Spezialmaschine statt halber Mensch

Die Zeiten, in denen Japans Roboteringenieure ihre Kreativität auf süße Automatenhunde und nutzlose humanoide Zukunftsstudien konzentriert haben, sind vorbei.

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Von
  • Martin Kölling

Die Zeiten, in denen Japans Roboteringenieure ihre Kreativität auf süße Automatenhunde und nutzlose humanoide Zukunftsstudien konzentriert haben, sind vorbei.

Im Dezember 2007 hat Toyota groß den Einstieg in die Roboterindustrie angekündigt. Am Dienstag stellte Japans größter Autobauer nun endlich die ersten drei "Partnerroboter" vor, die wirklich ab 2013 unter Menschen zum Einsatz kommen sollen. Wer sich allerdings auf humanoide Hightech-Wesen gefreut hatte, wurde bitter enttäuscht. Toyota präsentierte hochspezialisierte Robotertechnik für Krankenhäuser und Pflegeheime, die so gar nicht nach den hippen Automaten in Mangas, Anime und Science-Fiction-Filmen aussehen. Dafür versprechen sie ihren Nutzern enorme Erleichterungen.

1. Der "unabhängige Gehassistent" sieht aus wie eine anschnallbare Laufhilfe: Das Gerät soll Menschen mit einem gelähmten Bein ermöglichen, natürlicher als mit den langen und steifen Knieschienen und sicherer als mit weichen Knieschienen zu gehen. Dazu misst ein Sensor am unteren Teil des Oberschenkel den Beinwinkel, die Bewegung des Oberschenkels und berechnet so den Kick, den der 50 Watt-Wechselstrommotor dem Unterschenkel verleiht. Ein Gewichtssensor in der Sohle meldet den Bodenkontakt zurück.

Professor Eiichi Saito von der Fujita Gesundheitsuniversität, der das Gerät mit Toyota entwickelt hat, ist begeistert. Er hatte selbst Kinderlähmung und sein rechtes Bein ist seither gelähmt. "Früher – mit der langen, festen Schiene – konnte ich nur langsam gehen und es war sehr anstrengend. Mit dem neuen Geh-Assistenten kann ich größere Schritte machen, schneller gehen und werde nicht so leicht müde." Auch Treppen und Schrägen könne er weit eleganter meistern als zuvor. Bis zur Markteinführung soll der Prototyp allerdings noch radikal abgespeckt werden. Die 3,5 Kilogramm schwere Knieschiene könnte dann sogar leichter als Professor Saitos bisherige feste Schiene werden. Und der mehrere Kilogramm schwere Akku, den er derzeit noch auf dem Rücken tragen muss, soll dann am Hosenbund Platz finden.

2. Ebenso für 2013 geplant ist der "Gehtrainingsassistent", der der obigen Gehhilfe ähnelt. Er soll Menschen nach Schlaganfällen bei der Rehabilitation helfen. Saito ist auch von dieser Technik überzeugt, denn dank der Rückmeldung der Sensoren können die Ärzte Fortschritte der Patienten messen und visualisieren. Außerdem kann mit wachsender Selbstständigkeit der Grad der Hilfeleistung automatisch reduziert werden. Die bisherigen Statistiken zeigen, dass die Nutzer der Robotergehilfe am Ende deutlich schneller selbstständiger gehen können als die der bisherigen Modelle.

3. Ein anderes Produkt ist ein Balancetrainer, der wie ein Mini-Segway aussieht. Er ist mit einem Monitor gekoppelt, so dass der Patient durch das Hin- und Herbewegen des Untersatzes Videospiele bedienen kann. Die behandelnden Ärzte loben das Produkt: Die Patienten mögen das Gerät, weil das Training durch die Möglichkeit, Videospiele zu spielen, nicht mehr gar so langweilig sei. Außerdem stachele die Aufzeichnung der Trainingsergebnisse den Wettkampfgeist der Patienten an.

4. Mein persönlicher Höhepunkt ist allerdings der "Patienten-Transferassistent", der dem Pflegepersonal beim Bewegen schwer gelähmter oder bettlägeriger Patienten helfen kann. Statt zu zweit die Menschen umherzutragen und z.B. aufs Klo zu setzen, schafft dies mit dem Gerät eine Krankenschwester allein. Auch die Patienten mögen das Gerät nach den bisherigen Erfahrungen, weil sie durch die Technik das Pflegepersonal nicht mehr so stark belasten und vor allem ein bisschen Privatsphäre und Würde bewahren können.

Für mich symbolisiert die relativ schlichte Technik die längst überfällige Zeitenwende in Japans Roboterindustrie. Endlich verabschieden sich die Ingenieure von hochkomplexen menschenähnlichen Robotern, die bisher das Markenzeichen Japans waren und sich durch eine simple Formel auszeichneten: "Sexappeal 100, Nutzwert 0". 15 Jahre habe die Industrie durch die Jagd nach Humanoiden verloren, beschwerte sich der Chef des US-Roboterherstellers Colin Angle bei mir. Stattdessen konzentrieren die Japaner ihre Energien nun auf hochspezialisierte Robotertechnik für Krankenhäuser und Pflegeheime, die konkreten Nutzen verspricht. "Sexappeal null, Nutzwert 100" lautet die neue Gleichung der Industrie, die im Ergebnis langfristig die Kasse klingeln lassen soll.

Ein anderer Konzern, der ganz ähnlich vorgeht, ist Panasonic. Toyotas Roboter treiben die Entwicklung noch einen Schritt weiter, denn der Konzern hat sie mit Absicht geradezu tumb gehalten. So liest Toyotas Roboterbein im Gegensatz zum Hightech-Roboteranzug HAL von Cyberdine nicht über Sensoren die Nervenimpulse an der Hautoberfläche ab, sondern reagiert schlicht auf die Bewegung des Oberschenkels.

Akifumi Tamaoki, Geschäftsführer von Toyotas Roboterabteilung, beschreibt, wie das Unternehmen den Partnerrobotern das Geldverdienen beibringen will. Toyota habe für seinen Einstieg gezielt nach Einsatzfeldern gesucht, in denen die heutigen Robotertechnologien konkrete Vorteile bringen, erklärte er. Angesichts der rasanten Alterung der japanischen Gesellschaft erwartet er sich in der Pflege noch das größte Absatzpotenzial in einem noch nicht bestehenden Markt. Zuerst will sich das Unternehmen auf den Heimatmarkt konzentrieren, später soll jedoch der Weltmarkt und vor allem noch weitere Maschinen für andere Anwendungen folgen. "Mehr als doppelt so viele Roboter sind bereits in der Entwicklung", verrät Professor Saito, bevor es für die Kameras wieder über einen Hindernisparcours geht. (bsc)