Schräge Nummer

Die internationale Atomenergieagentur liefert die Argumentationsgrundlage für einen neuen Krieg im Nahen Osten. Beweise legt sie allerdings nicht vor.

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Wer vergangene Woche Nachrichtensendungen verfolgt und Tageszeitungen gelesen hat, dem musste sich der Eindruck förmlich aufdrängen, dass die Situation brandgefährlich ist: Nach den von den Kolleginnen und Kollegen verbreiteten Berichten ist der jüngste Bericht über die nuklearen Aktivitäten des Iran, den die internationale Atomenergieagentur am 8. November vorgelegt hat, nur auf eine Weise zu deuten: Das skrupellose, verbrecherische Regime des Iran steht kurz davor, Atomwaffen zu besitzen, und kann seine Mittelstreckeraketen mit entsprechenden Gefechtsköpfen ausrüsten. Folglich muss das Atomprogramm des Iran umgehend gestoppt werden.

Die Sache hat allerdings zwei kleine Schönheitsfehler. Zum Einen ist der Bericht, aus dem bereits ausgiebig zitiert worden ist, eigentlich noch gar nicht veröffentlicht. Laut IAEA soll das Papier zunächst am 17. November vom „Board of Governors" beraten werden.

„Eigentlich“ heißt, das Papier ist irgendwie doch schon öffentlich - jedenfalls kann es seit vergangener Woche von der Website des Institute for Science and International Security heruntergeladen werden. Das Institut ist von dem ehemaligen amerikanischen Atomwaffen-Inspekteur David Albright gegründet worden, der die Weltöffentlichkeit seit 1993 nahezu ununterbrochen mit Informationen über die Rüstungsprogramme so genannter Schurkenstaaten füttern lässt.

Das Dokument, das die IAEA nach eigenen Angaben noch nicht veröffentlicht werden kann, ist also frei im Internet verfügbar. Das scheint in Wien niemand zu stören. Seltsam, oder?

Gehen wir aber mal davon aus, dass das Dokument authentisch ist. Auf 25 Seiten bringt der Bericht seine „wachsende Besorgnis“ über die „nicht offengelegten nuklearen Aktivitäten“ des Iran zum Ausdruck „die unter anderem darin bestehen einen atomaren Sprengkopf für Raketen zu entwickeln“. Unter anderem soll das Land sich Informationen über so genannte Implosionszünder verschafft haben, die dafür sorgen, dass spaltbares Material durch eine Druckwelle so komprimiert wird, dass eine überkritische Masse entsteht. Die Idee ist seit den 1940er Jahren in der Welt - die Technik selbst ist allerdings wohl nicht ganz so einfach zu beherrschen.

Was die interessanten Details angeht, schweigt sich der Bericht allerdings aus. Quellen werden nicht explizit genannt - angeblich vorliegende Dokumente nicht beigefügt. Und viele der Informationen beziehen sich auf einen Zeitraum vor 2003.

Um einen militärischen Einsatz zu rechtfertigen - wenn man das prinzipiell für gangbar hält - ist das jedenfalls verdammt dünn. Jeder Prozesse vor einem ordentlichen Gericht würde bei dieser Beweislage platzen. Um einen bewaffneten Konflikt anzuzetteln reicht es allemal. Das wissen wir spätestens seit dem Irak-Krieg.

(wst)