Ex-Polizeichef: Kriminalitätsvorhersage à la "Minority Report" schon alltäglich

"Big Data" inspiriert Ermittler und die Wirtschaft. Für William Bratton, den früheren Polizeichef von New York und Los Angeles, gehört die massive Informationsanalyse längst zum gängigen Handwerkszeug der Strafverfolger.

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Für William Bratton, den früheren Polizeichef von New York und Los Angeles, gehört die massive Informationsanalyse längst zum gängigen Handwerkszeug der Strafverfolger. Die im Spielberg-Streifen "Minority Report" unter dem Stichwort "PreCrime" gezeigten Versuche zur Voraussage künftiger Verbrechen könnten heute mit einem iPad bewältigt werden, erklärte der "Supercop" am Freitag auf der "Wired"-Konferenz in London. In der täglichen Polizeiarbeit drehe sich spätestens seit den Anschlägen am 11. September 2001 alles um die Datensammlung und die daraus ableitbaren Aufklärungsmöglichkeiten.

Zusammen mit Universitäten arbeiteten führende Polizeibehörden in den USA derzeit an neuen Algorithmen zur Verhinderung von Straftaten, führte Bratton weiter aus. Schließlich sei es besser, einen Angriff oder einen Mord zu verhindern als darauf im Nachhinein zu reagieren. Als Beispiel nannte er die Überwachung der Aktivitäten bekannter Gangs in sozialen Netzwerken vor deren üblichen Geburtstagsfeiern, die regelmäßig zu Ausschreitungen führten. So könne die Polizei rascher Einsatzkräfte zum richtigen Ort schicken und Auseinandersetzungen mit Mitgliedern anderer Banden frühzeitig unterbinden.

Hinter "PreCrime"-artigen Systemen und dem Einsatz von Informationstechnik im Polizeialltag steckt für den Praktiker wenig Geheimnisvolles oder Anstößiges. In New York habe er Mitte der 1990er "CompStat" eingeführt, eine Datenbank zur Aufzeichnung aller von Strafverfolgern in der Großstadt registrierten Delikten. Dies habe geholfen, Muster und Trends der Verbrechensentwicklung auszumachen, damit verbundene Kriminalitätsschwerpunkte zu identifizieren, darauf rasch zu reagieren und durch ständige Kontrollen ein Wiederaufflammen von Konflikten zu verhindern. Das Vorgehen entspreche der Krebstherapie mit der Identifizierung kranker Zellen, Chemotherapie, Operation und Überwachung des Behandlungserfolgs. Letztlich setzten Menschen die gleichen Mechanismen auch bei einem Flirt an der Bar und Folgeaktionen am nächsten Tag ein.

Soziale Netzwerke spielen laut Bratton nicht nur bei der Strafverhinderung eine wichtige Rolle, sondern erleichtern potenziellen Übeltätern zunächst auch das Zusammenspiel und fordern die Analysefähigkeiten der Überwacher heraus. Facebook und Konsorten ermutigten Leute, sich an Protesten und Aufständen zu beteiligen, meinte der Experte. Sie stellten "neue Elemente der Verunsicherung" dar. Von einer Sperre sozialer Netzwerke und Echtzeitkommunikationsmöglichkeiten in Krisensituationen, wie sie die britische Regierung nach den jüngsten Revolten in London im Sommer diskutierte, hält Bratton aber nichts. Er selbst habe beim großflächigen Blackout-Netzausfall in dieser Woche erfahren, wie sehr mit einer solchen Maßnahme auch wichtige und hilfreiche Kommunikationsvorgänge verhindert würden. Vorstellbar sei höchstens eine gezielte kurzfristige Abkoppelung einzelner für Unruhe sorgender Teilnehmer vom Netz.

Die Wirtschaft steht der Staatsmacht beim Data Mining in keiner Weise nach. "Big Data bedeutet Big Business", erklärte Werner Vogels, Cheftechniker von Amazon, auf der Tagung. Die Sammlung, Speicherung, Organisation und Analyse möglichst vieler Daten sei nötig, um Geschäftsprozesse rasch an die Wünsche von Kunden anzupassen. Probleme mit dem Vorhalten von Informationen haben sich laut Vogels mit dem Cloud Computing erledigt. Dieses erlaube die Fokussierung auf die Arbeit an Methoden und Algorithmen zur Datenauswertung, die durch Googles MapReduce und die freie Software-Datenbank Hadoop erleichtert würde. Hilfreich seien auch Verfahren zum Crowdsourcing und zur Verschlagwortung von Informationsmengen, wie sie Amazon selbst etwa mit dem Dienstleistungsmarktplatz " Mechanical Turk" eröffnet habe.

Geoff McGrath, Manager bei McLaren Applied Technologies, beschrieb die Bedeutung, die Datenverarbeitung in Echtzeit im Autorennsport erhalten habe. Ein einzelner Wagen liefere permanent Hunderte Millionen an Informationen, die von 40 Mitarbeitern direkt an der Strecke, 40 in der Werkstatt vor Ort und ebenso vielen Mitstreitern in der Einsatzzentrale bei London analysiert würden. Wichtig dabei sei vor allem, Formen der "vorschreibenden Intelligenz" zu entwickeln, um auf Szenarien wie einen plötzlichen Regenguss oder einen Crash sekundenschnell reagieren zu können. Es sei zwar nicht möglich, die Zukunft vorauszusagen, räumte McGrath ein. Man könne Reaktionsformen aber vorformulieren und diese im Notfall direkt zur Anwendung bringen. Auch für andere Sportarten wie Leichtathletik oder Fußball werden solche Vorgehensweisen bedeutsam: Dafür versehe der McLaren-Ableger Sportler mit einem "Body Area Network", um die Körperfunktionen zu überwachen und Anzeichen für eine Überstrapazierung einzelner Teile festzustellen. Ebenso gewännen solche Berechnungsmethoden im Verkehrsmanagement oder im Einzelhandel an Bedeutung.

Auch der gesellschaftliche Bereich profitiere von Big Data, führte Juliana Rotich aus, Mitgründerin der "Crowdmapping"-Plattform Ushahidi. Über die Technik könnten Nutzer unter anderem in Echtzeit lokale Konfliktherde markieren und Warnungen aussprechen. Dies zeige zugleich, dass eine Community lebendig sei. In Verknüpfung mit dem "Open Data"-Ansatz, dem sich gerade auch ihr Heimatland Kenia verschrieben habe, könne etwa auch das Verhältnis von Lehrern zu Schülern in der Umgebung angezeigt werden. Letztlich handele es sich bei jeder Crowdmap, die Leute ins Web stellen, um eine Bereicherung des "Netzwerks der Netzwerke". (gr)