Canadian Graffiti: Zum 100. Geburtstag von Herbert Marshall McLuhan

Slogans wie "Das Medium ist die Botschaft" und Begriffe wie "globales Dorf" machten den kanadischen Literaturprofessor zum Superstar der Medienkunde.

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Von
  • Ralf Bülow

"Das Medium ist die Botschaft." Das "globale Dorf". Diese Slogans sind ins kulturelle Unterbewusstsein der westlichen Industriegesellschaften eingangen und machten Marshal McLuhan zu einer Art grauer Eminenz der Medienkunde – auch wenn er für seine Lehre keinen wissenschaftlichen Nachfolger im eigentlichen Sinne fand.

Marshall McLuhan

Herbert Marshall McLuhan kam am 21. Juli 1911 in der kanadischen Stadt Edmonton als Sohn eines Immobilienmaklers zu Welt. Nach der Schulzeit in Winnipeg studierte er Literatur an der dortigen Universität sowie im englischen Cambridge. 1936 wurde er Dozent an der Universität von Wisconsin, ein Jahr später, nach dem Übertritt zum Katholizismus, wechselte er an die jesuitische St. Louis University, wo er bis 1944 tätig war. Nach zwei Jahren in der kanadischen Provinz lehrte McLuhan ab 1946 am katholischen St. Michaels College der Universität von Toronto, wo er durch seine Streitlust und sein Interesse für alltägliche Kommunikation auffiel. Letztere war das Thema seiner Studie "The Mechanical Bride" (1951), die Anzeigenwerbung untersuchte.

In den frühen 1960er Jahren brachte McLuhan seine Hauptwerke "The Gutenberg Galaxy" (1962) und "Understanding Media" (1964) heraus. In einem mehr aphoristischen als analytischen Stil variierte er einige zentrale Thesen, die sich schnell in griffigen Kurzformen verbreiteten und den Kanadier zum ersten Weltstar der Medienforschung machten.

Eine Säule von McLuhans Lehre ist die Unterscheidung von kühlen und heißen Medien. Ein heißes Medium wie Kinofilm oder Radio spricht in hoher Auflösung einen einzigen Sinn des Menschen an. Das kühle Fernsehen richtet sich dagegen in niedriger Auflösung an mehrere Sinne und zieht den Benutzer zur Interpretation heran. Die kryptische Formel vom Medium, das die Botschaft ist, besagt schließlich, dass die gesellschaftlichen Folgen einer Kommunikationstechnik unabhängig von ihren Inhalten sind.

Für McLuhan, der dabei an seinen Landsmann Harold Innis anknüpfte, führte die Erfindung des Buchdrucks zur bürgerlich-bürokratischen Gesellschaft. Die elektronischen Medien, vor allem das Fernsehen, bewirken aber eine Rückkehr zur vorliterarischen Stammeswelt und ins sprichwörtliche globale Dorf. Es ist anzunehmen, dass Marshall McLuhan hier auch an die Gegenkultur der wilden 1960er Jahre dachte.

Die Idee des medial vernetzten Planeten übernahm McLuhan von Pierre Teilhard de Chardin, der sie in dem Buch "Der Mensch im Kosmos" als Vorstufe der Noosphäre beschrieb, des Endzustands der Menschheit. McLuhan tadelte jene Idee zunächst als unkritischen Technikenthusiasmus, in einem Interview des Playboy baute er sie aber 1969 zu einer fantastischen Vision mit Gehirn-Computer-Verknüpfungen aus. Diese "universality of consciousness" steht für den mystischen Leib Christi, vulgo die katholische Kirche.

Mit normalen Computern befasste sich McLuhan nur sporadisch. Im letzten Kapitel von "Understanding Media" verband er sie mit Automation und Kybernetik, und 1966 publizierte er einen Artikel über "Cybernation and Culture". Er besaß ein Verständnis für den IBM-dominierten Computermarkt der 1960er Jahre sowie für die Bedeutung von Datenbanken, die Mikrocomputer-Revolution der 1970er hat er weitgehend ignoriert.

Schon 1963 richtete seine Universität McLuhan ein eigenes Institut ein, das Centre for Culture and Technology. Unter dem Titel "The Medium is the Massage" kam 1967 eine Bilderbuchversion seiner Lehre heraus, dazu eine LP und ein TV-Film. Im gleichen Jahr zog Marshall McLuhan für ein Jahr nach New York, um an der Fordham University zu unterrichten, womit er vermutlich den Gipfel seiner Popularität erklomm.

Ende 1967 unterzog sich McLuhan einer fast 18-stündigen Gehirnoperation, bei der ein Tumor entfernt wurde. Obwohl er bald wieder die Arbeit aufnahm, litt er für den Rest seines Lebens unter den Folgen. In den 1970er Jahren schwand sein Ruhm, doch blieb er bekannt genug, um einen Auftritt im Woody-Allen-Film "Annie Hall" (in Deutschland unter dem Titel "Der Stadtneurotiker") zu erhalten. Im September 1979 zerstörte ein schwerer Schlaganfall sein Sprachzentrum und reduzierte seine Kommunikation auf wenige Laute. Am 31. Dezember 1980 starb Herbert Marshall McLuhan in seinem Haus in Toronto.

Aufgrund seines eigenwilligen Denk-, Schreib- und Vortragsstils und seiner akademischen Isolation fand McLuhan viele Fans, aber keinen wissenschaftlichen Nachfolger. Seine Thesen über die Folgen des Buchdrucks sind inzwischen durch die Forschungen der Historikerin Elizabeth Eisenstein überholt, seine Theorie der elektronischen Medien wurde von Neil Postman radikal überarbeitet. An seinem 100. Geburtstag quillt das Netz mit Erinnerungen und Veranstaltungen über; einen guten Einstieg in die Lehre bietet das erwähnte Playboy-Interview, eine mediale Begegnung vermittelt sein Heimatsender. (jk)