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Was war. Was wird.

Herr und Knecht, Täter und Opfer, Kluge und Dumme. Manche Schranke scheint unüberwindbar. Ob man's glauben soll? Manchmal aber sollte man lieber Brecht lesen als hymnische Erkenntnisgewinnler feiern, befindet Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Zeit seines Lebens war Dennis M. Ritchie ein bescheidener Mann, der es hasste, wenn über seine Person ein großes Aufheben gemacht wurde. Auf Usenix und anderen Konferenzen tauschte er gerne die Namensschilder mit anderen, um "vernünftige Diskussionen" führen zu können. Mitunter lief dmr mit einer Mickeymouse-Kappe herum. Ein Wissenschaftler, der so doof aussieht, wird nicht belästigt, war das Kalkül. Nun ist Dennis Ritchie tot. Wenn überhaupt ein Vergleich mit Steve Jobs zulässig ist, der die letzte Wochenschau dominierte, dann der: Steve Jobs starb an Krebs im Kreise seiner Familie, Dennis Ritchie starb allein, er wurde tot in seinem Haus aufgefunden. Ob es der Krebs war, gegen den er über Jahre kämpfte oder ein kürzlich aufgetretenes Herzleiden, musste ein Pathologe klären. In einem Interview äußerte Ritchie Sympathien für die Bewegung, die sich für freie Software einsetzte, nannte aber die spaßeshalber eingerichtete "Church of Emacs" eine gotteslästerliche Sache. Er gehörte zu den Petenten, die erst AT&T, dann Novell und schließlich sogar SCO bestürmten, Lions Buch zu veröffentlichen, das Standard-Werk des Computer-Samisdat, von dem einstmals Fotokopien in 15. Generation existierten. Ritchies Kommentar in sched.c, Zeile 2238 /* You are not expected to understand this */ hat Geschichte gemacht. "Wir in der Forschungsabteilung verloren den Kampf", erzählte Dennis Ritchie über die Versuche seiner Abteilung, die Anwälte davon zu überzeugen, nicht gegen das Buch vorzugehen. Selbst 25 Jahre später, als SCO die Rechte an den Quellen besaß, konnte das Nein der Anwälte nur durch einen Trick verhindert werden, den sich Ritchie und Peter Salus ausdachten. Sie ließen den hochrangigen SCO-Manager Mike Tilson einen "grant of permission" unterschreiben, der eigentlich nur ein Entwurf sein sollte.

*** Generationen von Unix-Adepten lernten die Schönheit des Codes von Dennis Ritchie und Ken Thompson kennen, dazu Lions ermutigende Kommentare für Studenten, die zunächst verzweifelten. Ähnliches gilt für die Programmiersprache C und die die Einführung von Kernighan, den Heise-Foristen gerührt streichelten, als die Nachricht von Ritchies Tod online ging. "Vor dem Gott der Algorithmen und Codes sind wir ja fast alle gleich – und das heißt gleich dumm", heißt es im Freitag über die große Erzählung vom Funktionieren der Gesellschaft in einem Artikel, der wurschtig zur Piratenpartei abbiegt. Die Rede von Gott ist mehr als eine Leerstelle. "Dummheit ist ein grausamer, globaler Gott": Mit diesem Spruch der Hacker eines Servers des Davoser Weltwirtschaftsforum begann der auszugsweise Abdruck des Codes eines Staatstrojaners in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung im Stil einer früheren Veröffentlichung, als das Feuilleton mit dem menschlichen Gencode vollgedruckt wurde. Nach der Würdigung einer historischen Geistesleistung nun also ein Programm, das Dumme nicht lesen können. Unter dem seltsamen Titel Anatomie eines digitalen Ungeziefers veröffentlichte der Sprecher des Chaos Computer Clubs eine Analyse des Codes, komplett mit einer völlig nutzlosen "Leseanleitung" für Dumme, da anstelle eines durchaus lesbareren Assembler-Codes auf Großdruck gesetzt wurde.

