Mehr Kurven, weniger Lärm

Ob Walflossen, klebende Wasserwürmer der die Haftsohlen des Geckos – Organstrukturen aus der Natur bilden immer öfter die Vorlage für technische Konstruktionen und Verfahren. Eine Fotostrecke.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Ob Walflossen, klebende Wasserwürmer der die Haftsohlen des Geckos – Organstrukturen aus der Natur bilden immer öfter die Vorlage für technische Konstruktionen und Verfahren. Eine Fotostrecke.

Walflossen als Ventilatoren

Die Vorderkante der Buckelwal-Flossen ist nicht glatt, sondern mit Höckern und Einkerbungen besetzt. Wenn die Tiere die Flossen in einem bestimmten Winkel anstellen, erzeugen die Höcker mehr Auftrieb, als es eine glatte Kante tun würde.

(Bild: Waterframe)

Frank Fish von der West Chester University in Pennsylvania hat verschiedene Flossenmodelle im Windkanal untersucht. Tatsächlich erzeugten die Varianten mit gewellter Vorderkante - wie dieses in der Aufsicht gezeigte Kunststoffmodell – mehr Auftrieb und weniger Strömungswiderstand als ihre glatten Pendants. Um die Technik zu vermarkten, gründete Fish mit Partnern das in Toronto beheimatete Unternehmen „Whale Power“.

(Bild: Whalepower)

Das Foto zeigt ein fünf Meter langes Test-Rotorblatt für eine Windkraftanlage. Zwei Drittel der Vorderkante sind nach dem Vorbild der Buckelwal-Flossen mit Kerben versehen. Der Hersteller WhalePower schätzt, dass Windkraftanlagen mit gekerbten statt glatten Rotorblattkanten bis zu 20 Prozent mehr Strom erzeugen können.

(Bild: Envira-North)

Die kanadische Firma Envira-North Systems hat einen nach dem Walflossen-Prinzip designten fünfarmigen Deckenventilator auf den Markt gebracht. Er kann mit steiler angestellten Rotorblättern betrieben werden, so dass er mehr Luft bewegen kann, und ist trotzdem nur ein Fünftel mal so laut wie herkömmliche Geräte gleicher Größe.

Bauvorbild Strahlentierchen

(Bild: Alfred-Wegener-Institut)

Bei der Entwicklung eines neuen Leichtbau-Fundaments für Offshore-Windkraftanlagen standen die Gerüste von Strahlentierchen (Radiolarien) und Kieselalgen (Diatomeen) Pate. Für den Hersteller WeserWind suchten Forscher um Christian Hamm vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven in der Natur nach Gerüsten, die bereits existierenden dreibeinigen Windkraft-Fundamenten ähneln. Fündig wurden sie bei der Radiolarien-Art Clathrocorys teuscheri. Anschließend modellierten die Forscher das biologische Vorbild mit einem CAD-Programm nach.

(Bild: Alfred-Wegener-Institut)

Kieselalgen (Diatomeen) und Strahlentierchen (Radiolarien) faszinieren Leichtbau-Ingenieure schon lange. Das Gerüst der marinen Planktonarten – im Bild eine Radiolarie – sieht nicht nur schön aus, sondern ist bei minimalem Materialverbrauch auch höchst stabil. Das schützt sie gegen Fressfeinde.

(Bild: Alfred-Wegener-Institut)

Das bionisch inspirierte Modell wurde auf die Elemente reduziert, die für die Stützen einer Windkraftanlage nötig sind. Das Ergebnis (Mitte) wog im Vergleich zur ursprünglichen 770-Tonnen-Version (1. u. 2. v. l.) nur 605 Tonnen. Diese Variante wurde mit genetischen Algorithmen weiter optimiert: Dazu simulierten die Forscher, welche Spannungen unter Belastung auftreten (in den Bildern farbig markiert). Dann wurden mehrere Parameter zufällig variiert. Die Lösungen mit den geringsten Spannungen vererbten ihre Eigenschaften auf die nächste Generation, die auf die gleiche Weise weiterentwickelt wurde. Nach 300 Generationen erhielten die Forscher ein verschlanktes, aber stabiles Gerüst, das nur noch 340 Tonnen wiegt. Derzeit prüfen sie mit WeserWind und der RLE GmbH, ob das Modell alle technischen Anforderungen erfüllt und wirtschaftlich gefertigt werden kann.

