Widerstand gegen neue "Zensurgesetze" in den USA

Internetbranche und Bürgerrechtler laufen Sturm gegen zwei neue Gesetzesinitiativen, die den Urheberrechtsverletzungen im Netz unter anderem mit Internetsperren auf DNS-Ebene begegnen wollen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 55 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Der Rechtsausschuss des US-Repräsentantenhauses wird am heutigen Mittwoch erstmals über einen neuen Gesetzesvorschlag beraten, mit dem schlagkräftige Instrumente wie DNS-Netzsperren gegen Urheberrechtsverletzungen im Netz eingeführt werden sollen. Während sich die maßgeblich hinter dem Vorstoß stehende Unterhaltungsindustrie von dem "Stop Online Piracy Act" (SOPA) endlich ein wirksames Mittel gegen Urheberrechtsverletzungen verspricht, laufen Bürgerrechtler und Vertreter der Internetwirtschaft Sturm gegen das "Zensurgesetz". Den heutigen Mittwoch haben US-Bürgerrechtler zum "American Censorship Day" ausgerufen.

Das neue Gesetz soll der US-Bundesanwaltschaft eine Handhabe gegen Websites geben, die sich der illegalen Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials widmen, auch wenn diese nicht in den USA angesiedelt sind. Mit einem Gerichtsbeschluss sollen Provider und Netzbetreiber angewiesen werden können, den Zugang zu den fraglichen Websites auf DNS-Ebene zu sperren. Suchmaschinen müssten die Websites aus ihren Indizes tilgen. Darüber hinaus sollen Finanzdienstleister und Werbenetzwerke Auszahlungen an die Betreiber unterbinden.

SOPA geht damit noch über den im US-Senat eingebrachten Protect IP Act hinaus, der ebenfalls Netzsperren gegen Urheberrechtsverstöße vorsieht. Beide Vorschläge folgen auf den im vergangenen Jahr im US-Senat versandeten Vorstoß für den Combating Online Infringement and Counterfeits Act (COICA). Gegen die parteiübergreifende Gesetzesinitiative formiert sich in den USA heftiger Widerstand. In einem Brief an die Vorsitzenden der Rechtsausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus formuliert eine Allianz großer Internetunternehmen – AOL, eBay, Facebook, Google, Linkedin, Mozilla, Twitter, Yahoo und Zynga – ihre Befürchtungen, Providern und Inhalteanbietern könnten weitreichende Prüfpflichten und die Überwachung ihrer Kunden auferlegt werden.

Provider fürchten vor allem, dass die im Digital Millennium Copyright Act (DMCA) vorgesehenen Schutzregelungen ausgehöhlt werden. Der DMCA nimmt Plattform- oder Zugangsanbieter bisher von der Haftung aus, wenn Dritte auf ihrer Infrastruktur Urheberrechtsverletzungen begehen und solange diese ihnen nicht bekannt sind. Provider sind verpflichtet, dann Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihnen konkrete Verstöße zur Kenntnis gebracht werden.

Zwar zeigen sich die Unternehmen mit dem Ziel einverstanden, Urheberrechtsverletzungen effektiver zu bekämpfen. Allerdings sehen sie in den konkreten Maßnahmen, die der SOPA vorsieht, und der losen Definition der betroffenen Websites im Gesetzestext "ein ernsthaftes Risiko" für die Branche und darüber hinaus die "Cybersecurity unserer Nation". Damit spielen die Unternehmen auf die im Gesetz vorgesehenen Eingriffe ins DNS-System an.

Netz-Experten hatten den Rechtsausschuss des US-Repräsentantenhauses bereits in einem offenen Brief eindringlich gewarnt, die geplanten DNS-Sperren und die Einführung von DNSSEC seien zusammen nicht zu haben. Zudem seien die Sperren nicht effektiv, weil für Verbraucher leicht zu umgehen. Nach Meinung der Experten steht der Gesetzgeber vor einer Grundsatzentscheidung: Entweder will er DNSSEC oder die Sperren.

Bürgerrechtler kritisieren, dass unbestimmte Formulierungen in den Gesetzesvorschlägen einem Frontalangriff der Unterhaltungsindustrie auf den DMCA Tor und Tür öffneten. Normale Internetnutzer und heute legale Geschäftsmodelle würden kriminalisiert. Unternehmen der Entertainment-Branche könnten mit den Instrumenten der geplanten Gesetze auf die Internet-Infrastruktur durchgreifen. Damit seien die Integrität des Netzes und die Meinungsfreiheit direkt gefährdet.

Die Unterhaltungsindustrie kann die ganze Aufregung nicht verstehen: "Lasst uns alle mal durchatmen", schreibt der Chef des US-Musikindustrieverbands RIAA in einem Gastkommentar für CNet News. "Initiativen zum Schutz geistigen Eigentums werden das Internet nicht zerstören." Der Branchenvertreter fordert die SOPA-Kritiker auf, einen Gegenvorschlag zu machen, wie den Urheberrechtsverletzungen im Netz begegnet werden soll. "Nichts tun kann die Antwort nicht sein." (vbr)