass, wenn die Amerikaner das bei uns wollten, das machen wir auf gar keinen Fall. Also, da kann ich gleich meinen Hut nehmen. (Gelächter)"

*** Unvorstellbar? Na, dann stellen wir einfach einmal vor, wie so etwas in Deutschland abläuft, wenn die Server einer kleinen Partei gekapert werden, weil angeblich strafrechtlich relevantes Material in einem Pad auf einem virtuellen Server vorhanden war. Eine unvorstellbar unordentliche Aktion der Staatsanwaltschaft Darmstadt mit einem ordentlichen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichtes lief am Freitag ab: Man reagierte angeblich auf einen vagen Hinweis aus Frankreich, obwohl nicht einmal ein Rechtshilfeersuchen vorlag - das wurde nachgeholt. Anstelle der vom BKA-Chef Ziercke bewunderten Amerikaner wurde nichts umgeleitet, sondern einfach abgeschaltet und ein Server kopiert von diesen diesen "Typen, die könnten genauso gut im Silicon Valley in einer Garage sitzen und Programme entwickeln". So aberwitzig und dilettantisch die ganze Aktion ist, so aberwitzig ist die Begründung, wenn die Angaben der Piratenpartei stimmen. Wegen der Flüchtigkeit der Daten sah man Gefahr im Verzuge und stöberte bei Aixit in Offenbach in allem, was irgendwie wie ein Piratenbyte aussah. Die flüchtige Datei, die solchermaßen inhaftiert werden sollte, soll angeblich ein SSH-Schlüssel sein, der zum Angriff auf den französischen Energiekonzern EDF gestohlen wurde. Dass dieser Unsinn straffrei erzählt werden kann, zeugt nicht gerade vom Sachverstand der Beteiligten: Ein kompromittierter Server-Schlüssel muss schleunigst ersetzt werden, da er sonstwohin kopiert sein kann in diesem informationellen Globalismus, das wissen die in Feindspionage geschulten Techniker von EDF. Oder sind sie alle abgezogen worden, um als Cybergarde gegen digitale Angriffe auf den G8-Gipfel anzutreten, der Internet-Sperren beschließen soll?

*** Was nach der virtuellen Zurückgabe der Server bleibt, ist die Verschwörungstheorie, dass deutsche Behörden unter Missachtung des Parteienstatus zielgenau vor einem Wochenende mit einer kleineren unwichtigen Wahlentscheidung bei den bankrotten Nordländern einmal ausprobieren wollten, wie sich der digitale Widerstand entwickelt, wenn er sich denn überhaupt entwickelt. Passend serviert mit dem hanebüchenem Unsinn einer polizeilichen Kriminalstatistik zum Tatmittel Internet, das so unsicher ist, dass es unbrauchbar wird, so ganz ohne Vorratsdatenspeicherung.

*** Wir erleben ein spieltehoretisches Experiment, das ein lustiger Vogel auf den 100. Geburtstag des großen Anatol Rapoport gelegt hat, der mit vier Zeilen Fortran-Code zum Thema Auge um Auge, Zahn um Zahn Geschichte schrieb: "Schwäche gibt Stärke", dieses Prinzip entdeckt zu haben, dürfte sein größter Verdienst sein. Der "Erfinder" des Teach-In, der als Kriegsgegner aus Protest gegen den Vietnamkrieg von USA nach Kanada wechselte und dort ein Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung gründete. Rapoport gehörte zu den musikalischen Mathematikern, dem die Nationalsozialisten eine Karriere als Musiker verbauten: Nach seinem ersten Auftritt als Konzertpianist in Wien im Jahre 1933 sollte eine Deutschlandtournee folgen, die abgesagt werden musste.

*** Es ist etwas untergegangen in der großen Rede von Obama zur Lage im Nahen Osten, aber die neue Cyber-Offensive der USA verdient Beachtung. Sie hat entgegen der Übersetzung nichts mit Bürgerrechten im Sinn, sondern mit dem Kampf gegen cybercrime and the loss of intellectual property. Wer den Appell an die Nationalstaaten liest, wird unschwer die "Tit for tat"-Strategie erkennen, mit der Stärke demonstriert werden soll, ungeachtet der Erkenntnisse von Rapoport. Die von den jugendlichen "Südländern" vermittelte Botschaft, dass die Nationalstaaten bankrott sind, ist dabei noch gar nicht in den Köpfen der offensiven Cyber-Strategen angekommen.

*** Bekanntlich spielt Bundesminister De Maizière seit der CeBIT auf einer anderen Position. Er ist jetzt Libero, ähem Verteidigungsminister, und räumt den Murks weg, den der strahlende Herr zu Guttenberg hinterlassen hat. Ein dabei veröffentlichter verbaler Rückpass gibt zu denken: "Wir sind gewissermaßen eine ganz besondere Nationalmannschaft." Ja, geschossen wird, aber nicht auf Tore - und das Spiel dauert auch länger als 90 Minuten, wenn der Welthandel besser geschützt werden soll. So steigt die Zufriedenheit an, auch mit der IT.

Was wird.

In der kommenden Woche blickt Digitalien nach Paris, weil erstmals vor dem G8-Gipfel eine Art elektronischer G8 stattfinden soll. Das e-G8 wird von privaten Sponsoren getragen, unter ihnen Google, eBay, Intel, Microsoft und Huawei. Die Sache ist exklusiv und lehnt sich ganz bewusst an das Weltwirtschaftsforum in Davos an: die Teilnehmerliste beginnt mit dem Facebook-Chef Mark Zuckerberg und dem Google-Botschafter Eric Schmidt; sie endet mit Klaus Schwab, dem Erfinder von Davos. Bürgerrechtler haben eine Initiative gestartet, die dem illustren Kreis eine Petition überreichen soll. Die Deutsche Fassung gibt es bei der vielfach belästerten Digitalen Gesellschaft und ist somit das erste Beispiel einer Kampagne der neuen Lobbytruppe.

Ein Jubiläum sei zum guten barbarischen Schluss erwähnt. Getreu der Bibel, dass nur die die Seele wiegenden Engel fliegen können und das Ende aller Zeiten kommt, wenn der Mensch sich in die Luft erhebt, hat das Fluggeräte-Patent der Gebrüder Wright Geburtstag. Es wurde am 22. Mai 1906 anerkannt. Bekanntlich wurden die Brüder Wright nicht unermesslich reich, wie sie es sich vom Patent erhofften. Willbur starb bereits 1912 an Typhus und Orville musste es erleben, dass zum Ausbruch des ersten Weltkrieges alle Patente vom Staat kassiert und in einen Patentpool überführt wurden. Zeitgenossen lachten über die spinnerten Ideen der Wrights und anderer Pioniere wie Jatho oder Lilienthal. Insofern lachen wir einfach mal mit, wenn Hacker plausibel erklären, eine Welt ist nicht genug, und den Aufbruch fordern. Stilecht auf einem Militärflugplatz. Passend dazu ein hackiges Geburtstagsständchen zum 70, Herr Immerjung, und weiter auf hannöverschen Gitarren klimpern! (vbr)