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Was war. Was wird.

Das Geschnatter der über die norddeutsche Tiefebene ziehenden Gänse wird nur noch von dem Geheule der Assange-Fanboys übertönt, denen Hal Faber kurz was aus der europäischen Ermittlungsanordnung vorliest.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hoch über der norddeutschen Tiefebene ziehen sie hin, die Wildgänse, und machen dabei einen Mordskrach. Wie laut das Geschnatter in der Cloud der Fliegenden erst sein muss. Nach annähernd 800 Viechern höre ich mit der Zählung ihrer V's auf und übergebe an den nächsten Freiwilligen – die Wochenschau steht an zur Übergabe auf einem dunklen Parkplatz. Die Gänse ziehen weiter, die meisten dieser Formationen nach Tunesien, doch ein Teil hält es noch in Europa aus, in den spanischen Sümpfen. Wer in dieser Woche nicht den ADHS-geschädigten Hanns Guckindieluft spielte, dürfte seine Lektion über ein menschliches Europa gelernt haben: Die Demokratie wird verramscht, Europa wird zum Wohle des Geldsystems postdemokratisch-intergouvernemental von Autokraten der Bewegung "We Occupy your Future" regiert. Das Ganze garniert mit dem Geschnatter der Hausgänse dieser Kapitolwirtschaft, die sich vor kommunistischen Anmachern fürchten. Wie war das noch mit dem Manifest? Demokratie lebt von Beteiligung und Informationsfreiheit. Also nee, manno, das ist sooo 09 und null Action.

*** In dieser Woche musste Julian Assange, die Gallionsfigur von Wikileaks, zum zweiten Mal erfahren, dass er von Großbritannien an Schweden ausgeliefert werden kann. Die 43 Seiten der Begründung des britischen High Court zerpflücken die Klage seiner Anwälte derart vernichtend, dass sie wohl nicht vor den Supreme Court ziehen werden. Sollte dennoch ein Einspruch gegen dieses Urteil in zweiter Instanz erfolgen, dürfte das Begehren rundweg abgelehnt werden. Sowohl britische als auch deutsche Juristen kommentieren das Urteil einschlägig, während Assanges Fan-Gemeinde losheult und dummes Zeug über den europäischen Haftbefehl verbreitet. Kommentieren wir es einmal anders: Hätte sich Assange in Deutschland aufgehalten, wäre er einfach per Videokonferenz von den schwedischen Behörden vernommen worden, ein Verfahren, das im britischen Justizsystem nicht akzeptiert wird. Die über den europäischen Haftbefehl klagen sollten mal einen Blick auf die europäische Ermittlungsanordnung, Artikel 21 "Vernehmung per Videokonferenz" werfen. Das ist ein Vorschlag, der aus dem Königreich Schweden stammt und vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland abgelehnt wird.

*** Bei den aktuellen Verhandlungen über diese europäische Ermittlungsanordnung geht es hoch her. Dem federführenden Schweden ist vieles zu weitreichend, auch Deutschland hat da seine Einwände, besonders beim Punkt "Data Retention". Der heißt bei uns bekanntlich "Quellen-TKÜ" und wird im aktuellen Überwachungs-ABC ebenso ausführlich wie treffend erklärt: "Das brauchen Sie nicht zu wissen." Eine Verpflichtung zur Quellen-TKÜ im Auftrag von anderen ermittelnden Staatsorganen lehnt Deutschland also ab, da sie "politisch hochgradig sensibel" ist, wie es im Verhandlungsprotokoll steht. Ganz unter uns geht man dagegen recht hemdsärmelig mit dem Ermittlungsinstrument um: Es gibt einen zünftigen internationalen Stammtisch der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Belgien, Niederlande und der Schweiz, an dem halbjährlich die Erfahrungen mit "Remote Forensic Software" in lockerer Runde ausgetauscht werden. Ausleiten und ausleiten lassen, heißt die Devise. Luxemburg ist seltsamerweise nicht dabei, obwohl hier Skype ansässig ist und sich sehr aufgeschlossen gibt, wenn Ausleitungsbeschlüsse zum Mitlauschen am Supernode eintreffen. Wen kümmert es da schon groß, wenn die Sache ein einziger Schwindel ist?

