Computermuseum Kiel: Sarkophag einer untergegangenen Welt

In Kiel soll ab kommender Woche ein Blick zurück auf "das Jahrhundert des Computers" möglich werden. Zu sehen sein werden Rechenmaschinen und Addierer über Zuse-Computer bis hin zum IBM-PC.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Daten stehen in der Cloud, die Finger wirbeln auf dem Tablet. Was ursprünglich einmal ein Computer war, könnte in Vergessenheit geraten. In dem Kieler Computermuseum, das am kommenden Dienstag öffnet, soll ein Blick zurück auf das Jahrhundert des Computers möglich werden. Mainframes, Minis und die Micros der Hobbybastler werden in einem Bunker auf dem Campus der Fachhochschule Kiel präsentiert. "Wir sind ein hermetisches Museum, wir präsentieren eine abgeschlossene Sammlung", erklärte der Kanzler der Fachhochschule Klaus-Michael Heinze das Konzept, "so wie der Bunker ein hermetisches System darstellt, präsentieren wir wie in einem Pharaonengrab den Computer vom Ende seiner Geschichte her." Die Analogie vom Pharaonengrab weist auch auf die Namenlosen hin, die am Projekt Computer bauten und deren Existenz vergessen ist.

Die Sammlung geht zurück auf den Ende 1981 in Kiel gegründeten Verein "Schleswig-holsteinisches Museum für Rechen- und Schreibtechnik e. V.". Er sammelte Computer, die von der Verschrottung bedroht waren. Diese Sammlung wurde 1990 an die Fachhochschule Kiel übergeben, während der Verein zum "Förderverein Computermuseum Kiel e. V." wurde. Zunächst verstaubten die 4000 Einzelstücke in einer Lagerhalle, viele Pläne für ein Museum zerschlugen sich. Heinze als Eigentümer der Sammlung holte schließlich gar das Angebot eines Schrotthändlers ein. Für 15.000 Euro wollte dieser den "Krempel" abholen und zerlegen. Ausgenommen wäre nur der Zuse-Rechner Z11 gewesen, der unter Denkmalschutz steht. Schon den Nachfolger Z22 hätte es geschreddert, ganz zu schweigen von den Telefunken-, Siemens-, Diehl-, Nixdorf- und Allgaier-Rechnern der kurzen Tradition des (west)deutschen Computerbaus.

Computermuseum Kiel (7 Bilder)

Computermuseum Kiel

Der ehemalige Weltkriegsbunker, in dem nun das Museum untergebracht ist. (Bild: Detlef Borchers)

Als der Bund seine Bunker verkaufte, übernahm die Fachhochschule Kiel, die auf dem ehemaligen Werksgelände der Howaldts-Werke angesiedelt ist, einige von ihnen. Im April 2010 begannen umfangreiche Bauarbeiten, in denen Wände des Museumsbunkers buchstäblich zersägt wurden, um Licht und tonnenschwere Computer (die Cyber 76 im Eingangsbereich wiegt 1,6 Tonnen) hereinzulassen. Insgesamt wurden 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche geschaffen, auf denen jetzt 300 Einzelstücke der Sammlung präsentiert wurden. Da einige Stücke dem Denkmalschutz unterliegen, wurden umfangreiche Fördermittel bewilligt. Zusammen mit den Beiträgen von Sponsoren flossen 3 Millionen Euro in den Umbau; die künstlerische Ausgestaltung der Ausstellung wurde von Studierenden des Faches "Raumdesign" der Kunsthochschule Kiel übernommen.

Auf vier Ebenen schraubt sich die Erzählung in die Höhe, beginnend mit Rechenmaschinen und Addierern. Ein Raum im ersten Stock ist dem Kieler Computerpionier Walter Sprick gewidmet, ohne den Heinz Nixdorf seine ersten Rechner nicht hätte bauen können. Weite Teile dieses Stockwerkes befassen sich mit den Zuse-Computern Z11 und Z22, den Zuse-Bandlaufwerken, Planimetern und Graphomat-Plottern (Z64). Mit dem RA770 von Telefunken ist der letzte Analogrechner zu sehen, der in der Automobilbranche wegen seiner Geschwindigkeit geschätzt wurde und Schwingungssimulationen berechnete.

Im zweiten Stockwerk stehen Großrechner und Minicomputer, darunter eine sehr seltene, unter Denkmalsschutz stehende Electrologica X1. Dieser niederländische Computer wie auch sein Nachfolgemodell X8 hatten an der Kieler Universität den Vorzug erhalten, obwohl die Maschinen mit 2,5 Millionen DM siebenmal so teuer wie Zuse-Rechner waren, aber um den Faktor 12 schneller operieren konnten. Die X8 als letzte ihrer Art wanderte von der verstaubten Kieler Lagerhalle Back Home, wie dieses Video zeigt.

In die Bunker-Sammlung gelangte auch eine komplette DEC PDP-10 samt drei von hundert Terminalstationen als Vertreter der Minicomputerära. Auf ihr lief dereinst das Incompatible Timesharing System. Auch der erste deutsche Textcomputer System 2 Alphacolor von Allgeier aus dem Jahre 1978 findet sich hier und erinnert auf seine Weise an die Zeiten, in denen Textverarbeitung an Terminals verboten war und zur sofortigen Exmatrikulation führte.

Das abschließende Stockwerk ist den Micros und ihren Folgen gewidmet. Hier finden sich vom ersten IBM-PC, der bald Geburtstag hat, über den KIM-1, den Commodore 64 und dem NDR-Computer die Geräte, mit denen die Miniaturisierung ihren Lauf aufnahm. Als Wegmarken dieser Entwicklung präsentiert das Museum ein IBM-Tablet von 1989 und einem Palm, den ersten erfolgreichen Digitalen Assistenten als Vorläufer heutiger Smartphones. In diesem Bereich ist die Ausstellung "familienkompatibel" mit einer Strecke von Amigas und Ataris, damit Eltern ihren Kindern zeigen können, wie große Systemfragen dereinst angegangen wurden. Die Revolution der Micros wird in den weitläufigen Räumen als abgeschlossene Geschichte eines längst vergangenen Jahrhunderts inszeniert, unterstützt von Erklärungen zur "letzten Generation".

Am kommenden Dienstag ist feierliche Eröffnung, ab Mittwoch, den 15. Juni, kann das Publikum in die Frühgeschichte des Computers abtauchen. Der Bunker ist dann in der ersten Woche von 17 bis 20 Uhr geöffnet, der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigt 4,50 Euro. Der Regelbetrieb orientiert sich danach am benachbarten Mediendom, für den es ein Kombiticket gibt. Der Bunker beherbergt das drittgrößte deutsche Computermuseum nach dem Heinz Nixdorf Museumsforum und der Computerabteilung des Deutschen Museums. Für den großen Rest etwa der Workstations, soweit er nicht an andere Schauorte vergeben werden konnte, ist das Ende der Geschichte sehr real. Der Schrotthändler fährt vor und leert die Regale. (anw)