Google zieht Kreise

Wenn man Google Plus zum ersten Mal sieht, muss man an Facebook denken. Dabei steckt viel mehr dahinter. Das Projekt hat das Potenzial, sich zu einer Integrationsplattform aller Google-Dienste zu entwickeln.

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Google kann kein Social, so war die vorherrschende Meinung, nachdem sich der Suchmaschinen-Primus mehrmals blamiert hatte. Das hauseigene soziale Netzwerk Orkut konnte sich nur in wenigen Ländern durchsetzen, etwa Brasilien. Wave war zu kompliziert und schlecht integriert, Buzz buzzte nicht so recht.

Google Plus, oder kurz Google+, hatte einen besseren Start. Google lud mit der ersten Welle einige gut vernetzte Social Networker ein. Binnen weniger Tage zogen diese Millionen von Early Adoptern nach. Dann schloss Google den Zugang zur Anmeldung und erhöhte damit die Neugier der Außenstehenden.

Wer schon hineinkam, fand eine Sammlung recht unterschiedlicher Kommunikationsdienste vor: Neben einem Nachrichten-Stream mit Beiträgen aus dem Freundeskreis und einem Text-Chat gehören der Video-Chat Hangout sowie der personalisierbare Nachrichtenlieferant Sparks zu Google+. Im mobilen Client kommt noch Huddle hinzu, ein Textchat für Gruppen.

Obwohl die Web-Oberfläche von Google Plus auf den ersten Blick wie ein Facebook-Klon wirkt, unterscheidet sich Googles Dienst in wesentlichen Punkten von Facebook. So liegt seinem Nachrichten-Stream ein anderes Benutzungsmodell zugrunde. In Facebook verbinden sich jeweils zwei Teilnehmer als virtuelle Freunde, um ihre Neuigkeiten zu teilen. Dazu müssen beide in die Facebook-„Freundschaft“ einwilligen. Es besteht bei Facebook also ein gewisser Handlungszwang: Man muss auf eine Freundschaftsanfrage reagieren, indem man sie ablehnt oder annimmt – wodurch Facebook-Mitglieder nicht selten mit Personen auf der Plattform „befreundet“ sind, die sie im normalen Leben nicht zu ihren Freunden zählen, sondern zu den Konkurrenten oder Gegnern.

Der Albtraum des jugendlichen Facebook-Teilnehmers ist der Moment, in dem die eigene Mutter ihm die Freundschaft anbietet: Was nun? Ablehnen geht nicht, ignorieren auch nur eine Zeit lang, aber annehmen? Damit sie in Zukunft alles mitliest, was man mit seinen Freunden ausmacht? Ganz blöd sind auch Freundschaftsanfragen aus dem Kundenkreis oder etwa vom Chef. Da ist das Eis ganz dünn. Auch bei Twitter sind die gegenseitigen Beziehungen nicht ohne Fallstricke. „Warum folgst Du mir nicht?“, wagt man gar nicht zu fragen. Die Antwort könnte lauten: „Weil Du langweilig bist“.

Das alles ist bei Google+ kein Problem. Jeder Plus-Nutzer nimmt andere Teilnehmer in sogenannte Circles auf (auf deutsch Kreise), deren Neuigkeiten er sich zukünftig anschauen möchte. Ein aufgenommener Teilnehmer bekommt eine Benachrichtigung – und hat dann freie Wahl, diese zu ignorieren oder den anderen Teilnehmer zum Beispiel in den Circle „Idioten“ zu stecken. Dieser kann dann zwar sehen, dass er in einen Circle einsortiert wurde, aber nicht, wie dieser heißt. Und er bekommt auch nicht mit, wenn er wieder aus einem Circle gelöscht wird.

Die Circles haben eine weitere wichtige Funktion. Wer einen neuen Beitrag postet, der kann festlegen, wer ihn sehen darf: einzelne Personen, ein oder mehrere Circles oder erweiterte Circles, also jeder in den Kreisen des Urhebers und alle Personen in deren Circles. So ist es möglich, Urlaubsbilder nur mit der Familie und Partybilder ausschließlich mit den Freunden zu teilen. Anders als bei Facebook kann man einen Beitrag auch als öffentlich markieren. So kann er von jedermann im Internet – und nicht nur jedermann bei Google+ – gelesen werden.

Auf den ersten Blick ähnelt Google+ Facebook.

Die Reihenfolge der Beiträge im Stream ist abwärts chronologisch, mit den neuesten Posts oben. Allerdings poppte in den ersten Tagen des Google+-Betatests jeder Beitrag, der etwa durch einen Kommentar aktualisiert wurde, wieder hoch. Man konnte ihn ausblenden, wenn er nun wirklich oft genug erschienen ist, aber wehe, jemand teilte ihn erneut. Das gleiche Hochpoppen fand man auch bei jeder Änderung: In Google+ lassen sich nachträglich Beiträge und Kommentare editieren, um etwa Schreibfehler nachträglich zu korrigieren. Bei Facebook oder bei Twitter gibt es das nicht. Die Logik des Neuigkeiten-Streams ist aber noch im Fluss. Googles Entwickler haben auf anfängliche Kritik an immer wieder hochpoppenden Beiträgen reagiert; mittlerweile passiert das nur noch selten.

Eine weitere Baustelle zeigt sich in der Informationsüberflutung des Streams. Fügt man seinen Circles Dutzende Personen hinzu, dann erscheinen deren Beiträge in den jeweiligen Circles. Schaut man aber in den Gesamt-Stream, dann stehen dort alle Beiträge. Enthält er einen Circle mit Schwatzbacken, die pausenlos publizieren oder Kommentare verbraten bekommen, dann wird der Stream unlesbar. Was derzeit fehlt, ist daher so etwas wie ein Schalter, mit dem sich einzelne Circles an- und ausknipsen lassen. Statt jeden Circle einzeln zu betrachten, ließen sich so mehrere zusammenschalten.

Bis Google so etwas liefert, empfiehlt es sich, die Circles nicht zum Lesen, sondern ausschließlich zum Teilen zu benutzten. Und dann kreiert man genau einen Circle, der alle Personen enthält, denen man regelmäßig folgen möchte. Interessieren alle Beiträge nur einer Person, klickt man zu ihrem Profil durch. Und wer einmal alle anderen lesen möchte, die in keinem Circle stecken, der nutzt den Filter „Nicht in Kreisen“, der alle Personen enthält, die einem folgen, aber nicht in einem Circle sind. Das klingt kompliziert – ist es aber nicht, weil es sich in der modern anmutenden Google-Oberfläche schnell erschließt.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 16/2011.

Mehr Infos

Googles Facebook

Artikel zum Thema "Googles Facebook" finden Sie in c't 16/2011:

  • Googles neues soziales Netzwerk Plus - Seite 76
  • Social Networks und ihre Ökosysteme - Seite 82

(jo)