Union soll sich für Neustart bei Softwarepatenten in Brüssel einsetzen

Softwarepatentgegner stimmen sich auf den entscheidenden Lobbykampf um eine Neuauflage der Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" ein. Die Abstimmung im EU-Rat steht erst einmal nicht auf der Tagesordnung.

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Nachdem der EU-Rat allen Beteiligten im Streit um die Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" eine erneute Verschnaufpause gewährt hat, stimmen sich Softwarepatentgegner auf den ihrer Ansicht nach entscheidenden Lobbykampf um einen kompletten Neustart des Gesetzgebungsverfahrens ein. In einem offenen Brief (PDF) bittet die Kampagne NoSoftwarePatents.com etwa die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, dass ihre Partei in diesem Prozess den "Ausschlag gebenden Beitrag" zur Verhinderung von Softwarepatenten leisten möge. Insbesondere im federführenden Rechtsausschuss des Europaparlaments, dessen deutsche Mitglieder allesamt die CDU stellt, fehle nur noch das Plazet der Union für ein Neuaufrollen des hart umkämpften Verfahrens. Insgesamt sei die Volkspartei "de facto in einer Regierungsverantwortung" im EU-Abgeordnetenhaus.

Florian Müller, Leiter von NoSoftwarePatents.com, erinnert Merkel in seinem Schreiben daran, dass sie namentlich einen Entschließungsantrag aller Bundestagsfraktionen gegen Softwarepatente unterstützt habe. Er weist zudem darauf hin, dass die Spitzenpolitikerin noch zu DDR-Zeiten selbst programmiert habe und als Physikerin "die Gefahren eines ausufernden Patentwesens besonders gut einschätzen" könne. Die Kampagne unterstütze die Union in ihrer Kritik an der Bundesregierung in punkto Softwarepatente. Da am 3. Februar sowohl der Rechtsausschuss des EU-Parlaments tage als auch eine Abstimmung im Bundestag über den besagten Antrag erfolgen soll, erhofft sich Müller von der Union in Berlin und Brüssel nächste Woche im Gegenzug einen "Doppelschlag zum Schutz des Mittelstands, der Innovation und des Wettbewerbs im Softwaremarkt zum Wohle der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft."

Gleichzeitig kritisiert Müller in dem Brief die Haltung einiger Unionsvertreter im EU-Parlament: Momentan entstünde der Eindruck, dass die CDU und die CSU im Bundestag und in Brüssel eine Doppelpolitik fahren würde. "Der Grund hierfür ist", schreibt Müller an Merkel, "dass Ihre Europaabgeordneten eine Abwehrhaltung gegen Bestrebungen einnehmen, das 'geistige Eigentum' einzuschränken. Leider wurde dieser per se verständliche Reflex von einzelnen innerhalb und außerhalb der Fraktion durch Desinformation verstärkt und dazu instrumentalisiert, eine ausgewogene Politik zu verhindern".

Die Anstrengungen der Softwarepatentgegner gehen aber noch weiter. So hat NoSoftwarePatents.com einen "Lobbying-Leitfaden" (PDF) online gestellt, in dem Interessierte über die anstehenden Termine und Anlaufstellen informiert werden. Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) hat gleichzeitig in einem Schreiben seine Unterstützer auf einen "Lobby-Sturm ungekannten Ausmaßes von Seiten der Patentgemeinde" eingestimmt und Gegenmaßnahmen vorgeschlagen. Um "die Schlacht in diesem Jahr gewinnen" zu können, bittet der Verein um Unterstützung seines Brüsseler Lobbybüros. Als ständige Kommunikationsplattform mit Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit soll die "Webdemokampagnen"-Site des FFII ausgebaut werden. Sie müsste nun "regelmäßig mit neuen Beispielbriefen, Bannern und Handlungsanweisungen versehen werden"-

Der EU-Rat selbst hat inzwischen offiziell bestätigt, dass nach erneuten Bedenken Polens seine im Mai festgezurrte Position zur Softwarepatent-Richtlinie heute nicht auf der Tagesordnung für das Treffen der Landwirtschaftsminister im Agrar- und Fischereirat steht; auch auf der Liste der ohne Diskussion zu verabschiedenden Beschlüsse (A-Items) taucht die Richtlinie nicht auf. Damit verzögert sich die offizielle Verabschiedung des Papiers erneut, falls es nicht zu Last-Minute-Manövern beim Ratstreffen am heutigen Montag selbst kommt. Noch ist unklar, ob die luxemburgische Ratspräsidentschaft beim nächsten Ministertreffen in einer Woche einen erneuten Anlauf nehmen wird. Auf jeden Fall sollte das EU-Parlament nun aber bis zu seiner am 21. Februar beginnenden Plenarwoche Zeit haben, sich über einen Antrag zum Neustart des Verfahrens abzustimmen.

Für die Softwarepatentgegner erscheint das Wiederaufrollen der Gesetzgebung besonders erstrebenswert, da sich andernfalls nach dem Abnicken der Ratsposition rasch die 2. Lesung anschließen würde. In diesem Fall hätte das im Frühsommer 2004 neu gewählte Parlament nur drei bis vier Monate Reaktionszeit und würde faktisch eine Mehrheit von 60 bis 70 Prozent gegen die Ratsvorschläge brauchen. Dies ist laut Auffassung des FFII "ein sehr riskantes Spiel". Man verlöre die momentan noch bestehende Chance, in einem weiteren Anlauf das Eis im Rat zu schmelzen. Aber auch eine 2. Lesung hält der FFII eventuell für gewinnbar, woran im Lager der Softwarepatentgegner aber nicht alle glauben.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)