Bionische Roboter erkunden fremde Planeten

Forscher der europäischen Raumfahrtagentur ESA arbeiten gemeinsam mit Wissenschaftlern an der Uni Lissabon an neuartigen Roboterschwärmen. Das Vorbild dafür stammt einmal mehr aus der Natur.

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Von
  • Anette Weingärtner

Forscher der europäischen Raumfahrtagentur ESA arbeiten gemeinsam mit Wissenschaftlern an der Uni Lissabon an neuartigen Roboterschwärmen. Das Vorbild dafür stammt einmal mehr aus der Natur.

Noch existiert diese neue Art von Schwarmroboter nur in der Vorstellung einiger Wissenschaftler. Doch die Technik wäre überaus nützlich: Die Automaten könnten zur Messung radioaktiver Strahlung und anderer biologischer, chemischer oder geologischer Spuren benutzt werden. Da die Roboter, verteilt über eine große Fläche, längere Zeit messen, könnten sie Bewegungsrichtungen, Ausbreitungsgeschwindigkeit und lokale Konzentrationen erfassen. Denkbar wäre auch die Untersuchung von lokalen Wetter- und Klimaphänomenen mit einer hohen räumlichen Auflösung, zum Beispiel zur Betrachtung eines Mikroklimas.

Dies sind zumindest einige der Anwendungsgebiete, die sich Forscher der Weltraumbehörde ESA und der Uni Lissabon im Rahmen des Projektes "Path Planning Strategies inspired by Swarm Behaviour of Plant Apexes" vorstellen. Die biologische Grundlage für das Schwarmverhalten der Maschinen bildet dabei nicht wie in der bionischen Robotik zumeist üblich ein Vorbild aus dem Tierreich, sondern die Wissenschaftler haben sich am Schwarmverhalten von Pflanzenwurzeln orientiert.

"Die Bedeutung unseres Projektes liegt darin, dass wir erstmalig das Potenzial demonstriert haben, das Wurzeln als Quelle biologischer Inspiration für das Design eines dezentralen Kontrollsystems eines Roboterschwarms im Rahmen kollektiver Forschungsaufgaben besitzen", sagt Projektleiter Prof. Dr. Tobias Seidl von der ESA. Weitere Forschungspartner waren unter anderem die Computational Intelligence Research Group der Neuen Universität Lissabon und die Wissenschaftsfakultät der Universität Lissabon.

Dass sich die Wissenschaftler für Wurzelspitzen entschieden haben, hat eine Reihe von Gründen: "Alle das Wachstum der Wurzel betreffenden Entscheidungen werden in den Wurzelspitzen getroffen und auch die Wahrnehmung der Umgebung vollzieht sich größtenteils dort – und das, obwohl wir hier kein komplexes Gehirn wie bei den sonst bekannten Schwarm-Tieren finden." Zudem sei die Wurzelspitze eine autonome Einheit, die "auf eigene Rechnung" Entscheidungen treffe. "Es gibt auch einige Hinweise darauf, dass die Wurzelspitzen untereinander kommunizieren", so Seidl. Darüber hinaus verfügen Wurzeln über eine wachstumsbedingte Plastizität: Genetisch identische Pflanzen treffen unterschiedliche Entscheidungen, wenn sie in einem unterschiedlichen Erdreich aufwachsen.

Auch autonome Roboterschwärme müssen ihr Verhalten unterschiedlichen Umgebungsbedingungen und Landschaften gegenüber entsprechend formen und anpassen. Die Aufgabe der Wurzel ist also die Lösung eines "multi-objektiven Optimierungsproblems", wie die Forscher sagen. So muss die Pflanze unterschiedliche Hemmnisse und Grenzen ausbalancieren und widersprüchlichen Spuren verfolgen, wie zum Beispiel gleichzeitig die Sonne suchen, um Energie zu sammeln – und das Dunkel, um dort Nahrung zu beziehen.

Gegenüber biologischen Vorbildern aus dem Tierreich haben Pflanzenwurzeln aus Sicht der Forscher zudem zwei entscheidende Vorteile: Zum einen sei der Entwurf der "Forschungsstrategie" gewissermaßen in die Wurzel eingeprägt und lasse sich somit direkt beobachten. "Wenn Sie einen Schwarm verstehen wollen, müssen Sie alle Mitglieder des Schwarms während der Aktionen verfolgen. Eine Wurzel ist schon "fertig" wenn man Sie ausgräbt: Sämtliche Entscheidungen aller einzelnen Apices sind in der gewachsenen Wurzel sichtbar und somit lesbar. Man kann also an einer gewachsenen Wurzel die Historie des Schwarms der Apices zurückverfolgen", erklärt Seidl. Zum anderen seien bei anderen biologischen Systemen Tausende von Experimenten erforderlich, um daraus Muster für geeignete Forschungsstrategien ableiten zu können.

Zunächst standen die Schwarmeigenschaften der Wurzeln jedoch nur als These im Raum. Die Forscher modellierten also ein Wurzel-Schwarm-System im Computer mit autonomen Software-Agenten. Indem sie verschiedene Ressourcen der Wurzeln innerhalb des Erdreichs, in dem diese leben und wachsen, simultan erforschten, erhielten sie Kontrollstrukturen für individuelle Wurzelspitzen. Die Bestätigung für die erfolgreichen Modellierung von Boden-Wurzel-Interaktionen: Bei einem krautförmigen Pflanzentyp trieben die Wurzeln auf diese Art auch aus.

