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Was war. Was wird.

OS/2? Windows 95? Ach, was sich so alles ansammelt, in jahrelangem eifrigen Dienst an den von der IT Geplagten. Auch Hal Faber verfällt in ein irres Kichern. Das Ende? Ach was.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Diese Ausgabe der kleinen Wochenschau ist eine Notnummer. Denn der kleine, feine Verlag in der norddeutschen Tiefebene zieht um in ein Ensemble aus Banane, Kamm und Brummkreisel. Vorbei die Zeiten, als die Kolumne in dunkler Nacht auf einem einsamen Parkplatz von einem schwarzen Radfahrer abgeliefert wurde, der mit einem kehligen Lachen, harhar, verschwand. In Zukunft wird ein kleiner See der geheime Treffpunkt sein und ein als Ente getarnter Bote den Radler ersetzen und sich unter das Zeitungs-Entenpärchen mischen müssen. Gehetzte Blicke im Hause Heise, Umzugskartons allerorten, erschöpfte Redakteure, die jahre- wenn nicht jahrzentealten Mist aussortieren. Kann noch wer ein OS/2 Warp gebrauchen? Oder wie wärs mit einer Sicherheitssuite für Windows 95, immerhin nicht mehr auf Disketten? Gereiztes, irres Kichern. Genau die richtige Stimmung, um an das Geburtstagskind Harvey Ball zu erinnern, der heute 90 Jahre alt geworden wäre. Der Werbefachmann Ball entwarf 1963 den Smiley, als zwei Versicherungen fusionierten und die Stimmung im Keller war. Er verkaufte das gelbe Grinsegesicht für 45 Dollar an die Firma, die heute passenderweise Hanover Insurance heißt. In der Werbebranche galt Harvey Ball als ausgemachte Niete, weil er sich nicht um das Copyright des Smiley gekümmert hat. Später gründete er immerhin die World Smile Foundation und erklärte den ersten Freitag im Oktober zum World Smile Day. Ein Smiley für die KWA10-Umzügler, dazu ein lauthals fröhlich geschmettertes Verdi-Ständchen: "Annulla, Riprova, Tralascia?"

*** Anderswo wird nicht unbedingt gefeiert. Mit diesem Statement endet heute die Geschichte der News of the World im Imperium von James und Rupert Murdoch. Den verkommenen Sudeljournalismus des Blattes können andere besser erklären, die den Fall hartnäckig verfolgt haben. Bleibt die Frage, wie die "Handy-Hacker" unter tätiger Mithilfe bezahlter Polizisten Mailbox-Nachrichten löschen konnten. Der Privatdetektiv Glenn Mulcaire als zentrale Figur der Abhörer müsste erklären, mit welcher Hilfestellung über 40 Anschlüsse überwacht und manipuliert werden konnten. Die Erklärung, dass er die Passworte für die Voicemail-Boxen "bekommen" hat, ist ausgesprochen dürftig. Bekanntlich wollte er ein Buch mit dem schönen Titel Here to Hear schreiben und kassierte dann 80.000 Pfund Honorar dafür, dieses Buch nicht zu schreiben. Nun bittet er darum, dass die Schmähungen aufhören und seine Privatsphäre respektiert wird. Der besondere Beitrag der Polizei wird in den Ermittlungen untersucht werden müssen. Das Beispiel des verdeckten Polizeiermittlers Mark Kennedy mag als Indiz für eine lockere Einstellung der britischen Polizei gelten.

*** Nach der digitalen Rasterfahrnung in Sachsen, die "Riesendatenberge" produzierte, streiten sich Politiker, wie die Funkzellenabfrage in Zukunft geregelt werden soll. Der Einsatz dieser Technik soll nach dem Willen der FDP präzisiert werden, während die Linke gar von einem kriminalpolizeilichen Unfug spricht und das Verbot der Maßnahme fordert. Ganz unschuldig kommt da ein besorgter Artikel über den Enkeltrick ins Blickfeld, der beschreibt, wie die Funkzellenabfrage eingesetzt wird – und der sich am Ende als Plädoyer für die Vorratsdatenspeicherung entpuppt. Angesichts der vom Lobbyverband Bitkom ermittelten Quote von 62 Prozent, mit der Bundesbürger die Vorratsdatenspeicherung mehrheitlich ablehnen, dürften Funkzellen-Rasterfahndung und Vorratsdatenspeicherung das Sommerthema schlechthin bleiben, wenn die Politik Urlaub hat. Das Ganze garniert mit Meldungen zum aktuellen Cyberwar, in dem das nationale Cyber-Abwehrzentrum gerade Arbeit bekommmen hat, weil Cracker, die ausdrücklich keine Hacker sein wollen, teilweise offenlegten, wie die Personenverfolgung technisch funktioniert.

