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Mit der neuen Software des Start-ups Face.com können beliebige Webseiten und Apps nicht nur digital abgebildete Gesichter, sondern auch deren Gefühlsregungen identifzieren.

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Von
  • Tom Simonite
  • Steffan Heuer

Mit der neuen Software des Start-ups Face.com können beliebige Webseiten und Apps nicht nur digital abgebildete Gesichter, sondern auch deren Gefühlsregungen identifzieren.

Die Zeiten, in denen man im Web anonym sein konnte, sind lange vorbei. Auf Facebook werden abgebildete Personen bereits auch ungefragt markiert oder „getaggt“, wie es im Online-Jargon heißt. Doch was das Start-up Face.com entwickelt hat, könnte eine neue Phase der automatischen Erfassung einläuten: eine Software, die beliebigen Webseiten und Apps ermöglicht, auf Bildern Personen anhand ihrer Gesichter zu identifizieren und sogar deren Ausdruck zu erkennen.

Face.com stellt die Technologie Software-Entwicklern bereits seit einem Jahr für Testzwecke zur Verfügung. Laden Nutzer eines Online-Dienstes auf dessen Seite Bilder hoch, werden diese an die Server von Face.com weitergeleitet. Die dort laufende Bilderkennung liefert dem Seitenbetreiber dann Einzelheiten wie Ort der Aufnahme, Geschlecht der Person oder eine etwaige Übereinstimmung mit einer Personendatenbank zurück.

Seit einigen Tagen umfasst das Repertoire des Start-ups auch eine Analyse des Gemütszustandes, der sich in einem Gesicht widerspiegelt. Damit lassen sich Personen auch mit der Information taggen, ob sie aufgekratzt, überrascht, traurig oder ärgerlich sind. Die erste Seite, die diese Funktion integriert hat, ist Moodbattle. Dort werden Webcam-Nutzer aufgefordert, besonders extreme Gesichtsausdrücke für bestimmte Emotionen aufzunehmen.

„Im vergangenen Monat habe wir zwei Milliarden verschiedene Fotos verarbeitet“, sagt Gil Hirsch, CEO von Face.com. Bereits 20.000 Entwickler hätten sich bei dem Start-up für die Software angemeldet. Pro Stunde können sie 5000 Bilder kostenlos analysieren lassen. Was darüber hinausgeht, müssen sie zu bezahlen.

Laut Hirsch schreibt die vor vier Jahren gegründete Firma seit Kurzem schwarze Zahlen. Dass nicht wenige Menschen eine Gesichtserkennung im Web als ernstes Datenschutzproblem sehen, ist ihm allerdings klar.

Erst im Juni hatte sich Facebook unbeliebt gemacht, als es auf allen Nutzerkonten eine Funktion installiert hatte, die beim Hochladen von neuen Bildern ungefragt meldete, welche Freunde darauf abgebildet sein könnten. Facebook begründete den Einsatz der Funktion damit, das Taggen von Fotos beschleunigen zu wollen. Pikanterweise ähnelt die Funktion frappierend einer Facebook-Anwendung von Face.com. Gil Hirsch will aber auf Nachfrage nicht kommentieren, ob die neue Facebook-Gesichtserkennung womöglich von Face.com selbst stammt.

Auch Google ist technisch bereits in der Lage, Personen auf digitalen Bildern zu identifizieren. Der Konzern hat aber versichert, dass die Funktion in seiner Objekterkennungs-App für Smartphones, Google Goggle, nicht genutzt werde. Auch die kürzlich gestartete Bildsuche Search by Image verwende sie nicht.

Dass es Bedenken gegen die Technologie gibt, verwundert Kelly Gates von der University of California in San Diego nicht. Gesichtserkennung werde vor allem mit Überwachung assoziiert, sagt die Autorin eines aktuellen Buches zu dem Thema. Und da die Technologie mit einem sehr persönlichen Körperteil interagiere, ließen sich leicht „furchteinflößende Schlagzeilen“ daraus stricken.

Dabei kann Gesichtserkennung in sozialen Netzen durchaus sinnvoll sein. „Es gibt offenbar ein Bedürfnis nach einer solchen Technologie“, sagt Gates. „Wir haben uns an das Taggen von Fotos so gewöhnt, dass eine Automatisierung wünschenswert erscheint.“ Die Vorteile würden die derzeitigen Bedenken mit der Zeit überwiegen, ist sich Gates sicher. Auch andere Technologien, die zunächst als Bedrohung der Privatsphäre galten, hätten sich durchgesetzt.

Für Gil Hirsch schwinden die Vorbehalte bereits. In Desktop-Programmen von Apple und Google, mit denen man Bilder auf seinem Rechner ordnen könne, sei Gesichtserkennung inzwischen akzeptiert. Entscheidend sei, dass die Nutzer das Gefühl hätten, sie kontrollieren zu können.

Durchsucht man mit dem Face.com-Dienst Fotos auf Facebook, bittet die Software explizit um die Freigabe von Facebook-Daten und berücksichtigt auch die Privacy-Einstellungen. Je häufiger Nutzer mit der Technologie in Kontakt kämen, desto mehr würden sie schätzen lernen, nach sich selbst und den eigenen Freunden in Bildern suchen zu können, meint Hirsch.

Stimmungsanalysen seien aber noch nicht so weit fortgeschritten wie eine reine Gesichtserkennung, sagt Kelly Gates. Das System von Face.com funktioniere derzeit bei übertrieben zur Schau gestellten Emotionen besser als bei spontanen Regungen. Gerade solche simplifizierten Gefühlsausdrücke könnten aber demnächst – ähnlich wie Emoticons – eine Rolle in der Online-Kommunikation spielen, vermutet Gates.

Datenschützer befürchten mit der flächendeckenden Verbreitung von Gesichtserkennung allerdings mehr einen Überwachungs-Alptraum. Denn die bisherige Rechtsprechung befasst sich nur mit konkreten Abbildungen einer Person, nicht aber den individuellen Datenprofilen, die daraus gewonnen werden konnten. Selbst wenn das Fotomaterial, auf dessen Basis ein Gesichtsmodell errechnet wurde, also nicht mehr existiert, könnte irgendwo im Netz eine Datei bestehen bleiben, mit der jeder neue Schnappschuss einem Individuum zugeordnet werden kann. „Der Verbraucher ist aufgeschmissen. Wir sollten uns keine falschen Hoffnungen machen, Gesichtserkennung im Alltag aufhalten zu können“, erklärte Bruce Schneier, der als Chefsicherheitsbeauftragter für British Telecom arbeitet und den angesehenen Blog Crypto-Gram verfasst, gegenüber Technology Review (siehe dazu die Titelgeschichte in der Ausgabe 07/2011: „Nie mehr anonym“).

Anbieter wie Face.com verteidigten ihre Software damit, dass jede Sammlung von Gesichtsprofilen nur eine in sich geschlossene Privatkollektion eines Nutzers sei, eine Art Dateninsel, zu der nur eine Person Zugang besitzt. Dass es bei solchen Dateninseln bleiben wird, glaubt Sicherheitsexperte Schneier allerdings nicht: „Der Wert liegt auf lange Sicht darin, diese isolierten Datensätze zu verknüpfen und zu Geld zu machen, und das wird auch passieren.“ Ein Geschäft könnte etwa dank Gesichtserkennung herausfinden, welcher Kunde wann die Filiale betritt und vor welchem Regal wie lange stehen bleibt. „Die wirtschaftlichen Interessen sind so stark, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass effektive Riegel vorgeschoben werden“, befürchtet Schneier.

(nbo)