„Fakten von der Quelle geprüft“

Britische Wissenschaftler schlagen eine Art Gütesiegel für Wissenschafts-Berichterstattung vor. Das ist eine ziemliche Schnapsidee.

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Die Briten sind ja eigentlich für ihren skurrilen und selbstironischen Humor bekannt, aber was die Forscher Petroc Sumner, Frederic Boy und Chris Chambers Anfang des Monats veröffentlicht haben - die Wochenzeitung Freitag hat den Text freundlicherweise übersetzt -, war komplett ernst gemeint: Die Einführung von einer Art Gütesiegel fürWissenschaftsberichterstattung, die garantiert echt und unverfälscht ist - weil sie von Wissenschaftlern noch einmal überprüft wird.

Wie kann man auf so eine Idee kommen? Nun, Sumner und Kollegen fühlten sich von der Presse schlecht behandelt. „Vor Kurzem machte unser Team die interessante Entdeckung, dass in einem bestimmten Bereich des Gehirns die Konzentration eines Neurotransmitters namens GABA (gamma-Aminobutyric acid, zu Deutsch: γ-Aminobuttersäure) – der an der Signalübertragung zwischen Nervenzellen beteiligt ist– mit einer bestimmten Art von Impulsivität in Verbindung steht“, schreiben die Wissenschaftler. „Genauer gesagt fanden wir heraus, dass Menschen, bei denen ein niedrigerer GABA-Spiegel in einem Teil des Frontallappens ihres Gehirns gemessen wird, auch von impulsivem Verhalten berichteten. Leute, die ein impulsiveres Wesen an den Tag legen, neigen dazu, auf starke Gefühle und Zwänge unbedachter zu reagieren.“

Da ihre Arbeit öffentlich finanziert war, lieferten die Forscher nicht nur einen wissenschaftlichen Aufsatz ab, sondern verfassten pflichtschuldigst auch eine Presseerklärung zu ihrer Arbeit. Die allerdings geriet, pünktlich zum Auftauchen der Londoner Krawalle, in die Fänge der britischen Boulevardpresse. Und die ist, selbst nach dem Telefonskandal um den Murdoch-Konzern, noch immer nicht wirklich zimperlich und dichtete den Wissenschaftlern einige, zu den Riots passende Schlussfolgerungen an: So berichtete die Daily Mail beispielsweise, die Wissenschaftler gingen davon aus, die Randalierer hätten eine „geringere Konzentration einer Substanz im Gehirn, die impulsives Verhalten unter Kontrolle hält“. Ein anderes Blatt schrieb, Ausschreitungen wie die London-Riots könnten wohl künftig durch die Verabreichung eines Nasensprays verhindert werden.

„Wissenschaftler müssen als Erstes akzeptieren, dass heute ein großer Teil der so genannten Nachrichten durch eine zombieartige Neuverpackung von Presseerklärungen und Agenturmeldungen erstellt wird, ohne dass sich jemand die Mühe macht, Informationen direkt mit der Quelle abzugleichen“, klagen die Forscher. „Erschwerend kommt hinzu, dass einige Journalisten und Redakteure sich wenig um die Wahrheit, die Reputation der Wissenschaftler und die Folgen für die Öffentlichkeit scheren.“

An sich sei eine solche, falsche und verzerrende Berichterstattung zwar nicht direkt schädlich. Sie würde aber einen „Kreislauf aus Fehlinformationen und Misstrauen“ zwischen der Öffentlichkeit und der Wissenschaft in Gang setzen, der zu „potenziell gefährlichen Ansichten“ führen würde, wie etwa dem Glauben, Impfungen seien schädlich, der Klimawandel eine Lüge oder einem diffusen Misstrauen gegenüber „der Wissenschaft“, die die Leute generell belügen würde.

Was also tun? Überhaupt nicht mehr mit der Presse zu sprechen, ist keine gute Idee. Also kamen Sumner und Kollegen auf die Idee, eine Art Gütesiegel für Wissenschafts-Journalismus vorzuschlagen: „Die meisten Wissenschaftler, die wir kennen, sind gerne bereit, Texte, die auf ihren Untersuchungen beruhen, einem Faktencheck zu unterziehen. Zeitungsberichte, die ein solches Procedere durchlaufen haben, könnten mit dem Vermerk „Fakten von der Quelle überprüft“ versehen werden“. „Gleichzeitig“ versichern die Forscher treuherzig, „bliebe natürlich die vollständige journalistische Unabhängigkeit gewahrt, kritisch über die Forschung zu berichten.“

An dieser Stelle habe ich dann doch herzhaft gelacht. Wer glaubt, bei einem „Faktencheck“ würde kein Einfluss auf die Berichterstattung genommen, hat noch nie ein Interview von einem Politiker autorisieren lassen - ich kann versichern, dass dies ein medienpädagogisch äußerst lehrreiches Experiment ist.

Und so zu tun, als gäbe es kein eitles Eigeninteresse von Wissenschaftler, keine Verflechtungen von Forschern mit Unternehmen, keine Manipulation von Forschungsergebnissen aus politischen Gründen, ist entweder haarsträubend naiv oder beeindruckend dreist. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft fördern solche Vorschläge jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil.

(wst)