Günstiger Kunststoff aus Zuckerrohr

Dow Chemical baut derzeit eine große Pilotanlage, in der gezeigt werden soll, das Polyethylen aus natürlicher Herstellung der Petrochemie Konkurrenz machen kann.

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  • Kevin Bullis

Dow Chemical baut derzeit eine große Pilotanlage, in der gezeigt werden soll, das Polyethylen aus natürlicher Herstellung der Petrochemie Konkurrenz machen kann.

Die Herstellung von Kunststoff aus Zuckerrohr kann genauso günstig wie traditionelle Produktionsverfahren aus der Petrochemie sein – zumindest, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Zu diesem Schluss kommen Forscher und Manager des US-Chemieriesen Dow Chemical. Die Firma plant deshalb nun den Bau einer umfangreichen Pilotanlage in Brasilien. Es soll das bisher größte Werk weltweit sein, in dem Polymere aus rein pflanzlichen Rohstoffen hergestellt werden.

Das Projekt startet mit der Konstruktion einer eigenen Ethanol-Produktion, die auf 240 Millionen Liter pro Jahr ausgelegt ist. Das Werk wird in Kooperation mit dem japanischen Multi Mitsui entstehen und soll noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen. Ab Anfang nächsten Jahres sollen dann die Ingenieurspläne für eine Kunststoffproduktionsanlage fertig sein, mit der aus Ethanol Hunderttausende Tonnen Polyethylen hergestellt werden können, dem weltweit am häufigsten verwendete Kunststoff.

20 Jahre nach der Propagierung einer „grünen Chemie“ spart die chemische Industrie Energie, setzt auf nachwachsende Rohstoffe und propagiert die nachhaltige Produktion, berichtet Technology Review auch in seiner aktuellen Print-Ausgabe 07/2011.

Die Überzeugung, dass chemische Produkte nicht lebensfeindlich sein müssen, trieb den amerikanischen Chemiker Paul Anastas 1991 dazu, eine grüne Chemie zu fordern. Bis heute gelten seine zwölf Leitprinzipien als Fundament einer nachhaltigen chemischen Produktion: Abfall vermeiden statt entsorgen, Ressourcen wie Erdöl und Wasser schonen, erneuerbare Rohstoffe bevorzugen, gefährliche Chemikalien ersetzen und Anlagen sicher betreiben – so einige seiner eingängigsten Regeln. US-Präsident Barack Obama würdigte Anastas’ Pionierrolle, indem er ihn 2009 zum Forschungsleiter der amerikanischen Umweltbehörde, der Environmental Protection Agency, ernannte.

Seitdem hat sich nicht nur in den USA die Zahl der Chemieunglücke stark verringert. Auch der Regen in Deutschland ist weniger sauer, weil giftige Schwefeldioxide weitgehend aus den Abgasen gefiltert werden. Und das Wasser aus Rhein, Oder und Donau fließt sauberer als vor 20 Jahren. Im vergangenen Jahr heimste BASF zusammen mit dem amerikanischen Konzern Dow Chemical den renommiertesten Preis für grüne Chemie ein: den Presidential Green Chemistry Award der amerikanischen Umweltschutzbehörde, der im Namen des US-Präsidenten vergeben wird. Beide Unternehmen haben gemeinsam ein ökologisches Verfahren zur Erzeugung der Massenchemikalie Propylenoxid entwickelt. Aus dem chemischen Grundbaustein entstehen so vielfältige Produkte wie Dämmstoffe, Basismaterialien für Kühlgeräte, Autos, Möbel oder Arzneien und Chemikalien zur Flugzeugenteisung.

Die Produktion solcher "Biochemikalien" nimmt zwar in den letzten Jahren rasant zu, entspricht aber bislang nur knapp acht Prozent des Gesamtmarktes für Chemieprodukte. Vor allem Nischenstoffe und Spezialchemie werden so bislang hergestellt. Dow glaubt aber, dass Kunststoff aus Rohstoffen "vom Feld" auch in großen Mengen wettbewerbsfähig sein kann.

Derzeit setzt die Polyethylen-Massenproduktion noch fast vollständig auf Erdöl als Rohstoff, rund 80 Millionen Tonnen werden so weltweit im Jahr hergestellt. Doch steigende Ölpreise haben die Kosten der notwendigen Rohstoffe erhöht. Dass die brasilianische Regierung die Produktion von Ethanol aus Zuckerrohr traditionell fördert, ist ein weiterer Wettbewerbsvorteil: In dem Land kann Ethanol mittlerweile sogar mit Benzin konkurrieren. Dow-Geschäftsentwicklungsdirektor Luis Cirihal, der gleichzeitig für Produkte aus erneuerbaren Rohstoffen zuständig ist, räumt allerdings ein, dass diese Marktbesonderheiten nicht in jedem Land der Welt vorzufinden sind.

Die Technik zur Umwandlung von Ethanol in Ethylen, dem Vorprodukt von Polyethylen, ist nicht neu. "Der dafür notwendige Dehydrierungsprozess ist bereits seit den 20er Jahren bekannt. Das Neue ist, dass wir ihn hochskalieren", sagt Cirihal. Das brasilianische Werk wird eine Produktionskapazität haben, die der regulärer Polyethylenfabriken entspricht. Der genaue Wert stehe noch nicht fest, entspreche aber in etwa dem, was Dow bereits kommuniziert habe, sagt Cirihal: Damals ging es um 350.000 Tonnen. Damit würde die Produktionskapazität eines bestehenden Werkes in Brasilien, das Braskem betreibt, um 150.000 Tonnen überschritten.

Die neue Polyethylenfabrik ist nicht Dows erster Versuch, deutlich in Biokunststoffe zu investieren. Vor einem Jahrzehnt begann der Konzern, zusammen mit dem Landwirtschaftsriesen Cargill Polymere aus Mais herzustellen. 2005 wurde das Projekt allerdings eingestellt, weil es sich gezeigt hatte, dass es nicht genügend Kunden gab. Der Biokunststoff war ein gänzlich neues Material und ließ sich deshalb nur schwer vermarkten. Deshalb, so Cirihal, setze Dow nun darauf, reguläres Polyethylen herzustellen. "Das ist nicht anders als das aus Erdöl."

Dow will die Kosten drücken, indem alle Produktionsschritte in einer Hand bleiben – von der Bewirtschaftung der Zuckerrohrfelder bis zur Endproduktion der Polymere. Das erlaubt es beispielsweise, dass die Energie für die Fabrik aus Biomasse stammt, die bei der Zuckerproduktion aus dem Zuckerrohr übrigbleibt. Dow ist sich jetzt schon sicher, dass der Preis ausreichend niedrig sein wird. Der Konzern rechnet aber auch damit, dass er einen Aufschlag verlangen kann. "Schließlich gibt es eine große Nachfrage nach Materialien, die CO2-neutral und nachhaltig produziert werden können", meint Geschäftsentwickler Cirihal. (bsc)