*** Ein Klick in die Wikipedia belehrt uns, dass die IT-Forensik digitale Spuren in Computersystemen beweiskräftig sichert. Nun wird in der Debatte um den Staatstrojaner vom CCC kritisiert, dass dieser eine üble Nachladefunktion hat, die sorgsame Arbeit der IT-Forensik mit den Hufen tritt. Für manchen Juristen scheint das kein Problem zu sein, denn "eine solche Nachladefunktion kann als Begleithandlung zur Aufrechterhaltung einer Quellen-TKÜ auch sinnvoll sein, wenn auf Veränderungen in dem angegriffenen Computersystem reagiert werden muss". Allenfalls könnte das Nachladen im Lichte einer Online-Durchsuchung problematisch sein, weil es nichts mit einem laufenden Kommunikationsvorgang zu tun hat, wenn ein Update eingeschoben werden muss, weil Skype, Windows oder die Schlangenölsoftware der Antivirenhersteller etwas Upmurks getrieben haben. Immerhin endet die juristische Betrachtung etwas vertekelt so: "Die zentrale Botschaft des Menetekels über die Angreifbarkeit von Computerdaten zielt daher nicht nur auf die Ermittlungsbehörden und richtet sich auch nicht nur an den Staat: Sie betrifft uns alle." Was will uns der Autor damit sagen, wenn nicht, dass jeglicher Trojanereinsatz jegliche forensische Untersuchung und Beweissicherung ad absurdum führt? Juristisch korrektes Nachladen sieht so aus und nicht anders!

*** Gewöhnen wir uns an schlichte Tatsachen. Wenn Spielehersteller ein Spitzelprogramm installieren, wenn Profi-Fotografen von ihrer Profisoftware belauscht werden, wenn künftig Schultrojaner durch Schul-Server und Tornister streifen, dann hat es sich mit der IT-Forensik, dann hat der Computer als Beweisstück vor Gericht ausgedient. Vieles spricht dafür, dass auch die Smartphones und Tablets davon betroffen sind von dieser technischen Postprivacy. Der Rest ist unlawful access, um es kanadisch zu sagen. Angesichts der zunehmenden Überwachung gilt für Europa: Nicht nur Gänse können fliegen, auch Schweine. Und sie landen in Syrien, mit deutscher Hilfe.

Was wird.

Nein, wir ziehen nicht weiter, sondern bleiben in diesem unseren Lande. Am kommenden Dienstag wird der Deutsche Studienpreis vom Bundestagspräsidenten Lammert verliehen. Eine bemerkenswerte Auszeichnung geht an die Politologin Katrin Kinzelbach für ihre Arbeit "Menschenrechtsdiaolog in der Krise: Chinas Angriff auf die Freiheitsrechte und der Irrweg der europäischen Menschenrechtspolitik", entstanden aus diplomatischen Geheimdokumenten. Sie waren ganz ohne Zutun von Wikileaks (!) irrtümlich in einem italienischen Archiv gespeichert und wurden dank Informationsfreiheitsgesetzen veröffentlicht. Warum kuscht ihr so vor China? ist die Kurzfassung der Arbeit und die Antwort ist beschämend für westliche Demokratien. Aber hach, das Internet bringt die Revolution in China und alles wird gut.

Am nämlichen Dienstag greift unser Bundesinnenminister Friedrich zur Pistole oder einem anderen Kracher. Jedenfalls gibt er laut Vorabmeldung den "Startsschuss" für den Wettbewerb Äpps für Deutschland, in dem öffentliche Daten über die Luftqualität, die Verwendung von Steuergeldern oder die Einnahmen von Abgeordneten mit einer AufklärungsApp ansprechend aufbereitet werden. Dass ausgerechnet Linz den Showroom des Wettbewerbs anführt, darf als hübsche Pointe gewertet werden. Das modische Gerede von den Apps verdeckt etwas die bestehende Transparenz-Idee von den offenen Daten, die Staat und Kommunen dem mündigen Bürgern zur Verfügung stellen, damit Entscheidungsprozesse mit App und Verstand verfolgt und beurteilt werden können: Wissen ist Macht, sagt die Bildergalerie.

Wissen und Macht heißt eine weitere Konferenz, auf der sich die üblichen Verdächtigen im Berliner Technikmuseum mit der neuen Freiheit im Internet beschäftigt und der Zukunft, in der die Frauen immer noch Kuchen backen müssen. Das Ganze für preisgünstige 6 Euro am Tag, vor der jede Konferenz-Frühbuchungspauschale kapitulieren muss, von der heute abend anstehenden Nanoblitzauktion ganz zu schweigen. Husch, husch, kleine Kolumne, ab auf den dunklen Parkplatz. Da grölen wir dann laut, haha, das kleine Occupy-Manifest durch unser machtvolles Sprachrohr. (vbr)