Ganztägiger Streik beim Europäischen Patentamt

Nach einer Abstimmung will am morgigen Freitag ein Großteil der Prüfer der Münchner Behörde die Arbeit ruhen lassen. Anlass ist ein vom Management forcierter neuer Plan zur Produktivitätserhöhung der Einrichtung.

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Die Gebäude des Europäischen Patentamtes (EPA) in München dürften am morgigen Freitag weitgehend leer bleiben: Die Prüfer der Behörde haben Mitte der Woche in einer Kampfabstimmung beschlossen, ihre Arbeit Ende der Woche einen ganzen Tag lang ruhen zu lassen. 76 Prozent der 1126 Teilnehmer an der kurzfristig anberaumten Wahl sprachen sich für die ungewöhnliche Aktion aus. Dem Beschluss war eine Warnaktion am Dienstag sowie ein sechsstündiger Streik in der Woche davor vorausgegangen. Hauptgrund für die sich verschärfende innerbetriebliche Auseinandersetzung sind die Pläne der EPA-Spitze zur Einführung eines neuen Beurteilungsverfahrens für die Leistung der Patentprüfer. Diese fürchten, dass sie mit den überarbeiteten Regeln für das "Productivity Assessment for Examiners" Anträge auf gewerbliche Schutzrechte künftig aus Zeitgründen weniger genau unter die Lupe nehmen könnten.

Die Prüfer beklagen bereits seit längerem die ständig wachsende Zahl von Patentanmeldungen und den zunehmenden Rückstau an Anträgen, die zunächst auf die lange Bank geschoben werden müssen. Allein im Jahr 2005 sahen sich die Prüfer mit 193.000 Anmeldungen für zeitlich befristete Monopole konfrontiert. In den vergangenen zehn Jahren kletterte die Zahl der Anträge jährlich um acht Prozent in die Höhe. Gleichzeitig pocht das EPA-Management seit 1998 auf einem Wachstum der Produktivitätsrate bei den Prüfern um ein Prozent pro Jahr. Dabei erhöht sich mit der Patentierfreudigkeit angesichts der weitgehenden, auch Ansprüche auf "computerimplementierte Erfindungen" umfassenden Vergabepraxis gleichzeitig ständig der Katalog an bereits getätigten oder geschützten Schöpfungen, die es bei einer Begutachtung neuer Anträge zu berücksichtigen gilt. Trotzdem sollen die Kontrolltätigkeiten der Prüfer gemäß dem Vorhaben des Managements auf noch mehr Effizienz getrimmt werden.

EPA-Präsident Alain Pompidou verteidigt das geplante Produktivitätsprogramm. Der neue Prozess wird seiner Ansicht nach "sicherstellen, dass für alle Aktivitäten ausreichend Ressourcen wie Zeit und Anerkennung zur Verfügung stehen". Das Patentamt könne damit weiter seine Pflichten gemäß dem Europäischen Patentübereinkommen erfüllen. Das bisherige "Punktesystem" zur Leistungsmessung der Prüfer werde durch einen Ansatz ersetzt, der auf "dynamischen Feedback und wiederholtem Dialog" basiere. Dies sei die einzige Möglichkeit, um auf die "rapiden Veränderungen" der Arbeitsbedingungen der Prüfer zu reagieren.

Vizepräsident Thomas Hammer bedauerte gleichzeitig den Ausstand eines Großteils der Belegschaft in zumindest einem der drei EPA-Standorten, in denen die Prüfer normalerweise ihre Tätigkeiten verrichten. Man sei offen für weitere Diskussionen, müsse aber rasch und vordringlich auf die "veränderten Bedürfnisse des Patentsystems reagieren". Die EPA-Spitze setzt sich seit längerem für eine verstärkt "kundenorientierte" Einstellung der Mitarbeiter ein, die Patente wie Produkte "verkaufen" sollen. Dass das Patentwesen ursprünglich der Gesellschaft als Ganzer dienen und Innovationen fördern sollte, gerät dabei teilweise in Vergessenheit.

Die Kluft zwischen den protestierenden Prüfern und auch EPA-Direktoren, die für die Umsetzung der neuen "Produktivitätsphilosophie" zuständig sein sollen, sowie der Führung der Behörde weitet sich gleichzeitig aus. Vertrauen solle gleichsam verordnet werden, heißt es in der Riege der Streikführer. Statt einen offenen Dialog zu pflegen komme das starre Festhalten des Managements an dem Beurteilungsvorhaben einem "Schlag ins Gesicht" einer bereits überbeanspruchten Belegschaft gleich. Das neue Meldesystem zur Leistungseinschätzung sei unfair, nicht transparent sowie rudimentär und führe zu einer Bezahlung, die direkt mit der erledigten Stückzahl an "Einheiten" wie etwa durchgeschleusten Patentanträgen gekoppelt sei.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente unter anderem in Europa und um die die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)