Wikileaks: Alles muss raus

Wikileaks hat die Datensätze aller US-Botschaftsberichte veröffentlicht, zusammen mit der Aufforderung an Aktivisten, Mirror-Dateien anzulegen. Mit der möglichst breiten Streuung zieht Wikileaks die Konsequenz aus einer ungewöhnlichen Datenpanne.

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Von
  • Detlef Borchers

Wikileaks hat die kompletten Datensätze aller unredigierten US-Botschaftsberichte veröffentlicht. Kurz vor Mitternacht amerikanischer Ostküstenzeit wurde ein 60 GByte großes Torrent freigegeben, zusammen mit einem Passwort und der Aufforderung an Wikileaks-Aktivisten, Mirror-Dateien anzulegen und diese per Twitter mit dem Hashtag #mlmir zu melden. Mit der möglichst breiten Streuung aller Botschaftsberichte zieht Wikileaks die Konsequenz aus einer ungewöhnlichen Datenpanne: Journalisten des britischen Guardian hatten vor sieben Monaten ein Buch über ihre Arbeit mit Wikileaks geschrieben und dabei ein Passwort im Klartext veröffentlicht. Mit diesem Passwort konnte ein am 7. Dezember 2010 in Umlauf gekommenes Torrent geöffnet werden. Mehrere Webseiten nutzten die im Streit mit OpenLeaks bekannt gewordene Sicherheitslücke, darunter auch die US-amerikanische Whistleblower-Seite Cryptome.

Ehe sich Wikileaks zu den Schritt entschloss, alle Depeschen zu veröffentlichen, gab es eine Art Twitter-Abstimmung, ob die Berichte der US-Diplomaten tatsächlich komplett veröffentlicht werden sollten oder ob Wikileaks sich zurückhalten und nur redigierte Berichte freigegben sollte. In der Nacht zum Freitag zeichnete sich eine Mehrheit für die ungeschwärzte Veröffentlichung aller Dokumente ab.

Mit der Aktion von Wikileaks ist ein Ende in der Auseinandersetzung Wikileaks contra OpenLeaks aber noch nicht abzusehen. Im Guardian meldete sich der OpenLeaks-Gründer Daniel Domscheit-Berg zu Wort und sprach davon, dass das vor sieben Monaten im Buch abgedruckte Passwort das Master Password von Wikileaks gewesen sei, das er erkannt habe. Welche Datenbestände mit diesem Hauptpasswort noch verschlüsselt sind, ließ Domscheit-Berg offen.

Vor ziemlich exakt neun Monaten begannen Medienpartner von Wikileaks damit, redigierte Botschaftsberichte zu veröffentlichen. Der Spiegel, der Guardian, die New York Times, El País und Le Monde pickten sich aus dem umfangreichen Material von 251.287 Berichten die Geschichten heraus, die für die eigene Leserschaft besonders interessante Aspekte enthielt. Nachdem Wikileaks vor einer Woche zum Crowdsourcing – allerdings in redigiertem Material – aufgerufen hatte, beginnt nun eine neue Phase in der Untersuchung der US-Dokumente. Interessierte Leser basteln sich bereits eigene Programme, um unabhängig von den angebotenen Cable-Viewer-Webangeboten suchen zu können.

[Update: Inzwischen gehen ehemalige Partner auf Distanz. So hat die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) erklärt, die Website von Wikileaks vorerst nicht mehr zu spiegeln. Die im Dezember 2010 erstellte Mirror Site für Wikileaks werde vorübergehend abgeschaltet, heißt es in einer Mitteilung der Organisation vom Freitag. Als Grund geben die Reporter ohne Grenzen an, dass Wikileaks den kompletten Datensatz der unredigierten US-Botschaftsdepeschen ins Netz gestellt habe, nachdem die Existenz einer Datei mit allen Depeschen und das zugehörige Passwort bekannt geworden waren.

"Auch wenn bislang nicht bekannt wurde, dass durch diese Veröffentlichungen Personen in Gefahr gebracht worden sind, dürfen doch die möglichen Auswirkungen auf das Leben von Informanten wie Kündigung ihres Arbeitsplatzes, körperliche Übergriffe und andere Repressionen nicht vernachlässigt werden", teilte ROG dazu mit. Da die Sicherheit des Quellenschutzes nun in Frage gestellt sei, habe sich ROG entschlossen, "die Spiegelung auszusetzen, bis die Sicherheitslücken aufgeklärt und beseitigt sind".] (jk)