Die Woche: Xen hat KVM vorbeiziehen lassen

Xen hat die Virtualisierung auf Linux-Servern groß gemacht und schien lange die Open-Source-Virtualisierungstechnik der Wahl zu sein. Diesen Vorteil haben die Xen-Entwickler durch falsche Prioritäten verspielt. KVM konnte so Schlüsselpositionen erobern und ist durch viele Förderer jetzt in einer besseren Position.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Anfang 2005 schaffte es Xen das erste Mal in den Heise Newsticker. Virtualisierung auf Linux-Servern rückte von da an schnell ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit. Schnell gab es erste ernstzunehmende Hinweise, die auf eine baldige Aufnahme der Xen-Unterstützung in den Linux-Kernel hindeuteten: Virtualisierung galt als wichtiger Zukunftsmarkt!

Wichtig wurde Virtualisierung tatsächlich – die Xen-Unterstützung zog allerdings nicht in den Kernel ein, denn die Kernel-Entwickler mochten einige Eigenschaften des damaligen Xen-Codes überhaupt nicht. Die Bemühungen um einer Aufnahme in den Linux-Kernel schienen zu der Zeit ohnehin nur eine niedrige Priorität zu haben; mehr Energie floss offensichtlich in die kommerziellen Linux-Produkte auf Xen-Basis. Der dort genutzte Xen-Code setzte dann lange auf einen Kernel 2.6.18 auf – das erschwerte Linux-Distributoren jahrelang die Arbeit, denn sie wollten den Xen-Code mit neueren Kernel paaren, weil diese Treiber für modernere Hardware enthielten.

Nach der Aufnahme der Xen-Gastunterstützung in Linux 2.6.23 haben die Xen-Entwickler es jetzt aber endlich geschafft: Das im nächsten Monat erwartete Linux 3.0 bringt alle wichtigen Kernel-Komponenten zum Aufsetzen eines Dom0-Betriebssystems mit, das zusammen mit dem Xen Hypervisor die Gastsysteme beherbergt. Und nicht nur das: Auch der Entwicklerzweig von Qemu enthält seit Mitte Mai alles nötige zur Unterstützung von Xen-Gastsystemen, die mit Hilfe der Virtualisierungsfunktionen moderner Prozessoren laufen (HVM/Hardware-assisted Virtualization).

Das erleichtert es Distributoren erheblich, Xen-Unterstützung einzubauen. Ganz so rosig, wie das klingt, ist die Situation dann aber nicht: Der Linux-Kernel 3.0 wird längst nicht alle Fähigkeiten haben, die kommerzielle Xen-Produkte derzeit bieten – so wird Unterstützung für Suspend-to-RAM oder 3D-Grafik fehlen. Diese und andere Funktionen nachzurüsten wird nochmals Zeit kosten.

Vieles deutet derzeit darauf hin, dass sich die Xen-Entwickler diese Mühe besser früher gemacht hätte. Denn während Xen mit dem alten Kernel den Distributions-Entwicklern und Anwendern Kopfschmerzen bereitete, stieg ein neuer Star am Virtualisierungshimmel der Open-Source-Welt auf: KVM (Kernel-based Virtual Machine). Dessen Code stieß bei Version 2.6.20 zum Linux-Kernel. Es setzt nicht wie Xen unterhalb des Kernels an, sondern macht diesen selbst zum Hypervisor – das wird von einigen Kernel-Entwicklern als der eleganterer Ansatz angesehen.

Anfangs reichte KVM beim Funktionsumfang und der Geschwindigkeit bei weitem nicht an Xen heran. Open-Source-Entwickler, Linux-Distributoren und Firmen wie AMD, Intel oder IBM fanden aber schnell Interesse an KVM und trugen zahlreiche Verbesserungen bei; KVM holte so zügig auf und zog in einigen Bereichen bald an Xen vorbei. Es ist mittlerweile auch kein Problem mehr, dass KVM auf Prozessoren mit Virtualisierungsfunktionen angewiesen ist, denn die bieten heute nahezu alle Server-CPUs.

Den Ritterschlag erhielt KVM als Linux-Schwergewicht Red Hat die KVM-Erfinder von Qumranet aufkaufte und KVM zur Virtualisierungslösung der Wahl machte: Red Hat Enterprise Linux (RHEL) 6 setzt zur Virtualisierung voll auf KVM und liefert Xen nicht mehr mit, das bei der Einführung von RHEL 5 noch eine der gefeierten Neuerungen war. Aber auch andere Größen integrierten KVM: So enthält Suse Linux Enterprise 11 KVM seit dem Frühjahr 2010. Ein kürzlich von IT-Schwergewichten gebildetes Konsortium hat sich der Förderung von KVM verschrieben – dazu gehören auch HP und IBM, die beim Virtualisierungs-Benchmark SPECvirt_sc2010 vorwiegend KVM einsetzen. Im Umfeld der vielfach KVM sehr wohlgesonnen Linux-Entwickler entsteht zudem gerade ein neues Werkzeug zur Virtualisierung mit KVM.

Dagegen ist es um Xen vergleichsweise still geworden. Das wird sich mit der Xen-Unterstützung in Qemu und im Linux-Kernel vielleicht demnächst wieder etwas ändern. KVM hat sich aber in den letzten zwei Jahren sehr viele Herzen erobert und mit der Integration in RHEL und SLE Schlüsselpositionen gesichert. Die Zeit muss zeigen, ob Xen wieder Boden gut machen kann – bei dem Schwung, den KVM derzeit hat, sieht es aber eher so aus, als würde KVM langfristig zum wichtigsten Hypervisor zur Server-Virtualisierung mit Linux-Hosts. Wäre Xen vor fünf oder sechs Jahren in den Kernel eingezogen, dann wäre KVM vielleicht nie so groß und bekannt geworden – und sicher nicht so schnell. (thl). (thl)