Schildbürgerstreich rund um das Atomkraftwerk Grohnde

Das Bundesumweltministerium will Atomkraftwerke künftig durch die Störung von GPS-Signalen in der Nähe der Reaktoren schützen -- zu Ende gedacht haben die Politiker dieses Szenario aber anscheinend nicht.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Nach einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) vom heutigen Freitag will das Bundesumweltministerium Atomkraftwerke künftig durch eine Störung von GPS-Signalen (Global Positioning System) in der Nähe der Reaktoren schützen. So genannte GPS-Jammer sollen verhindern, dass mit satellitengestützten Navigationssystemen ausgestattete Verkehrsflugzeuge gezielt über einem AKW zum Absturz gebracht werden. Dies ergebe sich aus einer vertraulichen Abmachung, deren Ergebnisse der Zeitung vorliegen, schreibt die HAZ.

Hintergrund der Pläne ist ein schwelender Streit zwischen mehreren Bundesländern, der Stromwirtschaft und dem Bundesamt für Strahlenschutz. Das BfS hatte gefordert, fünf ältere AKWs stillzulegen, weil die Anlagen nicht ausreichend gegen den Absturz von Verkehrsflugzeugen geschützt seien. Schon seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington verhandeln Bund, Länder und Wirtschaft verstärkt über Maßnahmen, wie deutsche Atomkraftwerke in Zukunft besser vor Terrorangriffen aus der Luft geschützt werden können.

Im Gespräch war zunächst die so genannte Vernebelungstaktik: Bei einem drohenden Angriff aus der Luft sollten die Atomkraftwerke blitzartig in künstlichen Nebel gehüllt werden, damit potenzielle Selbstmord-Piloten die kritischen Teile des Reaktors entweder gar nicht oder zumindest nicht zielgenau treffen können. Diese Pläne hielt das Bundesumweltministerium jedoch für unzureichend und forderte die Stromkonzerne als Kraftwerksbetreiber zu Nachbesserungen auf -- schließlich könne man ja in den Autopiloten einer jeden Verkehrsmaschine die geografische Position des Kraftwerks eingeben und dann das Ziel auch ohne Sicht über GPS-Signale ansteuern lassen.

Daraufhin müssen sich zumindest einige der Sicherheitsexperten wohl an die Zeit vor Mai 2000 erinnert haben: Bis dahin hatte das US-Militär die für zivile Zwecke bestimmten GPS-Signale durch die so genannte "Selective Availability" (S/A) verzerrt. Wichtige Navigationsinformationen der Satelliten wie Ephemeriden (Laufbahnen der Satelliten) und Uhrzeiten wurden vorsätzlich unregelmäßigen Schwankungen unterworfen, weshalb selbst mit hochwertigen Messgeräten eine Standortbestimmung bestenfalls bis auf etwa 50 Meter Radius möglich war.

Als Ergebnis dürfte nun folgendes Bild in den Köpfen der Kraftwerksschützer entstanden sein: Würde man zusätzlich zur Vernebelung auch den Empfang von GPS-Signalen rund um die Reaktoren durch Störsender einschränken oder ganz unterbinden -- wie es ja schließlich auch das US-Militär in Krisengebieten macht, um die eigenen Truppen zu schützen --, hätten die Piloten der anfliegenden Maschinen nicht nur kein genaues Sichtziel, auch die Satellitennavigation an Bord wäre mangels GPS-Daten unbrauchbar.

Tatsächlich haben sich der Energiekonzern E.ON und das Niedersächsische Umweltministerium laut HAZ inzwischen darauf geeinigt, eine solche Maßnahme am Kernkraftwerk Grohnde bei Hameln zu erproben. Auch das Bundesumweltministerium, der Bundesinnenminister und der Verteidigungsminister sollen ihr OK gegeben haben. Die Fakten lassen allerdings darauf schließen, dass hier eher ein Schildbürgerstreich ausgeheckt wurde, statt ein wirksames Sicherheitsmodell zu entwickeln.

Zum einen sind Atomkraftwerke große, meist helle Klötze in der Luft-Landschaft, die bei guten Bedingungen aus einer Entfernung von 50 Kilometern und mehr zu sehen sind und daher gerne als Orientierungspunkte genutzt werden. Nebelt man sie nun ein, erscheinen sie noch größer und sind daher aus noch größerer Distanz gut zu erkennen. Auch eine Störung des GPS-Empfangs in der unmittelbaren Umgebung der Reaktoren würde nicht ausreichen, da eine Verkehrsmaschine diesen Bereich in wenigen Sekunden durchfliegt. Und bis die GPS-Anlage überhaupt gemerkt hätte, dass keine Signale mehr da sind, wäre das Flugzeug schon im Ziel eingeschlagen.

Als Konsequenz müsste man also den Empfangsbereich sehr viel großflächiger stören -- ein Durchmesser von 100 Kilometer für jedes Kraftwerk wäre das Minimum. Bei der Größe Deutschlands verbunden mit der vorhandenen Kernkraftwerks-Dichte würde man damit aber der Nutzung von GPS-Daten hierzulande (Straßennavigation, Luftfahrt, Toll-Collect) den Todesstoß versetzen. Abgesehen von der Tatsache, dass auch dem legalen Stören eines Funkdienstes derzeit noch einige Gesetze im Weg stehen. Die für Funkdienste in Deutschland zuständige Bundesnetzagentur teilte heise online auf Anfrage mit, dass nach dem geltenden TKD eine Zuweisung von Störsendern sowieso nicht möglich ist.

Statt es mit abenteuerlichen Störmanövern zu versuchen, unter denen die Republik mehr leidet, als dass ein erkennbarer Sicherheitsgewinn damit verbunden ist, würde viel mehr Sinn machen, die Navigationsprogramme moderner Flugzeuge mit Koordinaten zu füttern, die sicherheitkritische Gebäude und Einrichtungen repräsentieren, die nicht angeflogen werden dürfen. Verbunden mit einem elektronischen Fly-by-Wire-System, wie es etwa in der Boeing 777 und mehreren Modellen des europäischen Flugzeugbauers Airbus schon vorhanden ist, hätten potenzielle Highjacker kaum eine Chance, solche Punkte als Angriffsziele auszuwählen. Vielmehr würden die Steuerungscomputer in den Flugzeugen selbsttätig alles unternehmen, um beispielsweise einen gezielten Absturz auf ein Atomkraftwerk zu verhindern. (pmz)