Gehirnscans im Gerichtssaal


Sogenannte Neuroimaging-Gutachten sind weltweit in Gerichtssälen auf dem Vormarsch. Doch können Gehirnscans wirklich verraten, ob jemand eine Straftat mutwillig begangen hat oder aufgrund einer Anomalie im Denkorgan gar nicht anders konnte?

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Von
  • Niels Boeing


Sogenannte Neuroimaging-Gutachten sind weltweit in Gerichtssälen auf dem Vormarsch. Doch können Gehirnscans wirklich verraten, ob jemand eine Straftat mutwillig begangen hat oder aufgrund einer Anomalie im Denkorgan gar nicht anders konnte?

In Italien wurde kürzlich das Strafmaß einer verurteilten Straftäterin reduziert, nachdem Gehirnscans und genetische Tests Hinweise auf verhaltensverändernde Anomalien geliefert hatten. Stefania Albertani wurde vor zwei Jahren zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie zuerst ihre Schwester und später auch ihre Eltern umgebracht hatte. Laut einem Newsblog von Nature verringerte nun ein Berufungsgericht das Strafmaß auf 20 Jahre und stützte sich dabei auf ein Gutachten des Molekulargenetikers und Psychiaters Pietro Pietrini und des Neurowissenschaftlers Giuseppe Sartori von den Universität Pisa und Padova: Sie hatten dem Gericht Scans von Albertanis Gehirn präsentiert, die – im Vergleich mit entsprechenden Aufnahmen gesunder Frauen – starke strukturelle Unterschiede aufwiesen.

Die Anomalien fanden sich in Gehirnbereichen, in denen Veränderungen mit Enthemmung und aggressivem Verhalten in Verbindung gebracht werden. Als weiteren Beweis legten die Forscher Testergebnisse vor, nach denen bei Albertani die Aktivität des sogenannten „Krieger-Gens“ MAOA ebenfalls auf ein erhöhtes Aggressionspotential schließen lasse. Die italienischen Forscher wurden um ihre Expertise gebeten, nachdem zwei psychiatrische Tests bei der Frau zu widersprüchlichen Ergebnissen ob ihrer Schuldfähigkeit gekommen waren. Pietrini und Sartori zeigten sich überzeugt, dass die beobachteten Gehirnveränderungen dafür verantwortlich sind, dass Albertani die Morde begangen hat. Andere Experten hingegen sind mehr als skeptisch, heißt es in dem Nature-Blog: der Neurowissenschaftler Stephan Schleim von der Universität Groningen etwa glaubt nicht an einen direkten Zusammenhang. Dazu seien die bisher gefundenen strukturellen Veränderungen, die möglicherweise mit Aggressionen einhergehen, nicht eindeutig genug.

An dieser Stelle soll nicht diskutiert werden, welche Strafe gerecht ist, wenn jemand – aus welchem körperlichen Gründen auch immer – nicht oder nur vermindert schuldfähig ist und wann eine (reduzierte) Gefängnisstrafe oder Sicherheitsverwahrung angebracht ist. Allerdings deutet in den bisher bekannten Gerichtsfällen vieles darauf hin, dass die Aussagekraft von Gehirnscans und genetischen Tests über das Verhalten noch stark untersucht, verbessert und vor allem abgesichert werden muss. Derzeit gibt es noch keine diagnostischen Kriterien, die einwandfrei festlegen, welche strukturellen und genetischen Anomalien tatsächlich zu einem unkontrollierbar aggressiven Verhalten führen. Das muss sich ändern.

Bis es soweit ist, sind Einsätze solcher Tests vor Gericht sehr fragwürdig. Das zeigt auch das Beispiel aus Indien, über das TR in der Ausgabe 11/2008 berichtete: Damals hatte ein Gericht eine Angeklagte allein auf der Grundlage verurteilt, dass ihre Gehirnwellen starke Ausschläge gezeigt hatten, als sie mit Fotos vom Tatort konfrontiert wurde. Nur wenn gesicherte Aussagen möglich sind, erscheint der Einsatz solcher Tests sinnvoll – und auch dann wäre es ratsam, sie nur zusätzlich zu psychiatrischen Gutachten heranzuziehen. Ähnlich läuft der Einsatz von Gehirnscans in medizinischen Fällen, etwa bei der Diagnose von neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit und ihrer Abgrenzung zu anderen Demenzarten. Auch hier helfen die bildgebenden Verfahren dabei, zusätzlich zu anderen Tests eine Diagnose abzusichern.

Heikler ist die Lage bei genetischen Tests, da eine niedrige Genaktivität zuweilen wenig bedeutet: laut den Experten kann es im Gehirn sowohl Bereiche mit stark aktivem als auch mit kaum aktivem MAOA-Gen geben. Zudem kann es zahlreiche unbekannte genetische Komponenten geben, die einen viel stärkeren Einfluss haben als die bekannten Abweichungen.

Auch in anderen Fällen, in denen Gehirnscans vor Gericht eingesetzt wurden, waren die Ergebnisse umstritten. Vor zwei Jahren hatte sich ein italienisches Gericht schon einmal auf Gutachten von Pietrini und Sartori gestützt und das Strafmaß in einem Mordfall reduziert. Damals machten die Wissenschaftler ebenfalls strukturelle Veränderungen im Gehirn und genetische Anomalien dafür verantwortlich, dass der Täter Abdelmalek Bayout mit einem Messer auf Walter Felipe Perez losgegangen war und ihn tödlich verletzt hatte. Bayout sei vor allem aufgrund der genetischen Veränderungen nicht in der Lage gewesen, nach angeblichen Provokationen des späteren Opfers an sich zu halten.

Schon damals zweifelten mehrere Neurowissenschaftler daran, dass die Tests spezifisch genug seien, um eine unzweifelhafte Aussage über die Schuldfähigkeit eines Menschen zu treffen. So variiere zum Beispiel die Aktivität des MAOA-Gens in verschiedenen ethnischen Gruppen stark und der Zusammenhang zwischen einer niedrigen Aktivität und der Neigung zu aggressivem Verhalten nicht in allen Gruppen zu beobachten. Und selbst innerhalb einer ethnischen Gruppe könne es so starke Abweichungen geben, dass höchsten Aussagen über große Populationen, nicht aber über das Verhalten von einzelnen Menschen möglich seien. Darüber hinaus könnten Umwelteinflüsse die schädliche Wirkung von Genen aufheben, ein Gentest allein sei also mitnichten aussagekräftig. Schon gar nicht, wenn nur ein einzelnes Gen untersucht wird.

(nbo)