Haihaut aus der Dose

(Bild: Hochschule Bremen)

Eine raue Schale hat ihre Vorteile: Fein gerillte Zähnchen auf der Haut von Haien reduzieren nicht nur den Wasserwiderstand. Die sogenannten Dentikel bewahren die Meeresräuber auch davor, dass sich auf ihnen Algen, Seepockenlarven und andere blinde Passagiere ansiedeln. Der Abstand zwischen den in Strömungsrichtung ausgerichteten Riefen ist so groß, dass die Tierchen nicht genügend Kontaktfläche finden und von der Strömung fortgespült werden. Die Besiedelung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die Dentikel flexibel in die Haut eingelagert sind und sich beim Schwimmen permanent bewegen. Der Eindruck, dass die Hautzähnchen schweben, täuscht übrigens – aus dieser Perspektive sind die Stiele der Dentikel verdeckt.

(Bild: Vosschemie)

Wissenschaftler der Hochschule Bremen haben das Prinzip der Haihaut in Kooperation mit dem Kunststoffhersteller Vosschemie auf eine umweltfreundliche, streichbare Schutzschicht für Schiffe übertragen. Anders als herkömmliche giftige Antifouling-Anstriche verhindert die künstliche Haihaut den Bewuchs nicht komplett.

(Bild: Vosschemie)

Aber das ist auch nicht nötig. Die Rezeptur des ungiftigen Anstrichs auf Silikonbasis wurde so gewählt, dass die beim Auftragen zufällig entstehende raue Struktur ausreicht, um die Ansiedlung von Meereslebewesen stark zu erschweren.

Wird das Boot ausreichend bewegt, spült das vorbeiströmende Wasser einen Großteil des lose anhaftenden Algenschleims und damit den Nährboden für andere Organismen weg. Was sich auf der sandpapierartigen Oberfläche den-noch ansiedeln kann, lässt sich laut Vosschemie leicht mit einem Hochdruckreiniger entfernen.

Der Gecko-Grip

(Bild: Stanford University)

Geckos können Wände und Glasscheiben mühelos hinaufspazieren. Das Geheimnis dahinter sind Millionen feiner Härchen an ihren Füßen, die sich zu Milliarden von spatenförmig verbreiterten Enden verästeln. Diese Härchen sind nur wenige Hundert Nanometer groß und können sich in kleinste Vertiefungen schmiegen. Zudem verstärken elektrostatische Anziehungskräfte – sogenannte Van-der-Waals-Kräfte – zwischen ihnen und dem Untergrund den Grip.

(Bild: Stanford University)

Forscher der kalifornischen Stanford University übertrugen das Gecko-Haftprinzip zunächst auf den Stickybot I (links). Dessen Polyurethan-Zehen sind mit Tausenden Kunststoffhaaren besetzt, die sich beim Fußaufsetzen nach hinten durchbiegen. Um den Fuß wieder abzulösen, rollt Stickybot I seine Zehen von der Spitze Richtung Fußgelenk auf.

Der Stickybot III (rechts) klettert noch schneller und kommt besser mit unebenem Untergrund wie Hausmauern zurecht. Neben zusätzlichen Servomotoren, die etwa die Fußgelenke drehen, besitzt er statt einzelnen Zehen pro Fuß eine große Haftfläche.

Knochenkleber aus dem Meer

(Bild: University of Utah)

Der nur wenige Zentimeter kleine Ringelwurm Phragmatopoma californica ist das große Vorbild des Bioingenieurs Russell Stewart von der University of Utah. Das Tierchen produziert einen extrem haftfähigen Zwei-Komponenten-Kleber aus Proteinen, mit dem es unter Wasser Baumaterial verkleben kann, zum Beispiel Sand und Muschelsplitter. Im Foto fügt es von den Forschern zur Verfügung gestellte Zirkon-oxid-Kügelchen zu einer Wohnröhre zusammen. Die beiden separat gebilde-ten Komponenten – eine ist sauer und negativ geladen, die andere basisch und positiv – härten etwa 30 Sekunden nach dem Vermischen aus.