Die zweite Aufgabe, die sich die Forscher vorgenommen hatten, bestand nun in der autonomen Aufstellung eines Sensornetzes nach dem Vorbild der Wurzeln. "Dafür haben wir eine große Anzahl von Robotern mit begrenzten Fähigkeiten in Erwägung gezogen, die sich von einem zentralen Ort selbst aufstellen müssen und in einem zuvor unbekannten Gebiet mit Hilfe eines Sensornetzes operieren", sagt Seidl. Das Treffen von Entscheidungen soll dabei völlig dezentralisiert erfolgen und den Ausfall einzelner Roboter kompensieren können. Nachdem einmal eine Anweisung ausgeführt wurde, ist der Schwarm frei, sich zu gruppieren, sich kollektiv in ein anderes Gebiet der kollektiven Oberfläche zu begeben und einen neuen Einsatz zu beginnen.

Alle Roboter eines Schwarms sind mit einer numerischen Identifikationseinheit, einem ID-Tag, das ihnen zugewiesen wurde, ausgestattet. Mit dessen Hilfe sind sie dazu in der Lage, ihre entsprechende Rolle im Schwarm für einen vorgegebenen Zeitraum zu erfüllen. Folgt ein Agent beispielsweise der Sonne, so ist seine Rolle die der Energiebeschaffung, fährt er zu einem Stein, so besteht sie darin, geologische Daten zu analysieren. Die Arbeitsteilung der Agenten, die in Anlehnung an diejenige der Wurzelspitzen entwickelt wurde, ist demzufolge ähnlich wie bei einem Bienenschwarm: Nicht jeder übernimmt alles – Individuen übernehmen jeweils verschiedene Rollen.

Der Informationsfluss unter den Robotern eines Schwarms sollte analog zur Diffusion von Wasser und Nährstoffen innerhalb der Pflanzenwurzel erfolgen. Jedes Wurzelsegment tauscht Wasser und Nährstoffe mit jenen Segmenten, die innerhalb der angrenzenden Wurzelstruktur benachbart sind, und die extrahierte Substanz des Erdbodens wird von einem Ort mit hoher Konzentration zu einem solchen mit geringerer Konzentration transportiert. Den auf diese Weise stattfindenden "Informationsaustausch" hält Seidl für besonders spannend: "Innerhalb der Pflanze haben wir – vereinfacht gesagt – ein Kontinuum an Flüssigkeit, getrennt durch zum Beispiel Zellwände. An unterschiedlichen Stellen finden sich unterschiedliche Ionenkonzentrationen. In einer Wurzel sind dies viele, da dort ein Fleck Erde mit hoher Konzentration ist, in einer anderen Wurzel sind es wenige, da dort der Erdboden nichts hergibt."

Durch physikalische Diffusion werde nun an dem Fleck der hohen Konzentration die Konzentration abnehmen und die Wurzel merke lokal: Wir brauchen mehr Ionen in der Pflanze. "An der Stelle mit niedriger Konzentration wird – natürlich nicht gerade schnell – die Konzentration merklich zunehmen, ohne dass Ionen aufgenommen werden. Die Wurzel merkt an dieser Stelle: Es gibt eine andere Ionenquelle innerhalb der Wurzel, ich kann eventuell eine andere Aufgabe übernehmen. Somit werden durch die Diffusion auch Informationen innerhalb der Pflanze verteilt."

In der Robotersimulation entspricht diese "Extraktion" der Generierung von Signalen, die durch einen von den Robotern etablierten Kommunikationskanal geschickt werden. "Faktisch sammelt der Roboter an jeder Stelle "Messungen" von den jeweiligen Parametern – bei zum Beispiel drei Parametern sind das dann auch drei verschiedene Werte. Dabei handelt es sich dann um die "Signale", die er per "Diffusion" weitermeldet", erläutert Seidl. Das selbstorganisierte Kontrollsystem bewirkt, dass der Schwarm für den Nutzer letztendlich als ein virtueller Sensor funktioniert. So ließen sich leicht Sensorsetze auf einer planetarischen Oberfläche errichten. Eine solche "planetarische Oberfläche" kann jedoch, wie Seidl sagt, nicht nur ein Mond oder ein Asteroid sein, sondern auch auf der Erde lasse sich ein solches Sensornetz natürlich realisieren.

Bis es soweit ist, dass die Roboterschwärme ihre Arbeit aufnehmen können, wird aber wohl noch ein wenig Zeit vergehen. "Unsere Algorithmen bedürfen natürlich noch intensiver Forschung und Entwicklung – gerade jeweils auch im Hinblick auf die jeweilige Aufgabenstellung", sagt Forscher Seidl. Erste Ansätze von Schwarm-Verhalten bei Drohnen, wie sie zum Beispiel der Forscher Dario Floreano von der EPF Lausanne erforscht, zeigten jedoch das enorme Potenzial der Technik. "Generell ist es das Ziel, möglichst einfache und minimale Algorithmen für eine als Wurzelschwarm agierende Gruppe von Robotern zu finden, die eine gestellte Aufgabe – sei es im Weltraum oder auf der Erde – erledigen können." (bsc)