EU-Kommissarin bezeichnet Copyright als "Hasswort"

Die Millionen, die für die Durchsetzung von Urheberrechten ausgegeben wurden, hätten die Piraterie nicht aufgehalten, meint Neelie Kroes, Leiterin der Digitalen Agenda. Viele Bürger verbänden mit dem Copyright nur noch ein Strafregime.

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Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, hat ihre Kritik am derzeitigen System zum Schutz der Rechte an immateriellen Gütern verschärft. Die Millionen US-Dollar, die für die Durchsetzung von Urheberrechten ausgegeben wurden, hätten die Piraterie nicht aufgehalten, meinte die Niederländerin am Samstag während ihrer traditionellen Rede auf einem Kultur- und Medienforum in Avignon. Verstärkt steige in Bürgern Hass auf das auf, was sich hinter dem Wort Copyright verberge, bedauerte Kroes mit ungewöhnlich offenen Worten. Traurigerweise sähen viele das gegenwärtige Regime nur noch als Werkzeug zum Bestrafen und zum Entziehen, nicht als Mittel, um kreative Leistungen anzuerkennen und zu entlohnen.

Aber auch bei der Vergütung von schöpferisch tätigen Künstlern versage das aktuelle Copyright-System, führte die Kommissarin weiter aus. Die Hälfte der bildenden Künstler in Großbritannien, weniger als 50 Prozent der "professionellen" Autoren in Deutschland und 97,5 Prozent der Mitglieder einer der größten Verwertungsgesellschaft in Europa verdienten weniger als 1000 Euro pro Monat mithilfe ihrer geschützten Werke, monierte Kroes. Einige Stars in dem Sektor hätten zwar mehr als genug Einkommen. Am unteren Ende der Pyramide habe sich aber eine Masse an Leuten angesammelt, die unabhängige Zuwendungen oder einen Zweitjob zum Überleben bräuchten.

Für die Vertreterin Brüssels ist deshalb klar, dass das Urheberrecht seine traditionellen Ziele nicht mehr erfüllt. "Wir müssen zurück zu seinen Fundamenten und den Künstler in den Mittelpunkt stellen", betonte die Kommissarin. Gefragt seien "kreative Geschäftsmodelle", um Kunst zu Geld zu machen. Dafür sei ein flexibles System nötig, das sich nicht in die Zwangsjacke eines einzelnen Modells einsperren lasse. Vielmehr müssten die Plattformen, Kanäle und Geschäftsmodelle, über die Inhalte produziert, vertrieben und genutzt werden, genauso vielfältig und innovativ sein wie der Content selbst.

Das Internet sowie Informations- und Kommunikationstechnologien könnten Kreativen dabei helfen, sich direkt und günstig mit ihrem Publikum zu vernetzen, betonte Kroes. Mit der Digitalisierung entstehe eine Datenbank für ein globales Repertoire, die einen transparenten Weg für die Distribution und die Abrechnung kreativer Werke für die Künstler selbst und Zwischenhändler schaffe. Cloud Computing biete einen ganz neuen Rahmen, in dem Musik, Bücher oder Filme erstanden werden könnten. Damit verknüpft seien aber Fragen der optimalen Lizenzierung der Erzeugnisse über solche Plattformen, die durch ein offenes gesetzliches Rahmenwerk geklärt werden müssten. Es müssten Regeln gefunden werden, die derartige Prozesse unterstützten und dafür sorgten, dass das System die Interessen der Künstler absichert. Die Kommission habe daher einen Vorschlag gemacht, um etwa die kollektive Rechteverwertung zu vereinfachen.

Darüber hinaus sei auch das Steuersystem an die digitale Welt anzupassen, befand die Kommissarin. Es dürfe etwa nicht sein, dass auf E-Books höhere Abgaben erhoben würden als auf gedruckte Bücher. Der Filmindustrie empfahl Kroes, über ihr derzeitiges Auswertungsschema vom Kino über DVD und Online bis hin zum Fernsehen nachzudenken. Dieses erscheine im Netzzeitalter zunehmend unflexibel und mache es schwerer, Videos online zeitnah legal zu erstehen. Die Kommissarin forderte in diesem Sinn mehr Experimentierfreude, wobei sie auch auf erweiterte kollektive, pauschale Vergütungsverfahren hinwies, wie sie in Skandinavien praktiziert würden. Generell sei die derzeitige "Besessenheit" im Vertrauen auf das Copyright als allein selig machendes Mittel abzulegen. Der Kreativsektor dürfe nicht auf seine "Finanzkrise" warten, um endlich die richtigen Werkzeuge zur Anpassung an die digitale Welt in die Hand zu nehmen. (uma)