*** Bekanntlich ist die Wahrheit das erste Opfer in jedem Krieg. Das gilt auch für den Cyberwar, seitdem mit Stuxnet das Lieblingsthema aller Abwehrspezialisten, der Angriff auf kritische Infrastruktuen, "aktuell" geworden ist. Mit Israel und den USA ist die Liste der einschlägig Verdächtigen, die Stuxnet produziert haben könnten, nicht besonders lang. Nun ist ein Artikel des Leiters einer "US Cyber Consequences Unit" in einem einschlägigen Journal aufgetaucht, der die Vorgehensweise von Stuxnet gut beschreibt: erschienen im Mai 2010, über einen Monat vor der ersten Entdeckung von Stuxnet. "Computer als Kriegswaffen" können effizienter als Panzer sein, wenn es darum geht, eine Region zu "stabilisieren". Das bisschen Stahl im Wüstensand. Was sind schon 1,7 Milliarden für rollende Aufstandswegschieber gegen die 3 Milliarden, die Northrop Grumman für das Projekt Romas kassieren soll, das gerade in Odyssey umbenannt wurde. Die Internet-Überwachung, bei der mit Firmen wie Socialeyez zusammengearbeitet wird, soll sicherstellen, dass der arabische Frühling nicht zu einer unkontrollierten Blüte von Demokratie allerorten wird. Denn noch ist dort nicht der siebente Kreis der Demokratie installiert, in dem sich jedweder Sachverstand selbst zerfleischt. Schade drum. Vor allem, weil wirklich Sachverstand auch komplizierte Dinge kurz und einfach erklären kann.

Was wird.

In einem Werbevideo für Wikileaks wird Julian Assange als Mastermind dargestellt, der die ägyptischen Revolutionäre zum Marsch auf den Tahrir-Platz angestiftet hat. Philosophen verklären den blonden Australier als Verkörperung des Weltgeistes im Sinne Hegels. Auf Napoleon, diese "Weltseele zu Pferde" folgt der "Weltwisser am MacBook". Die in der letzten Wochenschau erwähnte Debatte zwischen Slavoj Zizek und Julian Assange entpuppte sich als schwer erträglicher Austausch von Banalitäten. Der Philosoph Zizek verglich allen Ernstes die Funktion von Wikileaks mit einem betrogen sich wissenden Ehemann, der seine Ehefrau in flagranti erlebt: Politiker betrügen, doch erst dank Wikileaks würde man das Ausmaß sehen. Assange erzählte von seinem Aufenthalt in Ägypten bei einer Miss Egypt, ein Ereignis, das in der Erinnerung seiner Gastgeber ganz anders verlaufen ist. Angesichts dieser Diskrepanz wird klar, warum ein Buch über das Vor-Leben des Weltgeistes keine besonders gute Finanzidee ist: jedes noch so kleine Detail dürfte geprüft werden, nicht nur von Staatsanwälten, auch von den (ehemaligen) Mitstreitern.

Am Montag beginnt in Großbritannien die Berufungsverhandlung über die Frage, ob Assange nach Schweden ausreisen muss, wo gegen ihn ermittelt wird. Die Frage steht dagegen, ob er reisen darf, wohin es ihn gelüstet. Wird keine Entscheidung erreicht, bleibt er verbannt auf einem englischen Landsitz, mit leichten Anklängen an Napoleon auf St. Helena. Die Fragen werden von einem neuen Team von Anwälten diskutiert, die auf Menschenrechte spezialisiert sind. Sie wollen ohne peinliche Altherrenwitze und düstere Beschreibungen des schwedischen Unrechtsstaates antreten, die in der ersten Verhandlungsrunde die Position Assanges nachhaltig ruinierten. Vielleicht wird sich ähnlicher Sachverstand auch auf ökonomischem Gebiet durchsetzen, wo Wikileaks sich in einer krude Geschichte namens "Finanzblockade" verrannt hat, was bei Lichte betrachtet ein Akzeptanzproblem von Banküberweisungen ist.

Und kommende Woche kehrt endlich wieder Normalität ein. Der Heise-Umzug wird abgeschlossen sein. Vielleicht auch nicht nur der Umzug der selbsternannten digitalen Elite nach Google+, es folgen erste größere Kreise des gar nicht selbst ernannten digitalen Plebs. Schon gibt es erstes Stöhnen, das schöne neue Spielzeug werde kaputt gemacht. Normalität kehrt ein. Alles ist wie immer, sieht nur besser aus und nervt nicht mit Freundschaftsanfragen, die doch nur schlechtes Gewissen auslösen. Normalität kehrt ein. Auf Google+ wird nicht mehr nur über Google+ diskutiert. Normalität kehrt ein. Ach was. Das wäre das  Ende. (jk)