Verbot von "Killerspielen" entzweit die niedersächsische Koalition

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann stößt mit seiner Forderung nach einer deutlichen Verschärfung des Jugendschutzes auf Widerstand beim Koalitionspartner FDP, während auch sonst das Pro und Contra weitergeht.

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Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann stößt mit seiner Forderung nach einem umfassenden Verbot so genannter "Killerspiele" in Hannover auf Widerstand beim Koalitionspartner FDP. Philipp Rösler, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion, stellte sich am Mittwoch klar gegen die Initiative: "Der Vorschlag geht zu weit. Herr Schünemann trifft den Kern des Problems nicht", zitiert dpa den Liberalen. Nach den Plänen Schünemanns soll die Verbreitung von menschenverachtenden und brutalen Video- und Computerspielen über eine Aufbohrung des Gewaltdarstellungsparagraphen 131 Strafgesetzbuch (StGB) mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können, der Besitz mit bis zu einem Jahr. Der CDU-Politiker geht damit über die Diskussionsgrundlage seines bayerischen Amtskollegen Günther Beckstein hinaus, der es generell bei einer Höchststrafe von einem Jahr belassen, aber auch die Spieler stärker erfassen will.
"Die Polizei kann hier keine Verbote durchsetzen, das ist die Aufgabe der Eltern", hielt Rösler dagegen. Schünemann kriminalisiere mit solchem Aktionismus breite Massen von Computerbesitzern. Er begegne jedoch nicht wirklich den Wurzeln der Probleme, die zu solchen Gewaltausbrüchen führten. Diese liegen aus Sicht Röslers in der sozialen Verwahrlosung und in der gesellschaftlichen Ausgrenzung einzelner Jugendlicher. Der FDP-Fraktionschef plädiert daher dafür, dass Schulen und Vereine zusätzliche Angebote außerhalb der Unterrichtszeit anbieten sollten. Vor allem müsse die Medienkompetenz durch die Eltern gefördert werden. "Letztendlich können wir Dummheit nicht verbieten, sondern nur durch Bildung und Aufklärung verhindern". lautet seine Losung. "Das ist Aufgabe der Familien und der Eltern – nicht der Polizei."
Auch Maria von Salisch vom Forschungszentrum für Medienkultur und -sozialisation der Universität Lüneburg, die zum Thema "Computerspiele mit und ohne Gewalt" forscht, hat derzeit geforderte Verbot gewalthaltiger PC-Spiele als "Aktionismus" bezeichnet. Der öffentliche "Besorgnis-Diskurs" ignoriere nämlich die Millionen friedfertiger Computerspieler und die Allgegenwärtigkeit des Computers in der heutigen Freizeit-, Ausbildungs- und Berufswelt. Er vermindere darüber hinaus auch die Bereitschaft von Eltern, sich für den Medienkonsum ihrer Kinder zu interessieren und ihn kritisch zu begleiten. Die Professorin plädiert daher dafür, über die Frage zu diskutieren, warum etliche Heranwachsende viel Zeit vor den Bildschirmen verbringen und warum etliche von ihnen Gewaltinhalte nicht nur vor dem PC attraktiv finden.
Von Salisch ist sich sicher: "Man muss an die Ursachen rangehen, und die sind gesellschaftlich, familiär oder individuell-psychologisch zu erklären." Durch die Befragung von rund 400 Schülern im Alter zwischen acht und zwölf Jahren an sechs Berliner Grundschulen über einen Zeitraum von zwei Jahren hat die Lüneburger Wissenschaftlerin mit Kolleginnen festgestellt, dass es am Beginn der "Computerspielkarriere" vor allem bereits aggressiv gestimmte Kinder sind, die sich gewalthaltige Spiele aussuchen.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, setzte sich derweil auf einem Symposium zum Thema Gewalt unter Jugendlichen an der Fachhochschule der Polizei im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg dafür ein, den Besitz von "Killerspielen" zu verbieten und genauso zu behandeln wie den Besitz und den Vertrieb illegaler Waffen. "Eine Verharmlosung ist völlig fehl am Platz", warnte der Schulleiter des Maximilian-von-Montgelas-Gymnasiums in Vilsbiburg laut ddp. Im Schulalltag will Kraus auffällige Schüler "aussortieren": Er forderte eine "schulische Sondereinrichtungen für gewaltauffällige Kinder und Jugendliche".
Nach Ansicht des Hirnforschers Manfred Spitzer von der Universität Ulm könnten brutale Videospiele der Auslöser für den gewaltsamen Tod eines Obdachlosen in Cottbus gewesen sein. Ein Zusammenhang zwischen der Tötung des Mannes und dem Wrestling-Spiel "SmackDown vs. Raw 2006", das der Angeklagte nach eigenem Geständnis vor der Tat gespielt hatte, sei nicht auszuschließen, sagte der Experte am Montag im Mordprozess gegen einen 19-Jährigen vor dem Landgericht Cottbus. "Das Tatmotiv kann man ohne dieses Videospiel gar nicht verstehen." Zum Prozessauftakt in der vergangenen Woche hatte der Angeklagte zugegeben, sein 51-jähriges Opfer im Juli nach der Vorlage des Gespielten aus Frust brutal geschlagen und getreten zu haben. Spitzer setzte sich am Rande der Verhandlung für ein Verbot von brutalen Videospielen ein, denn sie "förderten die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen."
Ein deutscher Alleingang bei einer weiteren Verschärfung des Jugendschutzes könnte nach Ansicht des Spiele-Entwicklers Florian Müller allerdings von Brüssel gestoppt werden. Einem "Verbot jenseits von Vernunft und Augenmaß", wie es Beckstein und Schünemann fordern, gibt der im Streit um die Softwarepatent-Richtlinie bekannt gewordene Lobbyist im EU-Rat "nicht den Hauch einer Chance auf eine qualifizierte Mehrheit". Es stünde auch im EU-Parlament "auf hoffnungslos verlorenem Posten."
Eine Regelungskompetenz Brüssels sieht Müller im Gegensatz zu Bundesjustizministerin Brigitte Zypries spätestens nach der Entscheidung (PDF-Datei) des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Tabakwerbeverbot und dem damit verknüpften "Gesundheitsschutz" gegeben. Die EU könne so jederzeit ein deutsches Vertriebs- und Herstellungsverbot bestimmter Spiele durch eine einheitliche europäische Regelung ersetzen, um den "freien Waren- und Dienstleistungsverkehr" im EU-Binnenmarkt zu gewährleisten und Wettbewerbsverzerrungen entgegen zu wirken. Allerdings gibt es auf EU-Ebene unter anderem mit Justizkommissar Franco Frattini auch Befürworter eines entschlossenen Vorgehens gegen brutale Computerspiele.
  • "Ich hasse es, überflüssig zu sein": die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen - einmal wieder wird die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht; Artikel in Telepolis
  • "Ich will R.A.C.H.E": der vollständige Abschiedsbrief, den Bastian B. im Internet hinterlassen hat, bevor er auf seinen suizidalen Rachefeldzug in seiner Schule in Emsdetten zog; Artikel in Telepolis