*** Verfasst war das Ganze also von den Klugen, für die der Gott der Algorithmen eh eine Funktion der Buddyliste ist. Die Hacker vom CCC arbeiteten sich an einer durchaus mittelmäßigen Wanzensoftware ab, die sie 0zapftis tauften. Man kann sich vorstellen, wie da beim Klirren der Mateflaschen gekichert wurde, als AES-Schlüssel gefunden wurde, der in all den Wanzen, die auf "diversen Festplatten in den berühmten braunen Umschlägen anonym beim Chaos Computer Club" eintrudelten, gleich sein soll. Oder als die Funktion entdeckt wurde, über die der Upload weiterer Programme oder Dateien auf den infizierten Computer gestartet wird. Doch wo ein Staatstrojaner analysiert wird, müssen sich Bürger in angemessener Haltung nähern. Entsprechend kichert man nicht, sondern "stellt entsetzt fest" und findet keine Schlamperei, sondern gleich die "schockierendste Funktion" – die Nachladefunktion, die den Trojaner an die normalen Updates auf dem Zielcomputer anpasst. Auch in der den Hack begleitenden Erklärung wird "inständig gehofft", dass dieser Fall nicht repräsentativ ist für die Qualitätssicherung der Bundesbehörden, damit nicht etwa mäßig begabte Anwender das machen, was Dumme und Kluge befürchten, wenn sie: "sich den Behörden gegenüber als eine bestimmte Instanz des Trojaners ausgeben und gefälschte Daten abliefern. Es ist sogar ein Angriff auf die behördliche Infrastruktur denkbar. Von einem entsprechenden Penetrationstest hat der CCC bisher abgesehen".

*** Warum eigentlich nicht? Ein solcher Pemetrationstest, der nach den Regularien der Hackerethik stante pede zugegeben wird, hätte im Falle eines Erfolges eine viel verstörendere Wirkung als die Publikation des Staatstrojaners. Der Staat, der sein eigenes Ungeziefer fressen muss, der zurückgelieferte "Beweise" gar in juristische Verfahren einbringt, müsste sich besonders schnell von dem wackeligen Konstrukt einer Quellen-Telekommunikationsüberwachung verabschieden und es wie unsere Nachbarn machen und die von Skype zur Verfügung gestellte Backdoor nutzen. Von solchen Hacks ist man beim CCC weit entfernt, weil Nerds einen Bildungsauftrag haben und die Aufteilung in Täter und Opfer den klugen Nerds entgegenkommt. Man muss nur den unverholenen Ärger über die Piraten lesen, die nicht medienwirksam wie Peter Altmeier natürlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein religiöses Erweckungserlebnis ausbreiten und vom "neuen Leben" schwafeln, dass der Gott des Netzes per Twitter ermöglicht hat. Die schmierige Komödie der "digitalen Bürgeransprache" müssen offenbar andere dekodieren, wenn Piraten vor dem Hafen kreuzen. Ja, ja, so wird das nix, wenn man nicht der parlamentarische Arm der Netzbewegung werden will, sondern durchaus einen eigenen Kurs segelt.

*** Hier die staatlichen Täter oder mindestens Mieter einer mittelmäßigen Software, dort die armen, armen Opfer – und dazwischen die, die mühelos den Code vom Gott des Algorithmus lesen und selbst sorgsam versteckte Funktionen wie CreateProcessA finden. Dazu die Kulturkritik, die Source-Code mit dem Code der Gesellschaft gleichsetzt, der Freiheit ermöglicht oder vermichtet. Da bleiben die Dummen übrig und leben im "neuen Analphabetismus der Freiheit", erschrocken die Maus schubsend oder halt das iPad umklammernd und flüsternd fragend: "Siri, werde ich überwacht?" Solange es Gut und Böse gibt, solamge es Täter und Opfer und Wissende gibt, ist die große Erzählung nur Kafka reloaded, doch wenn man in den unzeitgemäßen Kategorien von Herr und Knecht nachdenkt, dann sieht es anders aus. Vielleicht ist der CCC schon die allseits geforderte Bundesbehörde, die das ordnungsgemäße Funktionieren von Trojanern überwacht? Man sollte wieder mal Brecht lesen.

