Die Kryptographie der Jugend

Einige Anmerkungen zu modernen Methoden der Erwachsenenvermeidung.

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Von
  • Peter Glaser

Ab einem früh zweistelligen Alter wird der junge Mensch von dem unbezähmbaren Wunsch heimgesucht, die Eltern mögen sich in Luft auflösen oder in Erwachsenenreservate im Pazifik verbracht werden. Bei der Ausarbeitung dieses Konzepts lernen Heranwachsende, was eine Utopie ist, nämlich eine Idee, die unerreichbar bleibt. Da der Platz auf den vorhandenen Pazifikinseln nicht für die ganzen blöden Erwachsenen ausreicht, muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Und stets ersinnt der junge Mensch neue Wege, um zu verhindern, dass Erwachsene auch dorthin gelangen, wo er sich mit seinen Freunden trifft und sich jeder Generation aufs neue die erstmals im Universum zutage tretenden Geheimnisse des Lebens offenbaren.

Es gibt unendlich viele Methoden, sich den Zumutungen der Adoleszenz-Durchquerung zu entziehen. "Das Netz", schrieb die damals sehr junge J.C. Herz Mitte der 90er Jahre, "ist eines der wenigen phantastischen Dinge, das wir haben und das unsere Eltern nicht hatten und vor allem, das unsere Yuppie-Onkels und -Tanten, die ALLES hatten, nicht hatten".

Die analogen Methoden der Erwachsenenvermeidung sind übergewechselt in die Welt der Bildschirme und digitalen Maschinen. Eines der beliebtesten neuen Verfahren stammte aus den Anfängen der Computerei: die Kryptographie. Schon Jahre bevor es Debatten über öffentliche Verschlüsselungsmethoden ("Public Key") gab, konnte man bereits an Bahndämmen Graffiti sehen, die dem ungeübten Auge wie verschlungene Ornamente erschienen, in Wirklichkeit stellten sie aber lesbare, kunstvoll verschlüsselte Namen und Botschaften dar.

Dann schwenkten junge Künstler in breiter Front von Kunst auf Kryptographie um. Was früher Kunst war, will heute nichts mehr verraten und tut so, als gäbe es ein großes Geheimnis. Mit einem Wort: ein wunderbares Mittel, um Erwachsene entweder zu ärgern oder zumindest von jedem Verständnis abzuhalten. Besonders deutlich wurde die kryptographische Strategie im Grafikdesign und der Gestaltung dessen, was wir auf Bildschirmen und Displays vor uns sehen. Bereits in der Zeit von Techno und Raves wurden beim Design von Party-Flyern vielversprechende neue Erwachsenen-Exkludierverfahren erprobt.

Sie basieren darauf, dass jemand, der auch nur eine halbe Dioptrie sehgeschwächt ist, die Texte schlichtweg nicht mehr lesen kann. Schriften in Größen, wie man sie vom sprichwörtlich Kleingedruckten in Verträgen kennt – Buchstaben im Zweimillimeterbereich, gern auch hellgrau auf mittelgrauem Grund. Screendesigner, die sich ihr ästhetisches Schaffen nicht verpfuschen lassen wollen durch schädliche äußere Einflüsse wie etwa das Nutzerbedürfnis, die Schrift größer stellen zu wollen, codieren ihre Seiten in arretierter, unveränderbarer Größe. Auch in sozialen Netzen wie Facebook bemüht man sich um das Unlesbarmachen des Streams für Herangewachsene.

Was das scheinbar angespannte Verhältnis zwischen Jung und Alt angeht, kann man übrigens, wie in vielen anderen Dingen, etwas von Katzen lernen. Sie hören nie auf zu spielen. Wir sind es, die aufhören mit ihnen zu spielen, wenn wir glauben, dass sie nicht mehr jung sind. (bsc)