WSIS: Scharfe Kritik an Gipfelgastgeber Tunesien

Mehrere Nichtregierungsorganisationen haben in Genf in einer Konferenz über die Situation in Tunesien informiert, Gastgeberland des kommenden Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS).

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Von
  • Monika Ermert

Unter dem Titel "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?" haben gestern mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Genf eine Konferenz über die Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Tunesien, Gastgeberland des bevorstehenden Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) veranstaltet. Die Antwort der Journalistin und Autorin und Sprecherin des tunesischen Council for Liberties in Tunisia (CNLT) Sihem Bensedrine und verschiedener Mitstreiter auf die Frage der Gastgeber ist ein klares Nein.

"Tunesische Bürgerrechtsorganisationen hatten ursprünglich mit der Ausrichtung des Gipfels die Hoffnung verbunden, dass sich ihr Bewegungsspielraum vergrößert", sagte Bensedrine gegenüber heise online. "Tatsächlich ist ihre Situation heute viel schlechter." Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien praktisch nicht mehr vorhanden, wie die Verbote der Konferenzen der tunesischen Menschenrechtsliga (Tunisian League of Human Rights, LTDH) und des in Gründung befindlichen Journalistenverbandes (Tunisian Journalists' Syndicate, SJT) Anfang September zeigten. Mahnungen des EU-Parlamentspräsidenten gegen die Verbote prallten bislang demnach am tunesischen Regime ab.

Die Repressionen richteten sich laut Bensedrine nicht nur gegen Journalisten und Regimekritiker, sondern auch gegen Richter und Anwälte, die sich für die Grundrechte einsetzten. Laut einer Erklärung verschiedener tunesischer und internationaler NGOs wurde der Richterverband (Association of Tunesien Judges, AMT) wegen seiner Appelle zur Unabhängigkeit der Justiz aus seinem eigenen Büro ausgesperrt. Der Anwalt Mohamed Abbou, Mitglied des National Council for Liberties in Tunesia (CNLT), wurde wegen der Veröffentlichung eines kritischen Web-Artikels zur Situation in den tunesischen Gefängnissen, die er mit der in Guantanamo verglich, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Einen ausführlichen Bericht (derzeit nur über Googles Cache-Funktion erhältlich) zu der "Belagerungssituation", in der sich Menschenrechtler nach ihrer Meinung befinden, lieferte kürzlich Seán Ó Siochrú, der Tunesien für die CRIS Campaign besuchte.

Mohamed Abbou war die gestrige Veranstaltung in Genf gewidmet, die die Organisatoren von Communica-ch, des Dachverbandes International Freedom of Expression Exchange (IFEX), der Cris-Kampagne und der Schweizer Mediengewerkschaft bewusst abseits der offiziellen WSIS-Vorbereitungskonferenz veranstalteten. "Die Erfahrung mit früheren Veranstaltungen dieser Art hat uns gelehrt, dass wir ohne Vorsichtsmaßnahmen mit einer Störung durch Claqueure des tunesischen Regimes rechnen müssen", sagte Wolf Ludwig von Communica.ch.

Bei der Vorbereitungskonferenz im Februar wurde die Verteilung des von IFEX erstellten kritischen Berichts zur Menschenrechtssituation unterbunden. Trotzdem haben die tunesischen NGOs die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Einen Boykott des Gipfels in Tunesien möchten sie nicht. "Wir hoffen immer noch, dass wir mit einem Alternativgipfel auf unsere Situation aufmerksam machen können." Von Regierungsdelegationen aus aller Welt erhoffen sie sich dann aber "nicht nur höfliche Worte für Präsident Ben Ali, sondern eine deutliche Stellungnahme gegen die Repression".

Der Weltgipfel der Informationsgesellschaft ist eine von der UNO ausgerufene Weltkonferenz. Sie soll zu einem gemeinsamen Verständnis der Informationsgesellschaft beitragen. Ein Gipfel fand bereits 2003 statt. Gastgeber des WSIS im November ist Tunesien. Diesem Gipfel gingen Vorbereitungskonferenzen voraus. Siehe zum Thema auch:

(Monika Ermert) / (anw)