*** Die Dramaturgie um das von einem Rechtsanwalt als Bayerntrojaner enttarnte Programm zeigt, dass der Code ganz und gar nicht anonym den CCC erreichte. Sie zeigt auch, dass die eingesetzte Software mehr konnte als angeordnet: Vom 2. April bis zum 2. Juli 2009 wurde vom Gericht eine Skype- und HTTPS-Überwachung angeordnet (PDF-Datei). "Mit umfasst von dieser Anordnung ist auch die Direktanwahl der Mailbox und der technischen Schaltung," heißt es in einem mit Laser gedruckten und mit Tippex bearbeiteten Schreiben. "Das Telekommunikations-Ausleitungs-Tool wird verdeckt eingebracht und leitet noch unverschlüsselte Daten an die Ermittlungsbehörden aus, sobald die Verbindung aktiv wird. Weitere Daten werden damit auf dem Computer weder gesichtet noch ausgeleitet. Das ist auch ausdrücklich untersagt." Von Bildschirmfotos ist in der Anordnung nicht die Rede. Angeblich sollen 60.000 Application-Shots angefertigt worden sein. Von daher zeigt die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit der Aktion (PDF-Datei), dass das ach so perfide Justizsystem weit besser funktioniert als etwa die Politik, die ziemlich haarsträubenden Unsinn über den Einsatz von Trojanern verbreitet. Der Algorithmus, nach dem ein Uhl oder ein Schünemann funktioniert, sollte beizeiten auch einmal entschlüsselt werden.

Was wird.

Steve Jobs ist tot, aber anders als Dennis Ritchie hat er das Zeug, ein Gott zu werden, ein Heiliger der letzten Tage des Kapitalismus, der uns Lustmaschinen beschert hat. Im Apple-Lager ist der Gott des Algorithmus und der Codes einer, vor dem wir eben nicht gleich (dumm) sind, sondern der, der uns auserwählt: Seine Heiligsprechung "sagt etwas aus über den Zustand der Gesellschaften, in denen der Besitz eines Apple-Gerätes oft schon den einer Persönlichkeit ersetzt und in der großen Erzählung von Kapitalismus und Fortschritt nur eine solche Popstar- und Sektenvariante bleiben kann."

Wer nicht an Wesen höherer Ordnung glauben will, hat auch in dieser Welt Platz, Zeit und Raum, sich einzumischen in die Algorithmen. Mehrfach wurde in dieser kleinen Wochenschau auf den Occupy Wallstreet Day hingewiesen. Inzwischen hat die Protestwelle alle Kontinente erfasst und schwappte auch bei uns in Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt, und München. "Stoppt die Gier" soll 40.000 Demonstranten animiert haben, ein menschengerechtes Leben ohne Herrschaft der Put- und Sell-Algorithmen eimzufordern. Ermutigende Signale allemal von Menschen, denen ein "Occupy your Brain" nicht fremd ist. Ermutigend, dass es weitergeht. Weiter geht es auch im Engagement gegen unmäßige Datenberge wie denen bei der von den USA gewünschten Fluggastdatenspeicherung. Morgen beginnt eine europäische Aktionswoche, die in Deutschland unter dem durchaus befremdlichen Slogan "Wer mit wem schlief" läuft. Wo doch jeder weiß, dass in der Luft gearbeitet wird, wenn diese laufend eingreifenden Algorithmen schweigen müssen.

Ach ja. Und Internet-Enquete ist wieder. Nach langer Pause soll es jetzt zur Sache gehen. Zum Beispiel bei der Netzneutralität. Was sich aber geändert haben soll zur Situation in der Internet-Enquete vor der langen Pause, das stellt nicht nur manch in die Enquete berufener Sachverständige in Frage. Wir dürfen gespannt sein, mit welchen Tricks aus der parlamentarischen Verfahrensfolterkammer die Politprofis den Sachverständigen dieses Mal den Verstand rauben. (jk)