(Bild: University of Utah)

Stewarts Team ist es gelungen, eine Variante des Wurmklebers für den medizinischen Einsatz zu synthetisieren. Das Foto zeigt zwei Knochenstücke, die damit unter Wasser verbunden wurden. Stewarts Fernziel ist es, kleine Stücke von abgebrochenen oder abgesplitterten Knochen wieder anzukleben, damit der Bruch heilen kann. Stewarts synthetischer Kleber ist nicht einfach eine Kopie des biologischen Vorbilds, doch er folgt dessen Grundprinzip: Jede der beiden Komponenten enthält eine bestimmte Sorte Polyacrylat – eine lange, wasserlösliche Molekülkette –, an die positiv und negativ geladene Proteinseitenketten geheftet sind. Diese gehen beim Vermischen chemische Bindungen ein, und der Kleber wird fest. Um einem vorzeitigen Aushärten vorzubeugen, findet die Reaktion erst bei einem körpertypischen pH-Wert statt. In Tierversuchen mit Ratten heilten die angeklebten Knochenstücke gut. Im nächsten Schritt soll der Kleber so verändert werden, dass er im Verlauf der Knochenheilung abgebaut wird.

Kunststoff mit Wundschutz

Zahlreiche Pflanzen verschließen Verletzungen mithilfe von mehreren Sekreten, die sie in Kapseln oder winzigen Röhren eingelagert haben. Werden diese Speicher bei Verletzungen aufgebrochen – wie hier bei einem kleinen Schnitt an einer Birkenfeige –, vermischen sich die Komponenten, härten aus und verschließen innerhalb von wenigen Minuten die Verletzung.

(Bild: Fraunhofer UMSICHT)

Solche Selbstreparatur-Mechanismen, die ohne äußere Stimuli wie Wärme von allein ablaufen, sind für Kunststoffbauteile wie Dichtungen interessant, die mechanisch stark beansprucht werden. Diese rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zeigt einen experimentellen Werkstoff, bei dem künstliche Mikrokapseln mit verschiedenen Kleberkomponenten in einen elastischen Kunststoff eingebettet wurden. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen entwickeln gemeinsam mit Partnern Lösungen wie diese. Ihr Ziel: Kleine Risse zu verschließen, bevor sie sich zu großen Schäden auswachsen.

Backrezept für Knochen

(Bild: Fraunhofer IFAM)

Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen haben die Bauweise von Knochen unter die Lupe genommen, weil sie besonders leicht sind und trotzdem hohe Belastungen aushalten. Wie das obere Ende eines durchgesägten Oberschenkel-knochens zeigt, ist nur die äußere Knochenschicht kompakt, während sich darunter eine schwammartige Struktur verbirgt. Flächig belastete Teile wie der Gelenkkopf weisen dabei kleinere Poren auf als solche, die – wie der Schaft – nur in eine Richtung wirkende Kräfte aushalten müssen. Die Wissenschaftler um Andreas Burblies setzten diese Prinzipien in ein Simulationsprogramm um, das die notwendige Dichte für eine bestimmte Belastung berechnet. Das Simulationsbild eines Knochens zeigt die besonders belasteten Stellen in Dunkelblau.

(Bild: Fraunhofer IFAM)

Die Bremer Wissenschaftler können aus den berechneten Daten mithilfe des Laser-Sinter-Verfahrens Bauteile und individuelle Implantate herstellen, die – wie dieses aus einer Titanlegierung gefertigte künstliche Unterkiefermodell – an jeder Stelle die gewünschte Dichte und Festigkeit haben. Bei dem Verfahren wird ein Metallpulver schichtweise von einem Laser verschmolzen. (vsz)