Patentwirrwarr um Brokkoli

Das Europäische Patentamt hat konventionelle Pflanzenzüchtungsverfahren vom Patentschutz ausgenommen, auch wenn diese Verfahren mit gentechnischen Methoden kombiniert werden. Die veränderten Pflanzen könnten aber weiterhin patentierbar sein. Das wäre nicht nur ethisch problematisch sondern auch juristisch höchst fragwürdig.

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Wäre dieser Blog ein Medikament, würde auf dem Beipackzettel stehen: „Vorsicht, komplizierter Inhalt“. Versuchen wir trotzdem, uns an den Fakten entlang zu hangeln. Die Kurzversion der Geschehnisse lautet: obwohl der US-Konzern Monsanto Ende Oktober auf den (bereits erteilten) Patentschutz für ein Pflanzenzüchtungsverfahren verzichtet hat, wird der damit gewonnene Brokkoli wohl weiter patentgeschützt bleiben. Das bedeutet für das Unternehmen noch mehr als zehn Jahre Exklusivität bei der Vermarktung der Pflanzen, die einen erhöhten Anteil an dem – als krebsvorbeugend geltenden – Senföl Glucosinolat enthalten. Der Brokkoli wird seit diesem Jahr unter dem Namen „Beneforte“ auch in Großbritannien vermarktet.

Allerdings sind in der EU Patente auf Saatgut, Pflanzensorten und Tierrassen gar nicht erlaubt. Geschützt werden können jedoch Züchtungsverfahren, wenn sie nicht „im Wesentlichen biologisch“ entstanden sind – sprich durch Kreuzung und Selektion – sondern durch technische Methoden. Dann sind auch die resultierende Pflanzen und ihre Samen patentgeschützt. Doch was „im Wesentlichen biologisch“ bedeutet, legte das EPA jahrelang sehr großzügig aus. Beim Brokkoli wurde das Herstellungsverfahren offenbar vielmehr als technische Erfindung gewertet denn als Züchtung und Plant Science bekam 2002 das Patent zuerkannt.

Im vorliegenden Fall war die Züchtung allerdings klassisch per Kreuzung abgelaufen, nur die Selektion nach den erfolgten Kreuzungen geschah mit gentechnischer Hilfe. Diese Methode nennt sich „smart breeding“, zu Deutsch schlaues Züchten. Monsantos Patent, das der Konzern dem britischen Unternehmen Plant Science abgekauft hatte, bezog sich auf eine molekularbiologische Testmethode, mit der noch vor dem Aussähen feststellbar ist, welche Pflanze einen erhöhten Glucosinolatgehalt hat und welche nicht. Dabei werden keine neuen Gene eingefügt. Und so klagten 2003 zwei die Schweizer Firma Syngenta und die französische Limagrain dagegen.

Nach langem Hin und her sorgte die EPA dann Ende 2010 für Klarheit, aber nur scheinbar. Sie nahm Zuchtverfahren aus dem Patentschutz heraus, die durch konventionelle Methoden erzeugt wurden und – wie im Monsanto-Fall – erst danach mit einem neuen gentechnischen Verfahren kombiniert werden. Herkömmliches Kreuzen wird, so die EPA „allein durch den Einsatz von molekularen Markern nicht patentfähig“. Völlig logisch, denn das gentechnische Verfahren dient lediglich der Auswahl bestimmter Pflanzen, erzeugt in ihnen aber keine neuen Eigenschaften. Damit unterscheiden sich auf diese Weise gewonnene Sorten klar von solchen, in die etwa artfremde Gene eingeschleust werden, um die Pflanzen widerstandsfähig gegen Schädlinge zu machen.

Wo nun das Problem ist? Hier ist es: Nach diesem Urteil durfte man erwarten, dass Monsantos Patent – und damit noch eine Reihe anderer Schutzrechte für Pflanzensorten und Tiere – unwirksam werden. Die Behörde verwies die Causa Brokkoli weiter an ihre Große Beschwerdekammer, am 26. Oktober 2011 sollte die mündliche Anhörung stattfinden. Sie fiel allerdings aus, weil Monsanto kurz vorher mit Syngenta und Limagrain einen Deal einging: Verzichtet der Konzern darauf, dass sein Selektionsverfahren geschützt ist, akzeptieren die Kläger im Gegenzug den Schutz auf die Pflanze selbst.

Fassen wir zusammen:

  1. Die eigentliche technische Neuerung – nämlich das Auswahlverfahren um festzustellen, ob Pflanzennachkommen gewünschte Eigenschaften haben oder nicht – ist nicht patentierbar.
  2. Das Ergebnis konventioneller Züchtung – eine Pflanzensorte mit neuen Eigenschaften – könnte entgegen EU-Recht patentierbar bleiben.

Gezüchtete Pflanzen werden also behandelt, als seien sie Erfindungen. Das sind sie offenkundig nicht. Nur weil die Mineralölindustrie das Rohöl veredelt, darf sie noch lange kein Patent auf das Produkt anmelden. Ja, Züchten kostet auch viel Geld, aber dafür gibt noch den Sortenschutz, der dem Urheber einer neuen Züchtung für ein Jahr bevorzugte Rechte zubilligt. Züchter dürfen gegen Gebühr aber damit weiterzüchten und Landwirte dürfen Samen zurückbehalten, ebenfalls gegen eine Art Nutzungsgebühr. Patente auf Lebensmittel zu vergeben ist ethisch hochgradig problematisch.

Die EPA hat noch nicht entschieden, Insider erwartet allerdings, dass die Behörde das Patent auf die Pflanzen bestätigt. Wenn das so kommt, werden de facto auch mit klassischer Kreuzung gewonnene Pflanzen patentierbar und die EPA hat ihren eigenen Beschluss ausgehöhlt. Ganz zu schweigen davon, dass sie einen rechtlich ungeheuer problematischen Präzedenzfall schafft. Die Behörde verfährt offensichtlich nach dem Motto, erst entscheiden und dann abwarten, ob jemand dagegen klagt. Der Laden gehört dringend aufgeräumt.

Korrektur: Der Sortenschutz gilt nicht wie irrtümlich geschrieben nur ein Jahr lang sondern bis zu 30 Jahre lang. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
(wst)