Das Imperium schlägt zurück

Mit Google+ macht der Datenkonzern gegen Facebook mobil und eröffnet den neuen "Search Engine War". Denn nur auf den ersten Blick geht es um soziale Netzwerke.

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Von
  • Niels Boeing

Am 28. Juni hat Google mobilgemacht: Nicht anders lässt sich in meinen Augen der Start der geschlossenen Testphase von Google+, dem neuen sozialen Netzwerk des Datendienstimperiums, deuten. Der Kampf gegen Facebook ist eröffnet.

Das mag zwar martialisch klingen. Tatsächlich aber werden wir bald einen neuen "Search Engine War" erleben. Search Engine War? Geht es nicht um soziale Netzwerke?

Nur auf den ersten Blick. "Die klassische Websuche ist tot", sagte mir vor einiger Zeit Danny Sullivan von Search Engine Land. Die Zukunft gehört der "sozialen Suche". Und um die geht es letztlich auch bei Google+.

Google selbst hat in einem atemberaubenden Höhenflug vorgemacht, wie man mit einem Suchdienst Werbung verkauft. Rund 97 Prozent ihres Umsatzes machen die Kalifornier heute mit dem Verkauf von Anzeigeplätzen.

Den Kontext dazu lieferte bislang die klassische Suche: eine Auswertung von Webinhalten anhand von Linkstrukturen und Inhalten. Das Paradigma hierfür war Googles Pagerank-Algorithmus.

Die soziale Suche hingegen bewertet Ergebnisse vor allem danach, wie die suchende Person in ein soziales Netzwerk eingebettet ist, ob ein Inhalt einen sozialen Bezug zum Suchenden hat. Exemplarisch hierfür ist der Edgerank-Algorithmus von Facebook, der bestimmt, welche Mitteilungen in den Hauptmeldungen der jeweiligen Pinnwand auftauchen. Edgerank analysiert das Gewicht, das Beziehungen im sozialen Graphen einer Person – also der mathematischen Konstruktion eines sozialen Netzwerks – haben. Wer in den 10er Jahren im Such- und damit im Online-Anzeigengeschäft die Nase vorn haben will, muss den sozialen Kontext von Online-Inhalten berücksichtigen können.

Insofern war klar, dass Google reagieren musste. Während Facebook in den vergangenen drei Jahren abging wie eine Rakete und sich auch noch mit Microsofts Suchmaschine Bing verbandelte, stolperte Google durch Social-Media-Versuche wie Buzz. Sergey Brin erklärte noch Anfang des Jahres, der Konzern habe hier "höchstens ein Prozent" seines Potenzials ausgeschöpft, und knüpfte erstmals 25 Prozent der Bonuszahlungen seiner Mitarbeiter an den künftigen Erfolg mit sozialen Netzwerken.

Googles Antwort auf den "Like"-Button von Facebook, "+1", war das erste Signal. Mit Google+ folgt nun das ganze Paket. Die ersten Reaktionen zu Datenschutzeinstellungen, Benutzerfreundlichkeit und sinnvollen Elementen wie Circles sind recht positiv (ich selbst hatte noch nicht die Gelegenheit, Google+ zu checken). Schließlich hatte man auch genug Zeit, aus den Fettnäpfchen und Unzulänglichkeiten von Facebook zu lernen.

Fragt sich nun: Kann Google den gewaltigen Rückstand in der Nutzerbasis überhaupt noch aufholen? Unmöglich: Facebook hat über 600 Millionen Nutzer. Oder doch nicht unmöglich? Googles Emaildienst Gmail hat um die 200 Millionen Nutzer – sie bilden den potenziellen Kern von Google+, denn vom Gmail-Konto zum Google+-Konto wird es nur ein kleiner Schritt sein.

Hinzu kommt: Google bietet sämtliche Büroanwendungen sowie diverse andere Dienste webbasiert an. Zusammen mit dem Mobilbetriebssystem Android und dem Betriebssystem Chrome OS bilden sie ein "Software-Ökosystem", an das Facebook lange nicht heranreicht. Die Bequemlichkeit der Nutzer, alles aus einer Hand zu bekommen, könnte Google langfristig einigen Zulauf bescheren - und seine Transformation zu einer klassisch-sozialen Suchmaschine beschleunigen.

"Die Welt ist eine Google", schrieb der Kollege Glaser 2005. Wie recht er damit haben könnte, hat er damals vielleicht selbst noch nicht geahnt. Auch wenn ich Facebook nicht besonders mag: Bei dieser Aussicht erscheint mir sogar Facebook als das kleinere Übel. Denn ob böse oder nicht, die Datentiefen der Welt-Google entziehen sich jeder Kontrolle.

Oder hält es irgendjemand für möglich, dass in den kommenden zwei, drei Jahren ein ganz neuer Akteur die Bühne betritt und das Spiel von vorn beginnt? (nbo)